ZDF-Dreiteiler:Ku'damm 56: Der Tanz mit dem Teufel

Ku'damm 56 (für MEDIEN)

Caterina Schöllack (Claudia Michelsen, vorne) muss in Berlin die Tanzschule und ihre Töchter alleine durchbringen.

(Foto: Stefan Erhard/ZDF)

Nachkriegsfrauen und ihre rebellischen Töchter: Der ZDF-Dreiteiler "Ku'damm 56" macht Vergangenheitsbewältigung unterhaltsam.

Von Silke Burmester

Haltung. Mit akkurat sitzender Uniform und den Kopf geradeaus gewandt hatten die Nazis sechs Millionen Juden vergast, Hunderttausende andere Menschen umgebracht und den europäischen Kontinent der Barbarei unterworfen. Rund zehn Jahre nach Kriegsende ist "Haltung" weiterhin das Korsett, das hilft, die Gegenwart zu gestalten ohne zurückblicken zu müssen. Mit Haltung und Disziplin geht es mitten hinein in das deutsche Wirtschaftswunder und die Feststellung "Wir sind wieder wer".

Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) betreibt 1956 eine Tanzschule in Berlin und ihr Ehrgeiz ist, neben dem eines guten Rufes, ihre drei Töchter Helga, Eva und Monika unter die Haube zu bringen. Steif und unnachgiebig tritt sie auf, stets in perfekter Körperhaltung, die rechte Hand leicht abgespreizt, das Kinn gereckt, in ihrer Zielsetzung durchtrieben und rücksichtslos. Mütterliche Liebe wird der Strenge unterworfen, nur manchmal huscht ein wärmendes Lächeln über ihr apartes Gesicht.

Auf einmal ist da dieses wilde Gehopse, bei dem sichtbar wird, was man "Schlüpfer" nannte

Helga (Maria Ehrich), und Eva (Emilia Schüle) unterwerfen sich dem Diktat der Mutter meist widerspruchslos, nur der Backfisch Monika (Sonja Gerhardt), rausgeflogen aus der Haushaltsschule, erlaubt sich eigene Gedanken, stellt die Ehe als zwingendes Modell für die Frau infrage und hängt dem letzten Schrei an.

Sie tanzt zu "Negermusik". Wildes Gehopse, bei dem sichtbar wird, was man "Schlüpfer" nannte - der Untergang des Abendlandes und die Ohnmacht von Mutter Schöllack sind nur noch einen Takt entfernt. Auch ist für sie nicht Schluss, wenn ihre Mutter mit "Paperlapap!" jedes Nachfragen über den Verbleib des Vaters oder die Herkunft der Tanzschule beendet. Eine Tanzschule, die eben doch nicht seit 1906 in der Familie ist, sondern einer jüdischen Familie enteignet und 1936 dem Ehepaar Schöllack überlassen wurde.

Wie viel Vergangenheit hält die Gegenwart aus?

Der ZDF-Dreiteiler Ku'damm 56 (Regie: Sven Bohse; Produktion: Nico Hofmann und Benjamin Benedict) ist die konsequente Fortführung der TV-Geschichtsaufarbeitung der letzten Jahre. Hatte Hofmann durch Dresden, Rommel und Unsere Mütter, unsere Väter die Generation seiner Eltern durch das Inszenieren von Opfer-Schicksalen aus dem Täter-Fokus zu rücken versucht, werden jetzt die stolzen Jahre des Wiederaufbaus gezeigt. Aber - und das ist neu und begeistert die ZDF-Verantwortlichen sehr - mit dem Blick auf "die wichtigen, großen weiblichen Themen", wie es bei der Filmpräsentation hieß. Und auch mit dem Blick auf die Frage: Wie viel Vergangenheit hält die Gegenwart aus?

1956 war das nicht viel. Energisch, und das wird sehr deutlich, wurden die Bänder des Verdrängungs- und Lügenkorsetts festgezogen, auf dass die Haltung stimmt und nichts infrage gestellt wird. Dass die Jungen - also im Film Monika - wie die Wilden rumspringen, "das ist Sublimierung" sagt Drehbuchautorin Annette Hess, "Traumabewältigung. Von den Eltern zur Verdrängung und zum Schweigen verdammt, fand die Jugend ein Ventil im Rock'n'Roll. Das war wie die Explosion eines Kessels, in dem der Druck zu groß wird."

Geschichten aus dem richtigen Leben im falschen

Annette Hess hat sich bereits durch die vielfach ausgezeichnete Ost-Berlin-Serie Weissensee als Expertin für das erzählerische Darstellen deutscher Geschichte etabliert. Nun hat sie sich durch Material über die 50er Jahre gewühlt, ihre Eltern und andere Zeitzeugen ausgequetscht und Tagebücher aus der Zeit gelesen. Und weil Hess eine Meisterin der feinen Charakterzeichnung ist, der es gelingt, jede Figur dicht, eigenständig und komplex dastehen zu lassen, wird hier nicht nur anhand der Mutter und ihrer Töchter ein Sittengemälde gezeichnet, sondern es werden - ähnlich wie bei Weissensee - mitreißende Geschichten von der Suche nach dem richtigen Leben im falschen erzählt, aber auch von Emanzipation und Glück.

Neben der exzellenten Ausstattung sind es vor allem Hess' Dialoge, die den Muff der Zeit, aber auch die Boshaftigkeit herübertragen, die mütterlicher Autorität oft genug inne war. Etwa, wie Caterina zu ihrer Tochter Eva spricht, einer Krankenschwester, die es auf den gut 35 Jahre älteren Chefarzt abgesehen hat: "Kümmere du dich um deinen Professor, so lange er noch lauwarm ist!"

In einigen wenigen Momenten bekommt der Zuschauer mit, wie viel Kraft es diese Frau, die stellvertretend steht für Tausende der Nachkriegszeit, gekostet haben mag, ihren Alltag ohne Mann - er ist vermeintlich in Gefangenschaft - zu bewerkstelligen. Und welchen emotionalen Preis sie für ihren Ehrgeiz zahlt.

Ein neuer Anlass, Fragen zu stellen

Claudia Michelsen spielt diese zu jeder Sekunde um Contenance bemühte Frau mit einer Nonchalance, aber auch einer Zuneigung, die sogar Mitgefühl beim Zuschauer zulässt. Großartig sind die Szenen, wenn die zu Passivität verdammte, herrische Patriarchin sich ein Lächeln abmüht, während es in ihrem Gesicht zuckt und zittert, krampft und bebt, als würde der Wind über ein Kornfeld fegen.

Produzent Nico Hofmann, 56 Jahre alt, erzählte bei der Präsentation von Ku'amm 56, seine Mutter habe den Film nicht sehen wollen. Noch immer hat diese Generation mit ihrem Schmerz und ihren Ängsten zu tun. Und viele mit ihrer Schuld. Für den ZDF-Zuschauer, der mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren beim Gucken von Ku'damm 56 quasi auf sein Geburtsjahr schaut, könnte dieser Dreiteiler auf unterhaltsame Art und Weise die Atmosphäre der Kindheit und Jugend und das so oft eigenartige Verhalten der Eltern und Großeltern in Erinnerung rufen. Und dazu führen, vielleicht doch noch einmal nachzuhaken und rauszufinden, warum man so viele Dinge nicht fragen durfte.

Ku'damm 56, ZDF, Sonntag, Montag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr.

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