Süddeutsche Zeitung

Fehrle wird Chefredakteurin der Berliner Zeitung:Von oben

Sie ist eine der ganz wenigen Frauen in Deutschland, die es an die Spitze einer Tageszeitung geschafft haben. Brigitte Fehrle wird Chefredakteurin der "Berliner Zeitung". Dabei hätte sie auch Lob bekommen, wenn sie Krankenschwester, Steuerberaterin oder Bäuerin geworden wäre. Ein Besuch im Büro.

Renate Meinhof

Selbst wenn man wollte, diesem Bild kann man nicht ausweichen, denn es greift nach einem, wenn man ihr Büro im schmalen Häuserriegel des Berliner Verlages am Alexanderplatz betritt. Man schaut zuerst auf das Bild und dann auf die Frau, deren Schreibtisch rechts daneben, am Fenster, steht. Ihr Mann hat das Foto gemacht, während eines Urlaubs in Norddeutschland.

Da stehen Schafe auf einer Weide, blaue Abendstunde. Achtzehn Schafe, die sich dem Wind entgegenstellen. Stoisch stehen sie, als wollten sie der Gewalt der Natur eben die kleinste Angriffsfläche bieten: nur die Breite des Kopfes. Und da, wo der Betrachter eine fein geschwungene Mondsichel vermutet, ragt eine Peitschenlampe aus den Büschen in den Himmel.

Brigitte Fehrle sagt, sie möge das Stoische dieser Schafe, sie möge auch die irritierende Lampe, denn sie "gibt den Hinweis, dass wir es hier nicht mit einer Idylle zu tun haben".

Das Stoische. Der Wind. Die Idylle. Man möchte diesen Satz natürlich sogleich auf sie und ihre Aufgabe übertragen, und vielleicht möchte sie das auch - ihre Aufgabe, die sie offiziell am 1. Juli übernehmen wird. Brigitte Fehrle ist dann alleinige Chefredakteurin der Berliner Zeitung. Eine von ganz wenigen Frauen in Deutschland, die es bei einer Tageszeitung an die Spitze gebracht haben. Außerhalb journalistischer Kreise oder anderer Menschen, die gern den ARD-Presseclub schauen, kennen sie nur wenige. Wer ist diese Frau?

"Wie ein Tsunami"

Kurz nach der Wende schon, 1990, kam Fehrle zur Berliner Zeitung, und dort stieg sie auch auf. Seit 2010 hat sie zusammen mit Uwe Vorkötter und Rouven Schellenberger die Berliner Zeitung, die DuMont-Redaktionsgemeinschaft und die Frankfurter Rundschau geleitet. Nun werden die Chefredaktionen beider Blätter wieder getrennt. Warum das so ist, möchte man natürlich wissen.

Was aus der Rundschau wird, warum Uwe Vorkötter plötzlich gehen muss, und warum nicht der Spiegel-Reporter Alexander Osang den Posten bekam, der nun der ihre ist - auch das will man wissen, aber zu alledem wird Brigitte Fehrle kein Wort von sich geben, und dennoch schimmert durch, dass es nicht gerade eine Idylle ist, in der sie von nun an das Sagen hat.

"Es bricht wie ein Tsunami über mich herein", sagt sie und meint auch ihren Terminkalender, "der ja plötzlich explodiert". Sie lacht. Sie ist jetzt 57. Sie hat es so gewollt. Die Idylle würde auch gar nicht zu ihr passen. Brigitte Fehrle ist eine Frau, die es, nicht nur im Beruf, gewohnt ist, sich durchzuboxen.

Im Schwäbischen ist sie groß geworden, aber nur ein Hauch von Akzent ist ihr geblieben. Ihre Mutter war Verkäuferin, der Vater gelernter Automechaniker. "Mit mir hatte niemand etwas Besonderes vor", sagt sie. "Meine Eltern wären zufrieden gewesen, wenn ich Krankenschwester geworden wäre." Oder Steuerberaterin wie die jüngere Schwester. Oder Bäuerin wie die Großmutter, auf deren Hof auf der Schwäbischen Alb Brigitte Fehrle viele Monate ihrer Kindheit verbracht hat, vor der Schule, weil die Eltern arbeiten mussten. Dieses Gefühl des Aufgehobenseins, damals auf dem Bauernhof, mit all den Verwandten, den halbwüchsigen Onkeln, das trage sie heute noch, das sei ihr "emotionales Fundament".

Sie sagt, sie sei ehrgeizig, doch "ich habe das alles nicht geplant. Meine berufliche Entwicklung ist ein Zufallsprodukt." Wie bitte? "Nein, nichts war geplant, aber wenn sich die Möglichkeit des Aufstiegs geboten hat, dann habe ich immer die Weichen in Richtung mehr Führung gestellt. Am Ende habe ich immer gedacht, lieber mache ich es selbst, als dass ich jemanden über mir habe." Aber bitte, nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht, "jetzt bin ich Chefredakteurin, also habe ich es auch gewollt."

Sie trägt Jeans, ein T-Shirt, den Blazer darüber. Ihre Hosenanzüge lässt sie seit Jahren bei einer Schneiderin im Wendland nähen. Dort hat sie ein Haus, es ist ihre Idylle. Menschen, die Brigitte Fehrle sehr lange kennen, bezeichnen sie als "kopfgesteuert", als analytisch, als zupackend und verlässlich. Manchmal sei sie von einer irritierenden Härte.

Andere sagen, sie könne hart sein, ja, aber doch immer mit offenem Visier und immer um der Sache willen, also "des Produktes wegen". Wieder andere sagen, als Frau gelte sie eben gleich als hart, obwohl sie etwas tut, was doch bei Männern ganz normal ist.

Ohne Härte können Sie diesen Job nicht machen", sagt Brigitte Fehrle. "Man könnte die Härte aber auch Konsequenz nennen. Die Leute erwarten doch, dass sie wissen, wo es langgeht."

Keine schweren ledernen Sessel

Die Richtung zu bestimmen, in die es gehen soll mit der Berliner Zeitung - das ist nun ihre Aufgabe. Sie hätte Einfacheres wählen können. Die finanzielle Lage des Hauses ist nicht prächtig, das Risiko des Scheiterns hoch. Zum Verleger-Patriarchen Alfred Neven DuMont habe sie ein gutes Verhältnis, "aber ich stand als Ansprechpartnerin auch bisher nie in der ersten Reihe. Das wird sich nun ändern."

Warum also macht sie es? "Wir haben eine motivierte Redaktion hier, und ich mache einfach gerne Zeitung", sagt Fehrle mit Nüchternheit in der Stimme. "Ich mache den Job jetzt, weil ich gern entscheide."

In ein paar Tagen wird sie ein Stockwerk höher ziehen, von der zwölften Etage in die dreizehnte, dahin, wo der Platz der Chefredaktion ist. Sie sagt, sie wolle "die funktionalen Möbel" aus ihrem jetzigen Büro mit nach oben nehmen. Keine schweren ledernen Sessel also. Dafür das Bild mit den stoischen Schafen im Wind.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1385717
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.06.2012/mahu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.