Fall Kachelmann:Der redende Wettermann - die Front steht

Montag ist "Spiegel"-Tag, ist "Focus"-Tag, ist Kachelmann-Tag. Nach seiner Entlassung aus der U-Haft holt Jörg Kachelmann zum medialen Gegenschlag aus. Der ARD-Wettermann sieht sich im Krieg.

Lena Jakat

Ein guter Kumpel. Ein bedauerliches Opfer. Ein selbstironischer Musterknabe. Der Wettermoderator Jörg Kachelmann griff tief in die Trickkiste des Unterhalters, als er sich vom Spiegel interviewen ließ.

Jörg Kachelmann gibt Interview

In einem Interview, dass in den Boulevard-Magazinen mehrerer Sender ausgestrahlt wurde, sprach Jörg Kachelmann nach seiner Freilassung über die Bedingungen seiner Untersuchungshaft und über seine Unschuld.

(Foto: dpa)

Kaum war er am vorigen Donnerstag aus der Untersuchungshaft entlassen, startete der unter dem Verdacht der Vergewaltigung stehende Meteorologe seine mediale Gegenkampagne. Er handelt dabei, als ginge es um eine neue Show im Ersten. Dass hier aber viel mehr auf dem Spiel geht, macht seine Doppelstrategie deutlich: Parallel geht der Medienanwalt Ralf Höcker gerichtlich gegen den Axel-Springer-Konzern (Bild) vor - und fordert für Kachelmann Schadenersatz in Höhe von 2,25 Millionen Euro. Der Versuch, an sein früheres Saubermann-Image zu erinnern, ist Kachelmann im Spiegel dick aufgetragene Botschaften wert.

"Ich bin der gesetzestreueste Bürger, den man sich vorstellen kann", sagt er: "Ich habe keinen Fehler gemacht, jedenfalls keinen von juristischer Relevanz." Er sei ein derart "gesetzestreues Weichei", so der Meteorologe, dass er bisher nur wegen Geschwindigkeitsübertretungen mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei, "alle fünf Jahre" wegen "fünf Stundenkilometern".

Der Mann ist hier, in der Hamburger Magazin-Welt, so lieb und neckisch, wie man sich ordentliche Schweizer beim Fondue-Essen so vorstellt. Wenig erinnert an den schweren Vorgang, um den es geht: Kachelmann ist wegen Vergewaltigung seiner Ex-Freundin Sabine W. angeklagt, am 6. September soll vor dem Landgericht Mannheim der Prozess gegen den 52-Jährigen eröffnet werden. Nach seiner Rückkehr von den Olympischen Spielen in Kanada war Kachelmann am 20. März am Frankfurter Flughafen festgenommen worden. Vier Monate verbrachte der Schweizer in Untersuchungshaft.

Die Frau aus Hiddensee

Während Kachelmann im Spiegel gut Wetter in eigener Sache macht, bringt sich das andere montäglich erscheinende Nachrichtenmagazin mit neuen Fakten gegen ihn in Stellung. Die eine Seite der Medienwelt hat Kachelmann, der Entertainer, im Griff - die andere aber bringt neuen Unrat hervor. Der Focus will wissen, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim ein zweites Ermittlungsverfahren gegen Kachelmann eröffnet habe. Eine Frau hat angegeben, sie sei im Jahr 2001 wegen einer fehlgeleiteten SMS in ihrer Wohnung von Kachelmann misshandelt worden.

Er lässt zu, was geschieht

Nach der Haftentlassung hat sich Jörg Kachelmann frisch rasiert und bester Laune gezeigt. Jede Geste signalisiert: So unbekümmert kann ich sein, weil ich unschuldig bin. Dem Spiegel sagt der Angeklagte, die Beziehung zu Sabine W., dem angeblichen Vergewaltigungsopfer, sei länger gelaufen, als er es hätte "zulassen sollen". Er wirkt hier wie der Dominator, der über Beziehungen je nach Gusto entscheidet. "Dadurch habe ich diese Frau in einer Weise gekränkt, die ich in der Nachschau nur in höchstem Maße bedauern kann", findet Kachelmann heute.

"Ich habe nichts von alldem gemacht", erklärt und spricht davon, "mit einer vorgetäuschten Straftat konfrontiert" worden zu sein. Rache! Fünf Wochen vor dem Prozess hämmert Kachelmann dem Richter und allen Beteiligten seine Sicht ein. Bereits am Freitag gab der Wettermann dem freien Journalisten Jan Mendelin ein Videointerview, das in Boulevardsendungen lief und längst auf allen großen Nachrichtenportalen wie bild.de zu finden ist. Mendelin war mal bei RTL, schrieb für Bild und hat eine in Bild publizierte Stefan-Effenberg-Biographie verfasst.

In dem vierminütigen Film des Boulevardprofis präsentiert sich Kachelmann ruhig und verbindlich, in jenem Stil, in dem er vor einem halben Jahr das Wetter ansagte: In druckreifen Sätzen berichtet er über seine Haft und über seine Mitgefangenen, hält den Blick stets fest auf den Reporter gerichtet und streut von Zeit zu Zeit ein freundliches, auflockerndes Lächeln ein. Da ist er wieder, der nette Wetteronkel.

Jekyll and Hyde

Er sei "krank", "verrückt", wie "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" ist dagegen im Focus zu lesen. Die Charakterbeschreibungen entstammen dem Magazin zufolge den digitalen Tagebuchaufzeichnungen von Kachelmanns Ex-Freundin Sabine W. Die Ermittler sollen die Datei mit dem Titel warum.doc auf dem beschlagnahmten Computer des mutmaßlichen Opfers sichergestellt haben. Das Nachrichtenmagazin gibt diese Aufzeichnungen wieder - in Form indirekter Zitate.

Nach der Vergewaltigung habe er sie "einfach liegengelassen", notierte die Radiomoderatorin demzufolge über das mutmaßliche Verbrechen. "Wie Dreck." Aus den weiteren Aufzeichnungen - sie reichen bis zum 26. März - sprechen Verzweiflung, Selbstmordgedanken, Horror. Die Hölle sei losgebrochen, zitiert der Focus den Eintrag vom 22. März, zwei Tage nach Kachelmanns Verhaftung.

Viertklassiger Profi

Ähnliche Worte wählt Kachelmann in seinem Spiegel-Interview für seine Gemütslage nach seiner ersten Vernehmung: "Von da an habe ich Dante im Kopf gehabt, demzufolge über dem Eingang der Hölle steht: 'Ihr, die Ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.'" Bei den Schilderungen seiner Untersuchungshaft bemüht der Moderator nicht nur die Literatur, er benutzt auch bunte Bilder: Den Redakteuren berichtet er von Kakerlaken und Schmutz im Untersuchungsgefängnis; "Die Zelle war so, wie man es sich für einen Regimegegner in Nordkorea ausmalt." Und: "Es war wie im Krieg." Vergleiche, die seine Interviewer nachfragen lassen, ob ihm vielleicht "ein paar zu wilde Phantasien" gekommen seien.

Doch Kachelmann spart nicht mit emotionalen Bildern, lässt kein Klischee aus, wenn es darum geht, das Bild des unschuldig verdächtigten Gutmenschen zu zeichnen. Er berichtet davon, wie er im Gefängnis weinende Mitgefangene im Arm gehalten habe, wie er Respekt von ihnen erfahren habe - hier wird der Knast zur Soap, die Wochen in Haft zu scripted reality : "Kriminelle haben ein gutes Gefühl dafür, was ein Verbrechen ist und was nicht." Richtiggehende Freundschaften seien da entstanden, so der Wetter-Ansager: "Und ganz ehrlich, ich habe die Kumpels aus dem Knast schon vermisst."

Immer wieder bezeichnet sich Kachelmann im Spiegel selbst als "viertklassigen TV-Promi". Aus dem Meteorologen, der mit spektakulären Wetterrekorden Aufsehen erregte und nicht selten die Kritik von Kollegen auf sich zog, ist die personifizierte Bescheidenheit geworden. Dabei hat er sich einst im MDR mit der Talkshow Riverboat versucht und wandelte einmal sogar bei Einer wird gewinnen auf den Spuren des großen Hans-Joachim Kulenkampff.

Viertklassiger TV-Profi? Oder eher viertklassiges Ablenkungsmanöver?

Identitätssuche

Von Identitätsstörungen des Wettermoderators und Suizidgedanken berichten im Focus mittelbar Ex-Freundinnen. Auch in den angeblichen Aufzeichnungen von Sabine W. soll darüber zu lesen sein. Am fraglichen Abend soll Kachelmann W. demnach gestanden haben, "krank" zu sein, "verrückt" und bereits drei Selbstmordversuche unternommen zu haben.

Einen Monat später schrieb die Journalistin offenbar in ihr Tagebuch, sie hoffe, er habe sich umgebracht. Eine Viola S. wiederum habe der Polizei berichtet, sie habe von Kachelmann am 10. Februar einen Link zum Thema "dissoziative Identitätsstörung" erhalten und einen Tag später erklärt, er sei in ein Loch gefallen.

Im Krieg

So ist an einem normalen Montag über Jörg Kachelmann alles zu lesen. Montag war immer Spiegel-Tag, und hier werden die Widersprüche zwischen dem Oberlandesgericht Karlsruhe und dem Landgericht Mannheim aufgedröselt - und Kachelmann hat seine Bühne. Montag ist seit 1993 aber auch Focus-Tag, und hier erscheint nicht mehr das angebliche Vergewaltigungsopfer weniger glaubhaft, sondern hier mehren sich Indizien gegen den Fernsehprominenten.

Kaum zu glauben, dass es sich bei all den unterschiedlichen Beschreibungen um denselben Mann handeln soll, um jenen Meteorologen, der so schön von Blumenkohlwolken reden konnte. Lange vor dem Prozess haben via Spiegel und Focus sowohl Verteidigung als auch Anklage ihre starken Momente. Es wird vorwegverteidigt und vorweggeklagt, und manche im Publikum werden vorwegurteilen.

Mit der derzeit handelsüblichen Kachelmannn-Metaphorik könnte man sagen: Es ist Medienkrieg. Der Krieg geht dort weiter, und er selbst kämpft an vorderster Front. Aber wenigstens hat ihm die 80-jährige Mutter beim Gefängnisbesuch ihren Beistand ausgesprochen. Das war für ich wichtig, und der Mann, der in den Krieg der Gazetten zieht, hat auch dafür den richtigen Lagebericht: "Die Heimatfront stand."

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