Fall Böhmermann:Böhmermanns Sendepause ist nur konsequent

52th Grimme Award

Jan Böhmermann, verschwunden. Der Satiriker verordnet sich eine vierwöchige TV-Pause.

(Foto: Getty Images)

Erdoğan mag sich vielleicht über die Auszeit des Satirikers freuen. Doch Böhmermann wird größer zurückkehren. Seinen Namen kennt man jetzt von New York bis London.

Kommentar von Julian Dörr

Man kann die Enttäuschung vieler Fans nachvollziehen, die sich nun unter seinem Facebook-Post niederschlägt. Jan Böhmermann zieht sich und seine Sendung Neo Magazin Royale für vier Wochen aus dem Fernsehen zurück. Das soll also der Schlussakkord in dieser Debatte sein, die sich von einem Late-Night-Gag in der TV-Nische zu einer Staatsaffäre hochschraubte? Hätten wir uns nicht noch eine weitere Pointe von Böhmermann gewünscht? Einen schlagfertigen und witzigen Kommentar in der nächsten Episode von Neo Magazin Royale?

Der Vorhang ist nun vorerst gefallen, der letzte Witz gemacht. Doch Böhmermanns selbstverordnete Sendepause ist keine Niederlage der Satire, kein Kotau vor Erdoğan. Sie ist die einzig richtige und logische Konsequenz aus den Ereignissen der vergangenen Wochen.

Tag für Tag hat Böhmermann ein bisschen mehr Kontrolle verloren

Seit der TV-Moderator vor gut zwei Wochen in seiner Sendung das Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten vorgetragen hatte, sind ihm Kontrolle und Deutungshoheit über seine Aktion Tag für Tag ein bisschen mehr entglitten. Die Diskussion hat sich verselbstständigt. Auf einmal ging es um Kunstfreiheit, um das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, um die buckelnde Bundesregierung. Die Debatte beschleunigte sich und überhitzte. Jeden Tag meldete sich eine neue Randfigur zu Wort - irgendwann war selbst Didi Hallervorden an der Reihe. Alle kommentierten alles. Nur einer schwieg: Böhmermann selbst.

In den vergangenen Tagen haben die Medien auf jedes Wort des Satirikers gelauert - so verzweifelt waren sie, dass einige auf Kai Diekmanns gefälschtes Interview hereinfielen. Nun hat Böhmermann gesprochen - auf seiner Facebook-Seite. Und er macht das einzig Richtige: Er lässt uns mit unserer Aufregung alleine. Es werde Zeit, dass "sich die hiesige Öffentlichkeit und das Internet mal wieder auf die wirklich wichtigen Dinge" konzentriert, schreibt Böhmermann. Er hilft der Debatte, indem er sie entschleunigt. So kann der Rechtsstaat in Ruhe seine Arbeit machen.

Er wird zurückkommen - bissiger und größer als jemals zuvor

Für einige mag es nun so aussehen, als hätte der türkische Präsident gewonnen. Erdoğan wollte Böhmermann verschwinden lassen. Das hat er geschafft - auf zweifache Weise. Die "Schmähkritik" wurde mitsamt der dazugehörigen Folge Neo Magazin Royale aus der Mediathek entfernt. Und Jan Böhmermann selbst zieht sich nun für einen Monat aus dem deutschen Fernsehen zurück.

Präsident Erdoğan wird diese Nachricht wohl freuen. Sie aber auch nur als Pyrrhussieg zu verbuchen, wäre falsch. Nach seiner Sendepause wird Jan Böhmermann zurückkehren. Bissiger und vor allem größer als jemals zuvor. Das internationale Presseecho auf den Streit um das Erdoğan-Gedicht zeigt: Man kennt Böhmermanns Namen nun von New York bis nach London. Die "Schmähkritik"-Affäre hat ihm einen Bekanntheitsschub verpasst, den kein noch so viraler YouTube-Hit hätte leisten können.

Anfang Mai wollte Böhmermann in einer US-Late-Night-Show auftreten. Ob er das nach den Ereignissen der vergangenen Wochen immer noch plant, ist unklar. Mitten in der Böhmermann-freien Zeit im deutschen TV gäbe es keinen besseren Zeitpunkt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: