Wenn Franziska Sgoff fernsieht, sieht sie nichts. Sie sitzt nicht auf dem Sofa, sondern am Schreibtisch, vor sich den Laptop und das Handy. Denn die 22-Jährige ist beim Fernsehen aufs Hören angewiesen - sie ist seit ihrer Geburt blind.
Der Grund, warum sie an diesem Sommertag zuhause im oberbayerischen Freising vor dem Laptop mit Blindenschriftleiste sitzt, ist die neue RTL2-Serie Falkenberg, Eigenschreibweise F4LKENB3RG. Es ist die erste fiktionale Serie im deutschen Privatfernsehen, die mithilfe einer App barrierefrei zugänglich sein soll. Die junge Frau - schulterlanges Haar, Jeans und T-Shirt - tippt auf dem Handy, dreht am Lautsprecher. "Vorführeffekt hoch zehn", sagt sie. Zurückspulen, was nach Gehör gar nicht so einfach ist, dann ein zweiter Versuch. Diesmal klappt es. " Falkenberg", sagt eine Stimme aus dem Smartphone, "anstelle des A steht eine Vier und anstelle des E eine Drei".
Am meisten stört sie, dass die Erzählstimme wie ein Navigationssystem klingt
Während die öffentlich-rechtlichen Sender teils seit den Achtzigern Untertitel und seit den Neunzigern Hörfassungen für Teile ihres Programms anbieten, ziehen die Privaten schläfrig langsam nach. Pro Sieben bietet erst seit diesem Jahr über eine App Live-Audiodeskriptionen an, bisher aber nur für das Staffelfinale der Castingsendung Germany's next Topmodel und für die Singshow The Masked Singer. RTL2 ist bislang der einzige Sender der RTL-Gruppe, zu der auch Vox, Super RTL, Nitro, und NTV gehören, der mit Falkenberg ein Format mit Hörfassung anbietet.
Die App, die das, was das Publikum auf dem Bildschirm zu sehen bekommt, hörbar macht, hat Franziska Sgoff schon eine Weile auf dem Handy. Greta heißt sie, und wurde ursprünglich für Kinofilme entwickelt. Neulich erst war die junge Frau damit im Kino und hat Elyas M'Barek dabei zugehört, wie er in Der Fall Collini den Anwalt spielt.
Für jeden Film, aber auch für die neue Serie muss sie erst einmal eine passende Audiodatei herunterladen. Wer registriert ist, kann dann kostenlos die Untertitel oder die Audiodeskription für die verfügbaren Filme speichern. Wie die Musik-App Shazam erkennt Greta die Tonspur und synchronisiert sich so mit dem Film.
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern lässt sich die Hörfassung über eine zweite Tonspur auf der Fernbedienung einstellen. Aber das nutzt Franziska Sgoff kaum. Sie ruft Sendungen in der Regel im Internet ab. In der ARD-Mediathek kann die Audiodeskription über ein Icon dazugeschaltet werden. Das ZDF bietet online bisher nur reine Hörfassungen an.
Diese Hörfassungen sind aufwendig zu produzieren. Sie müssen an den Film angepasst getextet und vertont werden. Auch bei den Öffentlich-Rechtlichen ist der Programmanteil mit Audiodeskription deshalb noch gering. Beim Ersten liegt er bei etwa 24 Prozent der Inhalte, bei den Dritten Programmen zwischen knapp sieben und 15 Prozent. Beim ZDF sind etwa 16 Prozent entsprechend aufbereitet.
Was die Untertitelung für Gehörlose angeht, ist man da schon weiter: Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist bereits der Großteil des Programms untertitelt, bei den privaten ist Pro Sieben mit etwas mehr als einem Drittel am weitesten, gefolgt von Vox mit knapp einem Viertel, von Kabel Eins und von RTL2 mit je etwa einem Fünftel.
Franziska Sgoff kennt einiges davon. Im Ersten Die Heiland, eine Serie über eine blinde Anwältin. Auf Netflix hat sie Tote Mädchen lügen nicht gestreamt - in englischer Hörfassung. "Das kann aber leider nicht jeder", sagt sie, ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin für Englisch und Französisch.
Und wenn es keine Hörfassung gibt, schaut sie sich manche Sendungen notgedrungen auch ohne Audiodeskription an, zum Beispiel ihre Lieblings-Krankenhausserie Club der roten Bänder auf Vox. "Wenn ich etwas nicht verstehe, ist Wikipedia zur Not ein guter Helfer." Dort sind einzelne Folgen oft detailliert zusammengefasst.
Und wie ist sie nun, die erste barrierefreie Privatfernsehserie? Franziska Sgoff verfolgt Falkenberg mit gelegentlichem Schmunzeln. Die Handlung ist ein Mix aus den Kika-Internatsgeschichten von Schloss Einstein und der Upper-Eastside-Hochglanzserie Gossip Girl. Es geht um ein Elite-Internat, das titelgebende Schloss Falkenberg, und seine von Teenagersorgen geplagten Bewohnerinnen und Bewohner.
Die Hauptfigur ist Ben, gespielt von Jonathan Elias Weiske. Die App Greta beschreibt ihn so: "Er ist muskulös, hat kurzes braunes Haar und dichte Augenbrauen". Im Gegensatz zu den anderen ist er nicht durch reiche Eltern, sondern durch ein Sportstipendium an der reichlich versnobten Schule gelandet. "Macht oder Geld, das ist mir nicht so wichtig", sagt er. Aschenputtel lässt grüßen.
Jener Ben also ist neu im Internat und gerät bald aneinander mit der schnöseligen Alpha-Clique rund um zwei andere Jungs. Was die noch nicht wissen: Ben ist der beste Freund eines Mitschülers, der sich im vergangenen Jahr vom Schlossdach gestürzt hat. Es kommt es zu Mutproben mit dicken Autos und Flirtversuchen mit blonden Mädels. So weit, so stereotyp.
Was das Entlarven all der Klischees in der Serie angeht, ist die Hörfassung gnadenlos: "Ben stützt Jessica und hebt sie auf seine Arme, dankbar sieht sie ihn an", oder: "Sie ist sehr schlank und hat lange Locken".
"Solche Sachen können noch so blöd sein, man will ja schon wissen, wie es ausgeht", sagt Franziska Sgoff.
Anstrengend wird es auch bei den Werbeunterbrechungen. Dann spricht Greta nämlich erst weiter, stockt irgendwann und entkoppelt sich ganz. Nach Spots für Shampoo und Katzenfutter ist es gar nicht so einfach, den Anknüpfungspunkt an die Serie wieder zu finden. Und insgesamt?
"Ich finde es gut, dass endlich auch die Privaten Audiodeskription anbieten", sagt Franziska Sgoff. Die Handlung von Falkenberg findet sie spannend, den Hauptdarsteller sympathisch. Mit der Hörfassung ist sie allerdings nicht ganz zufrieden. Am meisten stört sie, dass die Stimme automatisiert ist. Statt nach Hörbuch klingt das Ganze so eher nach Navigationsgerät: "Schade, dass man sich nicht die Mühe macht, einen richtigen Sprecher zu engagieren. Man sollte mitfühlen können bei der Audiodeskription."
Sie kennt das auch anders, denn bei den Öffentlich-Rechtlichen oder für Kinofilme werde die Hörfassung meist von professionellen Sprechern oder Schauspielern vertont. Außerdem kritisiert Sgoff, dass am Anfang der Serie in kurzer Zeit ziemlich viele Personen eingeführt werden: "Wenn so ein Name mittendrin reingeworfen wird, verstehe ich nicht sofort den Bezug." Und eines stört sie noch: Dass die Dialoge oft "wie abgelesen" klingen. Aber dafür kann Greta nun wirklich nichts.
Falkenberg , RTL 2, montags um 20.15 Uhr oder über TVnow.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, die RTL2-Serie Falkenberg sei die erste barrierefreie Serie im deutschen Privatfernsehen. Das ist nicht korrekt. Es ist die erste rein fiktionale barrierefreie Serie im deutschen Privatfernsehen.