Süddeutsche Zeitung

Miniserie "Faking Hitler":Ein F für ein A

Die sechsteilige Serie "Faking Hitler" erzählt die unglaubliche Geschichte der gefälschten Hitler-Tagebücher neu.

Von Harald Hordych

Der reichliche Genuss von Alkohol gehört zum Klischee-Bestand des Schauspielberufs. Daran lässt auch Moritz Bleibtreu an der Theke einer Kneipe in Bonn-Muffendorf keinen Zweifel, als er in der Pause von Faking Hitler ruft: "Wie geht der kürzeste Witz?" Blick in die Runde. Dann: "Gehen zwei Schauspieler an der Kneipe vorbei." Den Witz gibt es mit jeder akademischen Berufsgruppe, aber Filmschaffende sind höfliche Menschen, die Crew rafft sich zu verhaltenem Gekicher auf. Auch Lars Eidinger lacht auf seine dezente Weise, zumindest zuckt sein Oberkörper.

Dann spielen die beiden weiter, wie der Stern-Reporter Gerd Heidemann (Eidinger) und der fidele Kunstmaler Konrad Kujau (Bleibtreu) in einer Kneipe besoffen ausbaldowern, wie sie die sagenhaften Hitler-Tagebücher aus der DDR in den Westen schmuggeln können. Genauer gesagt: Zur Hamburger Zentrale der großen deutschen Publikumszeitschrift Stern, die Anfang der Achtzigerjahre als Begleiterin der politischen Szene weitaus wichtiger war als heute.

Das ist wichtig, um zu verstehen, warum diese Tagebücher das Zeug zu einem der größten Presseskandale hatten. Die Dimension war atemberaubend: 9,3 Millionen Mark hat der Stern 1983 für 62 gefälschte Hitler-Tagebücher bezahlt. Auf einer internationalen Pressekonferenz hieß es: "Die Geschichte muss neu geschrieben werden." Es sollte die größte Stern-Stunde werden. Heraus kam nur ein Superlativ: das legendärste Desaster.

Allerdings hatte der Fälscher Konrad Kujau, der sich Heidemann gegenüber als Kunsthändler ausgab, der weiß, wo die Tagebücher verborgen sind, dieser Konrad Kujau hatte die Tagebücher in einer so meisterhaft imitierten Handschrift verfertigt, dass sie von etlichen Experten für echt erklärt worden waren. Beim Stern wähnte man sich auf der sicheren Titelseite. Wenige Tage nach der PK machte ein BKA-Gutachten alles zunichte: Das von Kujau benutzte Papier gab es zu Hitlers Lebzeiten noch nicht. Kujau und Heidemann wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Kujau starb 2000, Heidemann wird am 4. Dezember 90 Jahre alt. Und nun wird die Geschichte dieser spektakulären Blamage in einer sechsteiligen Mini-Serie bei RTL+ neu erzählt. Und zwar auf eine Weise, welche die auf Fakten beruhende fiktionale Aufarbeitung dieser monströsen Schelmengeschichte mit all ihren surrealen Momenten zu einem Ereignis macht. Die Serie vergisst über dem Klamauk nicht den Ernst des Skandals und entdeckt darin wiederum die Komik von Selbstüberschätzung, Größenwahn und Wirklichkeitsverleugnung.

Gefragt ist Sektlaune. Also erzählen Bleibtreu und Eidinger sich gegenseitig Witze

Gedreht wurde fünf Wochen lang parallel mit zwei Teams unter anderem in einem Dorf bei Bonn, wo der sinnenfrohe Instinktmensch Kujau mit seiner Lebensgefährtin in muffigster kleinbürgerlicher Gemütlichkeit wohnt. Dorthin ist der Weltmann Heidemann wieder mal mit seinem Jaguar gekommen - Lagebesprechung. In Sektlaune! Hm, nüchtern betrunken sein? Bleibtreu und Eidinger erzählen sich vor jeder Aufnahme Witze, um sich aufzulockern. Jetzt wieder Eidinger: Kommt ein Deutscher an die Schweizer Grenze. Fragt der Zöllner: "Haben Sie Waren?" Antwortet der Deutsche. "Das heißt: Sind Sie gewesen?" Action!

Die Witze sind keine Thekenbrüller, die Stimmung ist so ambivalent wie die ganze Geschichte: Ja, sie war grotesk, ja, sie war bizarr, aber zum Schenkelklopfen ist sie so wenig geeignet wie die hintersinnigen Scherze der beiden Hauptdarsteller.

Bei der Verfilmung bestand die Gefahr, ein legendäres Schelmenstück so albern zu erzählen, dass es zur Schmierenkomödie gerät. Zumal es ein großes Vorbild aus dem Jahr 1992 gibt: Schtonk! von Helmut Dietl schaffte es zur Nominierungsliste für den Oscar als bester ausländischer Film. Schtonk! betonte mit Darstellern wie Götz George und Uwe Ochsenknecht und satirischer Überzeichnung die Farce. Schtonk! war oft grell und laut, Faking Hitler will leise sein.

"Die Banalisierung des Bösen ist der Kern", sagt der Macher der Serie

Das heißt nicht, dass der Mann, der diese Serie als Showrunner, Hauptautor und Ideengeber auf den Weg gebracht hat, nicht auch das Groteske gesehen hätte. Aber für den Berliner Ufa-Fiction-Produzenten und Radiomoderator Tommy Wosch ist die von ihm und seinen Co-Autoren aufwendig recherchierte, anhand der Aufzeichnungen der Original-Telefonate von Kujau und Heidemann sowie langen Recherchegesprächen mit Heidemann detailliert erkundete Geschichte vor allem "eine Geschichte von nicht vorhandener Entnazifizierung in Deutschland. Dafür spricht ja allein schon die Tatsache, dass so was in einem eigentlich linksliberalen Blatt passieren konnte".

Echt oder falsch? Wosch findet eine Frage viel wichtiger: Wie konnte ein seriöses Blatt so verantwortungslos handeln und Tagebücher veröffentlichen, die den Führer als ganz normalen Menschen zeigen, der über das Weihnachtsgeschenk für Eva Braun nachdenkt? "Die Banalisierung des Bösen ist der Kern", sagt Wosch beim Telefonat, "und eine Gesellschaft Anfang der Achtzigerjahre, die Geschichtsrevisionismus nicht nur in großen Teilen zugelassen hätte, sondern sich danach gesehnt hat."

Um über dem Irrsinn nicht den geschichtlichen Hintergrund zu vergessen, wurde ein fiktiver Handlungsstrang eingezogen. Eine junge Stern-Reporterin (Sinje Irslinger) recherchiert, welche SS-Mitglieder in der BRD Karriere gemacht haben und findet dabei heraus, dass ihr Vater, ein renommierter Jura-Professor (Ulrich Tukur), als 17-Jähriger der Waffen-SS angehört hat. Auch diese den Horizont überzeugend erweiternde Geschichte erzählen die beiden Regisseure Wolfgang Groos und Tobi Baumann mit einer konzentrierten Entspanntheit, die Raum für viele Beobachtungen des gesellschaftlichen Kolorits Anfang der Achtziger ermöglicht.

Die Geschichte entspinnt sich langsam, mitunter recht unspektakulär: Wie Heidemann über einen Sammler das von Kujau gefälschte erste Tagebuch gezeigt bekommt, wie er die große Chance für sich und sein Blatt wittert, wie Kujau sich von Millionen Mark ködern lässt, sich 62 Bände aus den Fingern zu saugen, wie die beiden Freunde werden, der eine aber nichts davon ahnt, welches böse Spiel der andere mit ihm spielt, und wie schließlich alle Bedenken über Bord geworfen werden, weil die Aussicht auf Millionen vor allem der Verlagsleitung, die den Deal damals mit dem Ressort Zeitgeschichte an der skeptischen Chefredaktion vorbei einfädelt, den Geist vernebelt.

"Schtonk" ließ es krachen, "Faking Hitler" ist ruhiger. Die Geschichte ist irre genug

Es sind die Details dieser unfassbaren Geschichte, die eigentlich kleinen Szenen und Momente, die Faking Hitler einen feinen, humoristischen Ton geben, der schließlich in den Wahnsinn der Veröffentlichung führt. Momente wie die, als Kujau erfährt, dass die Tagebücher von einem Gutachter überprüft werden sollen. Da sagt er - mühsam seine Panik kaschierend: "Gut, wenn sie den brauchen, dann brauchen sie den wahrscheinlich." Bleibtreu spricht solche Sätze des begabten wie versoffenen Genussmenschen mit einer grandiosen Mischung aus Begriffsstutzigkeit und listiger Verschlagenheit. Eidingers Heidemann hat nichts von der ins Leere laufenden Starreporterpose aus Schtonk!, eher etwas von einem besessenen Buchhalter, der sich gut kleidet und ein plötzlich aufblitzendes Talent zur gewitzten Menschenfängerei besitzt. "Das Komische soll aus einer ernsten Situation heraus entstehen, es soll für sich sprechen, ohne betont zu werden", erklärt Groos die Idee der Regisseure. Die beiden Hauptdarsteller bereichern das Konzept mit ihrer zurückhaltenden komödiantischen Präzisionskunst - neben einem glänzend aufspielenden Cast von großen Charakterdarstellern.

Zum Glück hatten Bleibtreu und Eidinger an einem Dokudrama kein Interesse, wie sie nach der Kneipenszene erzählen. Sie wollten auf einer fiktiv erzählten Ebene unterhalten, ohne den Comedy-Effekt, den die Geschichte schon in sich trägt, wie Bleibtreu sagt. Dem das Wichtigste war, dass es lustig wird. "Aber nicht zum Schenkelklopfen, eher zum Schmunzeln."

Eidinger kam kurioserweise zugute, was den Zugang zu einer Figur erschwert. Wie er erzählt, hatte Wosch auch nach 20 Begegnungen den Charakter von Heidemann nicht verstanden. Dass man Heidemann nicht greifen könne, sei ihm sehr entgegenkommen, erklärt Eidinger. Er würde sich ja generell sträuben, Charaktere für sich verständlich zu machen. "Es ist auch kein Steckenpferd von mir, reale Menschen zu verkörpern und zu kopieren. Das schränkt mich zu sehr ein." Auch Bleibtreu wollte Kujau so spielen, wie er die Figur von Anfang "in meinem Kopf gemocht" hatte: "Ein verschmitzter Lebemann, der das Leben sehr geliebt hat, ein Spieler, ein Schlitzohr." Es ist eine Freude zu sehen, wie Verblüffung, Ärger, Erstaunen und Fassungslosigkeit immer wieder die feinste Verwüstung in den Gesichtern der beiden zunehmend geplagten Unglücksraben hinterlassen. Und dafür gibt es reichlich Anlass.

Zum Beispiel, als Kujau erfährt, dass der altgotische Buchstabe, den er als Initial "A" für Adolf auf die Tagebuchkladden geschrieben hat, in Wirklichkeit das "F" ist. Und so der legendäre Fehler "FH" entstand. Ein Problem? Nicht für Leute, die nur an die Beweise glauben, die bestätigen, was sie glauben wollen. So war dann doch alles in Ordnung, weil "FH" natürlich nur "Für Hitler" heißen kann, oder? Und das ist ausnahmsweise kein Witz.

Die Serie Faking Hitler wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Bester Schauspieler" und "Beste Drama Serie" ausgezeichnet.

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