Journalismus:Facebook kann Portale in die Bedeutungslosigkeit hinunterpegeln

Journalismus: Gefällt nicht jedem: die dominierende Marktstellung von Facebook im Informationskapitalismus.

Gefällt nicht jedem: die dominierende Marktstellung von Facebook im Informationskapitalismus.

(Foto: AFP)
  • Laut einer Erhebung des Pew Research Center beziehen 43 Prozent der erwachsenen US-Bürger News auf Facebook.
  • Wenn der Konzern an seinen Algorithmen dreht, hat das massiven Einfluss auf den Traffic von Nachrichtenportalen.
  • Zugleich investieren Facebook und Google Milliarden in journalistische Projekte.

Von Adrian Lobe

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sagte im Jahr 2014 einen Satz, der den Berichterstattern in seiner Beiläufigkeit damals kaum eine Meldung wert war und dessen Bedeutung erst heute klar wird: "Unser Ziel ist es, mit dem Newsfeed die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen." Man kann diesen Satz auch als Bedrohung für das Geschäftsmodell der Zeitung lesen.

Laut einer Erhebung des Pew Research Center beziehen 43 Prozent der erwachsenen US-Bürger News auf Facebook. Die Hälfte dieser Gruppe, also gut ein Viertel aller US-Bürger, nutzt Facebook als alleinige Informationsquelle. Für immer mehr Leute ist Facebook also das Fenster zur Welt.

Das veränderte Mediennutzungsverhalten bringt es mit sich, dass Medien auf Facebook präsent sein müssen. Wenn Facebook also wie zu Beginn des Jahres seinen Newsfeed-Algorithmus ändert, verfolgen Medienhäuser die Ankündigung ähnlich gebannt wie Bankhäuser die Leitzinsentscheidung der Fed. Facebook ist die Zentralbank der Informationsökonomie. Von den opaken Algorithmen hängt ab, ob ein Artikel geklickt oder eine Webseite besucht wird. Laut einer Untersuchung der Analytics-Firma SimilarWeb wurden beim US-Portal Vice voriges Jahr 48,1 Prozent aller Webseitenbesucher von Facebook weitergeleitet. Beim britischen Independent stammten 43,7 Prozent des Desktop-Traffics von Facebook. Beim Magazin New Yorker kam gut ein Viertel (26,6 Prozent) aller Webseitenbesucher von Facebook.

Wenn der Konzern an seinen Algorithmen dreht, hat das massiven Einfluss auf den Traffic von Nachrichtenportalen. Tech-Blogs stellen die Zugewinne und Verluste bei den Webseiten-Aufrufen ausgewählter Publikationen in Statistiken dar, als würde es sich um Aktienkurse handeln: + 102,8 Prozent - 86,8 Prozent - das wirkt ein bisschen so, als ginge es im Journalismus nur noch um Kursgewinne und Kursverluste. Die Kurshöhe bestimmt im Informationskapitalismus eben aber auch Facebook.

Die Besucherströme, die über das soziale Netzwerk kommen, sind hochvolatil. News-Portale, die ihre Social-Media-Strategie nicht hinreichend diversifiziert haben, riskieren einen Einbruch ihrer Besucherzahlen. Die Modifikation des Newsfeed-Algorithmus hat mutmaßlich dazu geführt, dass das Online-Medium Little-Things, ein Lifestyle-Magazin für Frauen, schließen musste. Das Magazin, das an seinem Redaktionssitz in New York 100 Mitarbeiter beschäftigte, hatte sich auf Feelgood-Artikel und Videos spezialisiert, die auf Facebook geteilt wurden.

Angeheizt durch Facebook-Likes registrierte das Portal zeitweise über 40 Millionen Webseitenbesucher im Monat. Nach der Änderung des Newsfeed-Algorithmus musste die Redaktion aber mit ansehen, wie der Traffic um 75 Prozent abstürzte und die Werbeumsätze einbrachen. Die Priorisierung von Freunden und Familien, die Facebook wie eine Monstranz vor sich herträgt, machte dem Frauen-Magazin den Garaus. Little-Things ist vermutlich das erste Medium, das auf dem Wege der Programmierung irrelevant wurde. Die Journalistin Lucia Moses twitterte den bitteren Nachruf: "Little Things, R.I.P. Oh, die Grausamkeit der Algorithmen." (Die Spielefirma RockYou, welche die Seite gekauft hat, plant eine Neuausgabe. Ob das Online-Medium aber jeweils wieder die Reichweite erzielt, die es vorher hatte, ist fraglich.

Der Niedergang von LittleThings ist ein Lehrstück in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie: Facebook kann Portale hochjazzen, aber gleichsam in die Bedeutungslosigkeit herunterpegeln - ohne dass die Algorithmen einer öffentlichen Kontrolle unterzogen werden. Es ist so, als würde jemand über Nacht die Sendefrequenzen ändern und dafür sorgen, dass manche Stationen nicht mehr senden können oder die Signale so verrauscht sind, dass sie keiner mehr hört. Facebook sitzt an den Hebeln der Macht - und kann sie jederzeit betätigen.

Würde Facebook missliebigen Medien den Hahn zudrehen?

Keiner weiß, welches Medium als nächstes den algorithmischen Änderungen zum Opfer fallen wird. Brasiliens größte Tageszeitung Folha de São Paulo stellte im Februar präventiv die Publikation von Artikeln auf Facebook ein, weil die Redaktion durch die Änderung des Newsfeed-Algorithmus ein Anschwellen von Fake News und einen Rückgang des Traffics befürchtete. Es ist ein Dilemma: Einerseits brauchen Medienhäuser Facebook als Verbreitungskanal; andererseits dürfen sie sich nicht in allzu große Abhängigkeit begeben.

Was bedeutet das für die freie Presse? Wie viele kritische Berichte über Facebook landen im Newsfeed? Würde Facebook missliebigen Medien den Hahn zudrehen? Technisch wäre das kein Problem. Bedenkt man, dass der Facebook-Investor Peter Thiel mit seiner klandestinen Prozessfinanzierung das Online-Magazin Gawker in die Insolvenz trieb, kann man erahnen, welches Verhältnis einige Strippenzieher zur Pressefreiheit haben: gar keines.

In Großbritannien wird gerade ein Vorstoß der News Media Association, einem Dachverband der Zeitungsverlage, diskutiert, der eine Abgabe von Netzwerkkonzernen fordert. Dafür, dass Facebook und Google den Anzeigenmarkt disruptiert haben, sollen die Konzerne eine jährliche Ausgleichszahlung an einen Journalismusfonds leisten.

Mehr als drei Milliarden Dollar haben Google und Facebook in journalistische Projekte investiert

Facebook hat, ähnlich wie Google mit seiner "News Initiative", ein eigenes Journalismus-Projekt, "Facebook Journalism Project", aus der Taufe gehoben, bei dem neben der gemeinsamen Entwicklung von Nachrichtenprodukten auch Schulungen und Tools für Redaktionen angeboten werden. Facebook und Google gehören mittlerweile zu den größten Sponsoren des Journalismus, nach einem Bericht der Columbia Journalism Review haben die beiden Konzerne in den vergangenen drei Jahren mehr als drei Milliarden US-Dollar in verschiedene journalistische Projekte und Medienpartnerschaften investiert. Der Datenjournalist Nicolas Kayser-Bril argumentiert trotzdem, dass es Google nicht um Journalismus gehe, sondern bloß um Content. Google könne neben Fakes genauso gut Anzeigenplätze verkaufen wie neben Fakten. Das gleiche ließe sich auch für Facebook behaupten. Dem Konzern geht es darum, klickfähigen Content in sein Netzwerk einzuspeisen.

Die "personalisierte Zeitung" ist eine blitzscharfe Zeitdiagnose, weil die Facebook-Chronisten jedes Lebensereignis für eine Nachricht halten. Hier muss man Zuckerberg hermeneutisch verstehen: Das Ziel, die "perfekte personalisierte Zeitung" zu kreieren, bedeutet nicht nur, das Geschäftsmodell Zeitung zu attackieren, sondern auch, die Kriterien für Relevanz umzucodieren. Der "News"feed bei Facebook suggeriert zwar Nachrichtliches, liefert aber bloß Neuigkeiten aus der eigenen Umgebung. Die "Meldung" von der Hochzeit des Freundes ist genauso "News" wie ein Hurrikan in den USA. Hyperpersonalisierung entwertet alles, was für eine kritische Öffentlichkeit konstitutiv ist.

Man muss Mark Zuckerbergs Sentenz in ihrer ganzen Doppelbödigkeit ausdeuten: Wenn die Menschen die "perfekte personalisierte Zeitung" lesen, lesen sie eben keine Zeitung, sondern ein Anzeigenblatt.

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