Ex-Chefredakteurin der New York Times:Großartige Journalistin, schlechte Managerin

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Eigenschaften, die einen Mann als führungsstark auswiesen, würden einer Frau vorgehalten, kritisiert Jill Abramson. (Foto: Augusto Casasoli/A3/contrasto/laif)

Bis zu ihrem Rauswurf war Jill Abramson die erste Frau an der Spitze der "New York Times". Sie sieht sich als Opfer der Medienkrise, doch um den Journalismus ist ihr nicht bange. Ein Treffen mit einer wütenden Optimistin.

Von Alexandra Borchardt

Diese Frau ist wütend, und sie zeigt es. Wütend über Leute wie den 27-jährigen Matt Boyle, Breitbart-Korrespondent im Weißen Haus, die noch nichts gerissen haben im Journalismus und nun in rechten Medien Propaganda machen.

Wütend auf Facebook und Google, weil die Portale kilometerweise teure Recherchen der großen Tageszeitungen veröffentlichen, ohne dafür einen einzigen Cent zu bezahlen. Und wütend auf Journalisten, die mit oberschlauen Kommentaren nur ihre persönliche Marke pflegen, statt hinauszugehen, zu recherchieren und mit Menschen darüber zu reden, was sie wirklich bewegt.

Jill Abramson, 63, ehemalige Chefredakteurin der New York Times und dort vor drei Jahren "gefeuert", wie sie gerne betont, doziert auf einem Podium in der American Academy in Berlin darüber, was derzeit nicht stimmt im Journalismus. Aber als dann ein Gewitter aufzieht draußen über dem Wannsee, muss sie doch schmunzeln. "Wir haben Wut und Zorn!", kommentiert sie das Donnergrollen, um dann später zu bekunden: "Ich bin eine Optimistin."

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Damit hatten ihre Kollegen nicht gerechnet: Jill Abramson ist ab sofort nicht mehr Chefredakteurin der "New York Times". Abramson war die erste Frau in dieser Position, und auch ihr Nachfolger bedeutet wieder eine Premiere.

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Vor allem, sagt sie, sei sie noch am Leben, das sei das Wichtigste. Und wer jetzt sofort "Aha!" denkt, liegt schon mal falsch. Denn damit spielt sie keineswegs auf ihren Rauswurf aus dem Olymp des Journalismus im Jahr 2014 an.

Zehn Jahre sei es jetzt her, als ein Lieferwagen sie am New Yorker Times Square niedergemäht habe, erzählt sie, es sei knapp gewesen. Danach habe sie neu laufen lernen müssen. So eine Kündigung dagegen, na ja, so etwas passiere vielen. Auch ihr Publikum scheint das locker zu sehen. Mehr als 200 Gäste sind an diesem Abend an den Wannsee gekommen, um ihr zuzuhören, der Saal ist voll.

Unter ihrer Führung gewann das Blatt acht Pulitzer-Preise. Diese Bilanz kann ihr niemand nehmen

Abramson liebt Sprache. Sie lässt sich Zeit mit ihren Sätzen, ihre Stimme knarzt etwas und hallt nach, ob sie auf der Bühne steht oder ob sie, wie später, mit einem Glas Weißwein auf einem Sofa hockt.

Sie ist eine von den Körpermaßen her kleine Frau, die Sprache hat sie groß gemacht. Erste Büroleiterin in Washington, erste geschäftsführende Redakteurin, erste Chefredakteurin der New York Times, die unter ihrer Führung acht Pulitzer-Preise gewonnen hat - diese Bilanz nimmt ihr niemand, auch wenn das Ende jäh und unschön war.

Verleger Arthur Sulzberger hatte Abramson nach drei Jahren an der Spitze der Redaktion entlassen. Vor allem Kritik an ihrem ruppigen Führungsstil drang nach draußen. Sie selbst sagt dazu: "Ich wurde als stur betrachtet und nicht enthusiastisch genug dabei, mit der Redaktion Produkte zu entwickeln, die der Zeitung Geld bringen."

Der Druck dafür sei mit der Medienkrise gestiegen und laste auch heute auf den Kollegen. Dafür sei sie nicht die Richtige gewesen. "Ich glaube, dass ich eine großartige Journalistin bin. Ich glaube nicht, dass ich die beste Managerin bin." Management-Training habe sie nie bekommen.

Außerdem habe sie es versäumt, um sich herum ein Team aufzubauen, dem sie vertrauen konnte. Die Büro-Politik vernachlässigt also, ein klassischer Fehler. Die Kritik an ihrem Führungsstil dagegen nennt sie einen double standard, da werde mit zweierlei Maß gemessen. Eigenschaften, die einen Mann als führungsstark auswiesen, würden einer Frau vorgehalten. Hillary Clinton könnte davon berichten.

Nach ihrer Kündigung sah man erst mal nichts von Abramson außer einem Bild von ihr mit Boxhandschuhen, das ihre Tochter auf Facebook gepostet hatte. Jetzt ist sie schon länger wieder im Geschäft.

Sie unterrichtet Journalismus in Harvard, wo sie selbst studiert hat, schreibt eine Kolumne für den britischen Guardian, arbeitet an einem Buch und - sie nennt es ihren wichtigsten Job - kümmert sich unter der Woche um ihre 18 Monate alte Enkelin, während Tochter und Schwiegersohn in Boston lange Tage als Chirurgen schuften. "Ich wollte immer eine engagierte Oma sein, jetzt ist das schneller passiert, als ich gedacht hatte."

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An ihrer Tür klebe immer noch ein Schild mit der Aufschrift "Push" erzählt sie. T oo pushy, zu fordernd, diesen Stempel bekommen ehrgeizige Frauen öfter mal. Besser also stolz darauf sein.

Mit dem Transistorradio für den Beruf Feuer gefangen

Die Rückkehr nach Harvard ist auch eine zu ihren Wurzeln. Dort hatte Abramson Feuer gefangen für den Journalismus, damals, als Freshman im ersten Studienjahr, ausgerechnet während der Watergate-Affäre. "Es war Frühling, ich hatte ein Transistorradio. Damit habe ich den Anhörungen gelauscht, während ich für Prüfungen gelernt habe."

Die Washington Post mit den Geschichten von Bob Woodward und Carl Bernstein, die man damals im Harvard Square bekommen habe, sei immer schon zwei Tage alt gewesen.

Gestört hatte das Abramson offenbar nicht. Jedenfalls nicht so sehr wie die Atemlosigkeit des modernen Nachrichtengeschäfts. "Journalisten sind erschöpft von ihrem Arbeitstempo. Nachrichten seien wie ein Strom heißer Lava." Und natürlich müssen Journalisten diese Lava kanalisieren, sie profitieren davon.

Zum Beispiel von dem Dilettanten im Weißen Haus, er bringt reichlich Leser. Seit seiner Wahl habe allein die New York Times 380 000 neue Digital-Abos verkauft. "Trump ist gleichbedeutend mit Gewinnen", sagt sie. Und auch die sozialen Medien funktionierten so: Je extremer die Botschaft, umso mehr Geld ist zu verdienen.

Ärgerlich findet Abramson allerdings, dass den Großteil der Profite jene Konzerne einstreichen, die keinerlei Inhalte selbst erarbeiten: Facebook und Google. "Sie sollten verpflichtet werden, die Medienhäuser finanziell zu unterstützen, deren Nachrichten sie verbreiten", wettert sie. Sonst müsste man sie zerschlagen.

Lob hat sie nur für Amazon-Chef Jeff Bezos übrig, seit 2013 Eigentümer der Washington Post. Er wahre deren Interessen bislang wunderbar.

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"Letztlich wird Trump gut sein für den Journalismus. Er beflügelt die investigative Recherche." Nach Abramsons Geschmack müssten Redakteure allerdings stärker "die Spreu vom Weizen trennen". Vor allem Leser, die ihre Nachrichten auf dem Smartphone lesen, kämen gar nicht mehr zu den anderen Themen, wenn sich die ersten sieben bis acht Texte ausschließlich mit dem Präsidenten beschäftigten. Auch das sei Desinformation.

"Geht raus!"

Um den Journalismus generell ist es Abramson nicht bange. "Der Mensch liebt gute Geschichten, es wird immer einen Appetit darauf geben." Die Art des Geschichtenerzählens werde sich natürlich ändern.

Für junge Journalisten hat sie ein paar Ratschläge: "Geht raus! Bleibt nicht an euren Bildschirmen hängen, um dort Inhalte herauszukratzen und zu recyceln." Journalisten sollten auch aufhören, zu Pressekonferenzen zu pilgern. Und wenn sie ins Land hinausziehen, dann bitte nicht alle in denselben Coffeeshop in Kentucky. Und dann sollten sie zuhören und offen sein, bevor sie sich ihre Meinung bilden. "Wenn du auf Reportage gehst ohne die Bereitschaft, dich überraschen zu lassen: Vergiss es!"

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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