Süddeutsche Zeitung

Eurovision Song Contest:"Puh"

Eine nervöse Lena und ein Moderator, der vor lauter Sorge um seinen Schützling fast das Witzemachen vergisst - Stefan Raabs Countdown zum Eurovision Song Contest, live aus Oslo.

Johannes Waechter

Wie gut, dass der Eurovision Song Contest nicht in Mazedonien, Aserbaidschan oder anderen Kleinstaaten stattfindet, über die noch nicht genug Klischees im Umlauf sind. Dann hätte Stefan Raab womöglich nicht genug Stoff, um diese Woche seine Sendung zu füllen. Aber Norwegen? Da denkt doch jeder gleich an so schöne Dinge wie Fjorde, selbstgestrickte Pullis, Skispringen und die Mitternachtssonne. Gerade auch Fernsehmoderatoren.

Erst wenige Minuten des ersten TV Total Oslo Spezials waren verstrichen, da hatte der Gastgeber von seinem improvisierten Dachstudio schon hinüber zum Oslofjord und zur Sprungschanze am Holmenkollen gezeigt sowie auf die irre Tatsache hingewiesen, dass die Sonne im norwegischen Sommer einfach nicht untergehen will. Und als Stargast Lena Meyer-Landrut die Treppe heraufkam, trug sie eine Strickjacke im Norwegermuster. Um das Gastgeberland, das machte dieses Übermaß an Klischees schnell klar, geht es Stefan Raab diese Woche also bestimmt nicht.

Lena ist "katastrophal aufgeregt"

Aber worum geht es ihm dann? Den Ausgang des Eurovision Song Contest kann er mit TV Total nicht beeinflussen, denn die Menschen in Mazedonien, Aserbaidschan und den anderen Kleinstaaten, die am Sonnabend für Lena stimmen sollen, können die Sendung, wenn sie gestern abend nicht zufällig ihre Satellitenschüsseln gedreht haben, gar nicht empfangen. Geht es ihm also nur einfach darum, mit seiner Entdeckung noch ein paar Sendungen zu füllen, womöglich gar ohne Rücksicht auf das Ruhebedürfnis und angespannte Nervenkostüm einer Newcomerin, die von der Hannoveraner Gesamtschule direkt auf die Bühne eines der größten TV-Ereignisse der Welt katapultiert wurde?

Oder liegt in der Tatsache, dass Lena vor ihrem großen Auftritt am Samstag noch Abend für Abend bei TV Total auftritt, ein subtiles Ablenkungsmanöver, dass dieser talentierten, aber bühnenunerfahrenen Sängerin auf den letzen Metern noch ein wenig Kamerahärte und Routine verschaffen soll? Denn dass Lena "katastrophal aufgeregt" ist, sieht man ihr nicht nur an, das hat sie gestern abend auch selbst gesagt. Ort der Sendung ist das mitten in Oslo gelegene Haus der norwegischen Arbeiterpartei, in dessen zwölften Stock Raab nun für vier Tage eingezogen ist.

Die wuchtigen Ledersessel aus seinem Kölner Studio hat er mitgebracht und auch Elton und die Band The Heavytones sind dabei, ansonsten wirkt alles eher improvisiert: Gerade mal vierzig Menschen passen in das Studio hinein, und seinen Schreibtisch muss Raab mangels Mechanismus diesmal selbst hin und her schieben. Zuerst redet er mit Lena auf der Dachterrasse des Studios ("... diese Mitternachtssonne"), dann geht es drinnen weiter, beide Male will das Gespräch trotz beflissener Scherze über die Grand-Prix-Konkurrenten aus Holland und Großbritannien nicht so recht in Gange kommen.

"Das ist ganz schön groß"

Aufschlussreicher sind die beiden Einspielfilme. Der erste zeigt Raab und Lena bei einer gemeinsamen Kutschfahrt durch Oslo. Während Raab nach Kräften mit der Touristenführerin schäkert, ist Lena mit den Gedanken ganz woanders: Gedankenverloren zupft sie beim Vorbeifahren Blätter von den Bäumern und dreht der Kamera gerne auch mal den Rücken zu. Der zweite Film zeigt sie bei ihrer ersten Probe am Ort des Wettbewerbs. Schon im Bus, der sie zur Telenor-Arena bringt, prophezeit sie: "Ich breche zusammen, wenn ich die Halle sehe." Und als sie dann im Zuschauerraum steht, sagt sie nur: "Puh." Pause. "Das ist ganz schön groß". Dabei wirkt ihr Lächeln ausnahmsweise nicht so locker wie sonst, sondern ein kleines bisschen gequält.

Als der Film vorbei ist, kommt Alexander Rybak die Treppe hinauf und nimmt neben Lena Platz. Rybak gewann den letztjährigen Eurovision Song Contest, seinen Song Fairytale hat man inzwischen wieder vergessen, in Erinnerung blieb jedoch das furiose Gefiedel, mit dem er seine Darbietung anreicherte. Kaum sitzt Rybak auf seinem Sessel, wird ein kurzer Clip mit seiner siegreichen Performance eingespielt, und schlagartig merkt man, wie berechtigt Lenas Nervosität ist: Zwar hat sie jede Menge Charme und Talent, aber von der Selbstsicherheit und Professionalität, mit der Rybak im vergangenen Jahr gewann, ist sie im Moment noch weit entfernt. Das ahnt bestimmt auch Stefan Raab, und so wird er die Hoffnung haben, in der kurzen Zeit bis zum Showdown noch möglichst viel davon aus Lena herauszukitzeln - mittels Intensivkurs in Sachen Showbusiness. Ausruhen kann sie sich dann nach dem Wettbewerb. Wenn es die Mitternachtssonne zulässt.

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