Eurovision Song Contest:Nehmt der ARD den ESC weg!

Eurovision Song Contest: Xavier Naidoo bei einem Auftritt im bayerischen Benediktbeuern.

Xavier Naidoo bei einem Auftritt im bayerischen Benediktbeuern.

(Foto: WOR)

Jetzt singt Xavier Naidoo doch nicht für Deutschland. Weil die "Wucht der Reaktionen" die Verantwortlichen überrascht hat. Das ist lächerlich und hinterlässt ausschließlich Verlierer.

Kommentar von Michael König

15 aus 15 klein 560

Best of SZ.de 2015 - immer zum Jahresende sammeln wir die Lieblingsgeschichten der Redaktion, die am häufigsten von Lesern weiterempfohlen wurden. Diese Geschichte ist eine von ihnen. Alle lesen...

Zwei Tage, vier Stunden und 55 Minuten - so lange währte die Karriere von Xavier Naidoo als deutscher Repräsentant in Stockholm. Am Donnerstagmorgen hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in einer Pressemitteilung die völlig überraschende Hinterzimmer-Entscheidung verkündet, wonach der Sänger ("Dieser Weg wird kein leichter sein") für Deutschland am Eurovision Song Contest teilnehmen werde. Statt wie in den Jahren zuvor in mehreren, zum Teil quälend langen Runden eine Jury und das Publikum über den Künstler entscheiden zu lassen, sollte nun nur noch das Lied zur Wahl stehen.

Naidoo sei ein "Ausnahmekünstler", ließ sich Thomas Schreiber damals zitieren. Schreiber ist ARD-Unterhaltungskoordinator - und er steht jetzt wie ein Depp da, wie der Umfaller der Nation. Am Samstag legte der NDR eine neue Pressemitteilung nach: Kommando zurück, Xavier Naidoo fährt doch nicht zum ESC nach Stockholm. "Die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt", wird Schreiber zitiert. Auf welchem Planeten lebt der Mann, wer hat ihn beraten?

Damals war Kalter Krieg, heute ist es heißer

Es war vollkommen klar, dass die Öffentlichkeit den Künstler Naidoo auf seine ESC-Tauglichkeit hin überprüfen würde. Der Sangeswettbewerb ist - so albern und kitschig er auch daherkommen mag - eine hochpolitische Angelegenheit. Er steht für den Zusammenhalt der Völker in Europa, für Toleranz und einen friedlichen Wettbewerb. "Ein bisschen Frieden" war 1982 nicht umsonst der Gewinnertitel der Ralph-Siegel-Schöpfung Nicole.

Damals war Kalter Krieg, heute ist es heißer. In Paris sterben Menschen, in Hannover und Brüssel herrscht Terroralarm. Kaum Anlass zur Hoffnung, dass sich die Lage bis zur ESC-Austragung im Mai 2016 zum Besseren ändert. Die Interpreten beim ESC werden gegen die Angst ansingen müssen, der ESC ist "ein fröhliches Event, bei dem die Musik und die Völkerverständigung im Mittelpunkt stehen sollen". Das sagt - es ist wirklich absurd - wiederum Thomas Schreiber.

Warum hat er dann trotzdem auf Naidoo gesetzt? Auf einen Sänger, der vor Reichsbürgern aufgetreten ist, der die Souveränität Deutschlands in Frage stellt und sich gegenüber Homosexuellen zumindest mehrdeutig ausgedrückt hat? In den Augen vieler Kommentatoren und eines Teils der Öffentlichkeit besteht er den Test nicht. Er kommt für sie nicht als Repräsentant Deutschlands in Frage. Und wenn die ARD das Publikum vorher nicht fragt, dann muss sie mit der heftigen Kritik leben.

Auch Naidoo steht wie ein Depp da

"Naidoo ist weder rassistisch noch homophob", sagt Schreiber. Das mag sein, das ist schon der Fairness halber nicht völlig auszuschließen. Vielleicht war alles ein Missverständnis. Warum aber hat die ARD dann nicht den Mumm bewiesen zu ihrer Entscheidung zu stehen? Warum hat sie Naidoo nicht in eine ihrer vielen Talkshows gebeten, ihn sich dort erklären lassen?

So steht nun auch Naidoo wie ein Depp da. Er ist durch die Entscheidung der ARD nun endgültig in die rechte Ecke gestellt worden, in die er - laut ARD - nicht gehört. Dass er nicht nachtritt, dass er die Entscheidung auf Facebook akzeptiert, macht die Sache nur leidlich besser.

Es gibt nur Verlierer in dieser Affäre, inklusive des Wettbewerbs, der nun durch das Hin und Her belastet ist. Völlig offen, wie nun der deutsche Teilnehmer bestimmt wird. Er ist in jedem Fall nur die zweite Wahl, er - oder sie - ist nur der Nachfolger des gescheiterten Naidoo. Das hat er oder sie nicht verdient, und auch der ESC nicht, der doch ein Fest sein soll, ein Fest der Völkerverständigung.

Das ist ein Anlass darüber nachzudenken, ob die ARD der richtige Sender für diese Veranstaltung ist. Eigentlich müssten jetzt Profis ans Werk.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: