Eurovision Song Contest 2011:Hauptsache, der Look stimmt

Ein ARD-Mann hat den längsten Titel, der Oberbürgermeister gerät in Zeitnot und Lena verteilt Kuchen an die Journalisten und Blümchen an die Düsseldorfer: Ein Besuch bei den Vorbereitungen zum ESC in Düsseldorf.

Hans Hoff

Lena serviert Apfelkuchen. "It's Tea Time", ruft die 19-Jährige den Journalisten zu, die am Ende der vergangenen Woche in einer zum Medienzentrum umfunktionierten Düsseldorfer Sporthalle auf die nächste Pressekonferenz mit ihr warten. Die Siegerin des Eurovision Song Contest (ESC) von 2010 reicht Gebäck und posiert gezielt vor allen Kameras.

Willkommen beim ESC. Worum geht es hier eigentlich? Um Lena Meyer-Landrut, um Musik, um Gebührenverschwendung oder die Wahrheit? Es geht um Kuchen. Lena verteilt die Stücke. Das ist ein symbolisches Bild.

Ohne sie gäbe es kein ESC-Finale in Düsseldorf, keine ARD, die sich mit angeblich nur zwölf Millionen Euro fast wie ein kommerzielles Unternehmen beim ESC engagiert. Viele meinen, dass die Landesrundfunkanstalten des Ersten zusammen bis zu 20 Millionen aufbringen müssen für Herstellung und Ausstrahlung der Wettbewerbe und des Finales an diesem Samstag.

In Düsseldorf wird die ARD gerade von Thomas Schreiber vertreten. Schreiber, leitet beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) die Unterhaltung, und in der ARD koordiniert er sie. Der NDR fabriziert die Marke ESC in Deutschland mit Pro Sieben, Stefan Raab und der Firma Brainpool.

Schreiber nennt sich in diesen Tagen "Head of ARD ESC Team/Executive Producer Show". Er hatte im vergangenen Jahr die ARD-Kooperation mit Raab und Pro Sieben maßgeblich betrieben. Als Lena in Oslo den Sieg holte, feierte Schreiber mit. Als Lena zum Rathausempfang in ihrer Geburtsstadt Hannover eintraf, klatschte NDR-Intendant Lutz Marmor Beifall. Marmor stand dabei so in ihrer Nähe, dass man dachte, er sei ihr Manager und nicht ein öffentlich-rechtlicher Amtsträger.

"Wir liegen ungefähr im Korridor von Oslo", sagt Schreiber, wenn man ihn jetzt nach den Kosten fragt. In Oslo hat der norwegische Sender 16,25 Millionen Euro aufgewendet und musste dafür ein paar Sportrechte veräußern. Dazu kamen 8,75 Millionen Euro aus Einnahmen wie Eintrittskarten oder Sponsorengeldern.

80.000 Tickets bereits verkauft

Rund 25 Millionen Euro werden es auch in Deutschland werden. Auf 12,1 Millionen ist der ARD-Anteil berechnet. Über 80.000 Tickets seinen bereits verkauft für die vier Veranstaltungen in dieser Woche, wurde vermeldet. So viele wie noch nie bei einem ESC.

Das Juryfinale an diesem Freitag und das Finale gelten als ausverkauft. Die Stadt Düsseldorf hat 1000 Tickets verlost. Wer eine der bis 189 Euro teuren Karten für eine der Finalshows gekauft hatte, bekam Halbfinaltickets zum Preis von fünf Euro.

Ein paar Stockwerke über der Bühnenebene in der umfunktionierten Düsseldorfer Fußball-Arena stehen 26 nach oben offene Boxen. In denen dürfen sich die Delegationen auf ihren Auftritt vorbereiten.

Davor liegt eine so genannte Lounge. Hier treffen die Künstler aus 43 Nationen aufeinander, wenn sie das denn wollen. Es gibt auch was zu essen. Ein Sandwich kostet drei Euro, ein Schokoriegel 1,50 Euro.

Thomas Schreiber zeigt die Garderoben vor, die Maske, den so genannten Green Room hinter der Bühne, in dem die Delegationen nach ihrem Auftritt auf die Abstimmungsergebnisse und auf die legendären twelve points oder douze points warten.

Auf die Delegationsebene dürfen nur Künstler, Funktionäre und Leute wie Schreiber, die den richtigen Pass um den Hals tragen. Schreiber hat A1. Er ist quasi Hausherr in der Arena. Er darf auch nicht akkreditierte Personen mitnehmen.

Eine Zigarette zwischen zwei Proben

Schreiber darf überall hin: zu den Künstlern, auf die Bühne und auch in den so genannten TV Compound, wo Generatoren und Übertragungswagen einen schwer überschaubaren Containerpark bilden. "Die technischen Anforderungen und der organisatorische Aufwand bei 43 Delegationen sind vergleichbar mit Olympischen Spielen oder einer Fußball-WM", sagt Schreiber.

"Es gibt in Europa keine größere Fernsehproduktion", sagt Florian Wieder. Im Delegation Handbook wird Wieder unter "Production Design"geführt, was fast ein wenig untertrieben ist, denn der 43-Jährige hat all das, was man sieht, entworfen.

Eine runde Bühne mit 13 Metern Durchmesser, die fast im Zentrum der Halle steht, die Lichttechnik und eine gigantische LED-Wand, auf die sich alles projizieren lässt, was in einen Computer passt. Nun hockt er auf den Stufen vor der Arena und raucht eine Zigarette zwischen zwei Proben.

Wieder zählt zu denen in der ESC-Organisation, die tatsächlich keine Zeit haben, doch er vermittelt einem das Gefühl grenzenloser Gesprächsbereitschaft. Am nächsten Tag muss er in die USA jetten, um sich in einer anderen Sache zu besprechen. Ein kurzer Trip, in Düsseldorf brauchen sie ihn, und bei Wetten dass...? verlassen sie sich auf ihn.

Er baut Sets für DSDS, hilft The Who beim Auftritt in der Superbowl-Halbzeit. Und als U2 20 Jahre nach dem Mauerfall in Berlin spielte, hat Wieder das Brandenburger Tor so kunstvoll beleuchtet, dass es wirkte, als werde es während des Songs ab- und aufgebaut.

Der ESC "sollte nicht so supertechnisch wirken, aber auch nicht unmodern", sagt Wieder. Kernstück der Show ist die LED-Wand, auf der so große Bilder so machtvoll erscheinen.

Raab hinterm Regiepult

Auch die runde Bühne ist wichtig. Sie ist aber nicht so groß wie vor zwei Jahren beim ESC in Moskau. "Auf einer zu großen Bühne sehen die Künstler sehr verloren aus", sagt Wieder. Er will die Sänger in den Mittelpunkt stellen. Die Kameras sollen sie so einfangen können, dass sie den Zuschauern nahe kommen können und trotzdem eine Ahnung davon entsteht, was sich in der Halle tut.

Auch NDR-Mann Schreiber kennt sich aus. "Es geht um die richtige Mischung zwischen der Intimität mit einem Künstler auf der Bühne und darum, gleichzeitig klarzumachen, dass auch noch 36.000 andere Menschen da sind. Wenn wir gut sind, gelingt uns das."

Schreiber zeigt auf das Regiepult, das vor der Bühne aufgebaut ist. Dort steht Jörg Grabosch. Im "Delegation Handbook" heißt Grabosch "Producer TV Show", aber er ist viel mehr. Nicht wenige halten ihn für den eigentlichen Lenker der Show. Grabosch ist einer der Chefs von Brainpool. In die vielen Brainpool-Hände hat die ARD die Produktion des ESC gelegt.

Auf den Ablaufplänen der vielen ESC-Sendungen, die in dieser Woche das Programm von ARD und Pro Sieben dominieren werden, steht immer erst "Brainpool" und dann "Das Erste". An allen entscheidenden Stellen sitzt bewährtes Brainpool-Personal. Stefan Raab ist mit 12,5 Prozent an Brainpool beteiligt, Brainpool wiederum gehören 50 Prozent an Raabs Firma Raab TV. Brainpool und Raab sind schwer zu trennen, so soll das wohl auch sein.

Bei Lenas erster Probe sitzt Stefan Raab hinterm Regiepult. Immer wieder beugt er sich vor zu Grabosch und Schreiber. Wer das gesehen hat, fragt sich nicht länger, wer hier die Fäden zieht.

Die Fäden in der Gastgeberstadt soll offiziell Dirk Elbers in der Hand halten, der Düsseldorfer Oberbürgermeister. Zurzeit beglückt er täglich drei bis vier ESC-Begleitveranstaltungen mit seiner Anwesenheit.

Danke fürs Beherbergen

Weil Englisch beim ESC Arbeitssprache ist, muss auch Elbers fremdsprachlich ran. Tut er das, wirkt es, als habe er einen Fernkurs in der Günther-Oettinger-Sprachschule absolviert. Ein Gespräch mit ihm, gerne in deutscher Sprache, kommt nicht zustande. Das werde wohl nicht klappen, heißt es aus seinem Büro.

Im Erdgeschoss des Rathauses ist eine ESC-Journalistenlounge eingerichtet, in die sich kaum je ein Journalist verirrt. Gelegentlich wird eine Touristengruppe durch die menschenleere Lounge geführt. Plötzlich, man ist sehr überrascht, steht Elbers im Raum: "Our Lordmayor", sagt die Touristenführerin. Elbers fragt die Gäste: "Your first time in Düsseldorf?" Und man denkt, das ist ja praktisch: Eine Frage, Herr Elbers. "Da kriege ich aber Ärger mit meinem Büro", antwortet der Lordmayor, redet dann aber doch darüber, dass die ARD natürlich Miete für die Fußball-Arena zahle, über die "dollen" Möglichkeiten für die Stadt Düsseldorf, ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Er spricht von den zehn Millionen Euro, die er besorgt habe für die Betreuung der Delegationen, für Broschüren, für Veranstaltungen und für Stadtrundfahrten, die den über 2000 akkreditierten Journalisten angeboten werden.

Allein drei Millionen hat der Aufbau eines provisorischen Fußballstadions gekostet. Dort absolviert Zweitligist Fortuna Düsseldorf Heimspiele, die eigentlich im Arena-Terminplan standen. Sechs Wochen vor dem Finale begannen die Vorbereitungen für die Sendungen des ESC. Die Fortuna musste in der Zeit ausquartiert werden.

Ein umfangreiches Beiprogramm hat die Stadt Düsseldorf auf die Beine gestellt. Das wenigste erfüllt die professionellen Standards, die sich der ESC selbst setzt. So hat ein für diesen Samstag geplanter Schützenumzug vorab die Gemüter erregt. "Wir müssen aufpassen, dass das Ganze nicht in ein provinzielles Theater abfällt", sagt Günter Karen-Jungen. Der Grünen-Politiker betont auch die Chancen, die der ESC für die Stadt bietet, warnt den Rathauschef aber vor Überschätzung. "Der OB muss lernen, dass es nicht sein Ereignis ist, sondern das der ganzen Stadt."

In der taucht dieser Tage schon mal unvermittelt Lena auf und verteilt auf der Straße Blümchen. Als Dank fürs Beherbergen. Natürlich ist ein Kamerateam dabei. Natürlich, aber nichts wirkt wirklich natürlich beim ESC. Für Thomas Schreiber ist das ganze Unternehmen seine persönliche Reise zum Mond, für Florian Wieder die größte TV-Show nach dem Superbowl und für Lena manchmal nur die Ablenkung von eigentlichen Hobbys. "Kann mal jemand tickern, wie es beim FC steht", fragt sie am Samstagnachmittag mitten in der großen Probe von der Bühne herab. Als dann jemand "Eins zu Null für den FC Köln" ruft, hebt Lena die Arme hoch in die Luft. Eine Siegerpose für Köln ausgerechnet am derzeit wichtigsten Ort in Düsseldorf: Allaf.

Es geht also um Nichts beim ESC, den Einsatz von Gebührenmillionen einmal ausgenommen. Aber das Nichts muss gut aussehen. Es wird gut aussehen, dafür sorgt sicher der technische Bombast, der allerdings in krassem Missverhältnis stehen wird zur Qualität der gebotenen Lieder. Thomas Schreiber hält sich aus Diskussionen um Qualität in der Musik heraus. Man kann höchstens ahnen, was er denkt. Offiziell antwortet er diplomatisch. "Die Entscheidung, welche Komponisten, welche Lieder, welche Künstler auf die Bühne kommen, ist eine Entscheidung, die von den Zuschauern in den einzelnen Ländern getroffen wird. Unsere Aufgabe ist es, ein perfekter Gastgeber für die Bühnenauftritte zu sein." Klar, Hauptsache der Look stimmt.

Aber ist man aufgrund einer zweistelligen Millioneninvestition automatisch ein perfekter Gastgeber? Zurück zur "Tea Time" mit Lena. HANS HOFF

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