Europäische Union:Wie Brüssel die Medienfreiheit erzwingen will

Europäische Union: Weniger mit der ARD befasst, denn mit Ungarn: Vera Jourova, Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Weniger mit der ARD befasst, denn mit Ungarn: Vera Jourova, Vizepräsidentin der EU-Kommission.

(Foto: Christoph Hardt/Imago)

Kommissarin Jourová legt ein Gesetz vor, das vor allem auf Viktor Orbán zielt, aber ganz Europa reglementieren soll. Zu viel des Guten?

Von Josef Kelnberger

Ja, sagt Věra Jourová, sie verfolge die Schlagzeilen um die ARD sehr genau. Aber keinesfalls ziele ihr Gesetz zur Sicherung der Medienfreiheit in Europa (European Media Freedom Act) auf deutsche Missstände ab. Die Aufarbeitung der Affäre Schlesinger sei aus ihrer Sicht geradezu ein Beispiel dafür, wie gut das öffentlich-rechtliche System in Deutschland funktioniere.

Und nochmals ja, sagt die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, sie habe davon gehört, dass die deutschen Verlegerinnen und Verleger fürchten, von der EU entmachtet zu werden. So war das jedenfalls in einer Stellungnahme des Bundesverbandes BDZV angeklungen. "Ein Missverständnis", sagt Jourová. Vielmehr wolle die EU ihnen helfen, ihre Unabhängigkeit und jene ihrer Belegschaft zu wahren.

Deutschland, sollte das heißen, steht nicht im Fokus des Gesetzes, das die Kommissarin am Freitag in Brüssel vorstellte. Vielmehr ist es wohl so: Ohne deutsche Hilfe wird Věra Jourová das Gesetz nicht durchsetzen können. Die Tschechin erwartet in den nun folgenden Verhandlungen mit dem Parlament und vor allem dem Rat der 27 Mitgliedstaaten einen "großen Kampf". Widerstand dürfte es vor allem aus Staaten geben, die sie in ihrer Pressekonferenz nannte: Ungarn und Polen, aber auch Slowenien. Aber Skepsis herrscht auch anderswo.

Öffentlich-rechtliche Medien sollen nachhaltig finanziert und nicht zu Propagandainstrumenten der Regierungen umfunktioniert werden. Die Staaten dürfen die Vergabe von Werbegeldern nicht benutzen, um genehme Medien zu bevorzugen, und die Erteilung von Lizenzen nicht vom Inhalt der Berichterstattung abhängig machen. Die Öffentlichkeit muss detailliert über die Besitzverhältnisse in den Medien informiert werden. Redaktionen und einzelne Redakteure dürfen nicht vom Staat ausgespäht, Quellen müssen geschützt werden. Das sind einige der Leitlinien, die in dem Gesetzentwurf stehen. Zur Umsetzung und Überwachung soll ein, von der EU-Kommission unabhängiges, Gremium namens "European Board for Media Services" gegründet werden, besetzt mit Fachleuten aus den Mitgliedsländern.

Letztlich könnte die EU Millionenstrafen verhängen

Mit dem Gesetz würde die EU-Kommission ihre Kompetenzen in der Medienregulierung beträchtlich ausweiten. Sie bekäme die Möglichkeit, gegen die Mitgliedsstaaten mit ihrem üblichen Instrumentarium - vom "Dialog" bis zum Vertragsverletzungsverfahren - vorzugehen, am Ende könnten Millionenstrafen stehen. Jourová ist in der Kommission speziell für "Werte und Transparenz" zuständig, stellt die jährlichen Rechtsstaatsberichte zusammen und hat zu erkennen gegeben, dass vor allem die Zustände in Ungarn der Anlass für das Gesetz sind. Dort hat Viktor Orbán sich eine Medienlandschaft nach seinem Gusto zurechtgeschneidert.

Die Frage ist nun, ob es die Missstände in einigen Ländern rechtfertigen, mit einem Gesetz gegen alle 27 Mitgliedsstaaten vorzugehen. Auch im Europaparlament gibt es kritische Stimmen. "Statt mehr europäische Presseaufsicht wäre mehr europäische Presseförderung sinnvoller", sagte Moritz Körner, der innenpolitische Sprecher der FDP. Petra Kammerevert, medien- und kulturpolitische Sprecherin der Europa-SPD, warnte davor, in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einzugreifen. Sie stellte auch infrage, ob das neue Aufsichtsgremium wirklich unabhängig von der EU-Kommission sein könne. Zustimmung äußerte Sabine Verheyen (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europaparlament. Sie mahnte an, neben dem Schutz redaktioneller Unabhängigkeit brauche es "mehr Konvergenz der nationalen Regulierungsbehörden".

Věra Jourová weiß, auf welch heiklem Terrain sie sich mit diesem Gesetz bewegt. Sie sagte am Freitag, der Entwurf sei weder "eine Atombombe" noch "reine Kosmetik", sondern angemessen und pragmatisch. Die Medienfreiheit, ein Pfeiler der europäischen Demokratie, sei in Gefahr. Sie wolle deshalb ihr Projekt möglichst schnell durch die Mühlen der Brüsseler Gesetzgebung bringen.

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