Youtube-Talkshow:Der wichtigste Gast? Respekt!

Lesezeit: 6 Min.

In Esra Karakayas Online-Talkshow "Black Rock Talk" sprechen Menschen mit Migrationshintergrund über Diskriminierung in Zeiten von Hate Speech.

Von Jacqueline Lang

Am Anfang waren Süßigkeiten, Kopftücher und ordentlich Gänsehaut. Für die erste Folge ihrer Talkshow hatte Esra Karakaya im Juni 2018 fünf Frauen eingeladen, um mit ihnen über die damals aktuelle Fruchtgummi-Werbung zu sprechen, in der eine Frau mit Kopftuch zu sehen war. Im Nachhinein kam raus, dass das Model nur für den Clip das Kopftuch getragen hatte. Darüber sprach Karakaya mit ihren Gästen in der ersten Sendung. Denn: Sie alle tragen wie die Moderatorin ein Kopftuch - allerdings nicht nur für eine Werbekampagne, sondern als Teil ihrer Identität.

Eine Talkshow nur mit Frauen und alle tragen ein Kopftuch? "Ich kriege Gänsehaut, wenn ich nur daran denke", sagt Karakaya. Sie meint: Gänsehaut vor Freude. Denn Frauen mit Kopftuch im Fernsehen, die ihre Meinung sagen und nicht nur als Opfer dargestellt werden, sind immer noch eine Seltenheit. Und dann gleich fünf auf einmal? Karakaya ist stolz, dass sie das zumindest in ihrem eigenen Format zur Normalität machen kann.

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Das Kopftuch. Sie hat für sich entschieden, dass sie keine Fragen mehr beantwortet, die man ihr nur stellt, weil sie vermeintlich anders aussieht, als Fremde wahrgenommen wird. "Ich sehe es einfach nicht ein", sagt die großgewachsene Frau, die ein cremefarbenes Tuch kunstvoll um ihren Kopf geschlungen trägt. Ihr Hals bleibt dabei - anders als bei vielen anderen Kopftuchträgerinnen - unbedeckt. Karakaya ist sich sicher, dass schon allein die Art, wie sie ihr Kopftuch trägt, für viele "moderater und damit weniger gefährlich wirkt". Sie habe gelernt, das zu ihrem Vorteil zu nutzen, sagt sie. Eigentlich wäre es ihr aber am liebsten, wenn eine Frau, die einen Hijab trägt, irgendwann als normal empfunden würde. ZWITI

Weil Karakaya aber davon überzeugt ist, dass Veränderungen selten von alleine passieren, hat sie eben dieses neue, alternative Onlinetalkshowformat namens Black Rock Talk gestartet - mit einem Bachelor in Medienwissenschaften in der Tasche, einer Affinität zu Videos, aber ohne Budget und anfangs auch nur mit ein paar geliehenen Kameras von Freunden. Seit der dritten Folge dreht sie nun in den Räumlichkeiten des Communitysenders Alex Berlin, der Studio und Equipment kostenlos zur Verfügung stellt. Das sei ein großes Glück, sagt Karakaya, denn schon die Kosten einer einzigen Produktion lägen im fünfstelligen Bereich, schätzt sie.

Ander als andere junge Menschen mit Migrationshintergrund, die gerade mit vergleichsweise leicht zu produzierenden Podcastformaten wie Rice and Shine oder Halbekatoffl erfolgreich sind, hat sie sich bewusst für bewegte Bilder entschieden. "Es geht mir um die Sichtbarkeit von Menschen, die nicht weiß sind." Sichtbarkeit nimmt Karakaya dabei wörtlich. Ihr neues Format ist auf Youtube zu finden und soll eine Plattform sein für all jene, die, wie sie sagt, "sonst in deutschen Mainstreammedien absolut unter- oder falsch repräsentiert werden". Eine Ausgabe ihrer Show dauert zwischen 45 und 60 Minuten, alle sechs bis acht Wochen wird gedreht, die Themen sind vielseitig. Im Kern drehen sie sich aber vor allem um Rassismus und Diskriminierung. "Ich will, dass wir über Schmerzhaftes sprechen, aber mit popkulturellem Aufhänger", sagt Karakaya.

Ihr Masterstudium in Medienwissenschaft hat die 27-Jährige nach einer Woche abgebrochen. "2017 war das meine beste Entscheidung", sagt Karakaya und strahlt, an ihrem rechten Schneidezahn blitzt ein winzig kleiner Brillant. Alles, was sie im Studium gelernt habe, sei für sie "realitätsfern" gewesen. Wie viele andere Kinder von Migranten habe auch sie vor allem für ihre Eltern studiert. Ihre Talkshow, die macht sie für sich selbst. "Als Person, die tagtäglich marginalisiert wird, zu sagen 'Ich mach einfach das, worauf ich Bock habe', das ist für mich ein Akt des Widerstands." Karakaya ist in Berlin aufgewachsen, ständig laufen Menschen am Café vorbei, die sie kennt. Sie plaudert kurz, umarmt, lacht, weil eine vorbeilaufende Freundin bald wegzieht, machen sie auch schnell noch ein Erinnerungsbild. Es ist offensichtlich: Der Berliner Wedding, das ist ihr Zuhause. Trotzdem gehört Rassismus auch hier zu ihrem Alltag. Es einfach hinnehmen wolle sie nicht, sagt Karakaya. Für sie ist die Talkshow ihr Weg, der Welt zu zeigen: Hallo, hier bin ich, ich geh hier nicht weg - egal, ob es euch passt oder nicht. Statt mit ausgestrecktem Mittelfinger macht sie es mit einem großen, breiten Lächeln im Gesicht.

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Es ist Anfang April 2019. Karakaya nimmt die siebte Folge auf. Es geht um einen Smoothiehersteller und dessen letzte Werbekampagne. Vor allem in den sozialen Netzwerken war dem Unternehmen nach Veröffentlichung der Kampagne Rassismus vorgeworfen worden, sogar eine Petition gegen den Hersteller wurde gestartet. Die Frage, ob die Werbesprüche rassistisch gewesen sind, stellt sich für die Gäste am Tisch nicht, für sie ist das schlicht ein Fakt. Die Frage, der Karakaya mit ihren Gästen nachgehen will, geht deshalb darüber hinaus: Wäre es okay, wenn beispielsweise der Spruch "Schafft es selten über die Grenze" auf einer Flasche eines schwarzen Smoothies von einem schwarzen Geflüchteten verfasst worden wäre und dürfte man dann darüber lachen?

Karakaya führt Gäste und Zuschauer locker durch ihre Sendung. Anders als unter Talkshowmoderatorinnen sonst üblich, ist sie aber immer auch Teil der Diskussionsrunde. Schnell geht es nicht mehr nur um die Kampagne, sondern auch um sehr persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung: als Frau, als Transperson, als Mensch mit Migrationshintergrund oder einer Behinderung. Trotzdem sind die Antworten auf Karakayas Frage unterschiedlich: Die einen sagen, über gewaltvolle Erfahrungen dürfe nicht gelacht werden. Wer auch immer über solche Erfahrungen lache - egal ob betroffen oder nicht - müsse zur Verantwortung gezogen werden. Die anderen sind der Meinung, dass man zwar über gewaltvolle Erfahrungen anderer nicht lachen dürfe, man aber gleichzeitig von Diskriminierung betroffene Menschen nicht zensieren dürfe, diese also sehr wohl lachen dürften.

"Was ich mir in Deutschland wünsche: eine respektvolle Diskussionskultur"

Kurz vor Schluss bittet Karakaya ihre Gäste, aus einem Goldfischglas in der Mitte des Tisches je einen Zettel zu ziehen. Darauf stehen Situationen, über welche die Gruppe diskutieren soll. Auf einem steht ein Dickenwitz. Das sei Fatshaming, ist sich die Gruppe einig - auch Karakaya. Trotzdem muss sie im ersten Moment lachen. Häufig reagieren Menschen, die darauf hingewiesen werden, dass ihr Verhalten falsch ist, abwehrend, wollen sich sofort rechtfertigen. Karakaya tut nichts davon. Sie bleibt gelassen, hört zu, geht auf die Argumente ihrer Gäste ein. "Ich will mit dem Format Black Rock Talk vorleben, was ich mir in Deutschland wünsche: eine respektvolle Diskussionskultur", sagt sie. Ein solcher Satz von einer Moderatorin, er wirkt im ersten Moment banal. In Zeiten von Hate Speech und Fake News allerdings klingt er fast schon nach einer Vision.

Karakayas Gäste sind keine namhaften Experten und Prominente, sondern Menschen aus ihrem erweiterten Freundeskreis, wenn auch augenscheinlich solche mit einer gewissen Medienaffinität, Leute, die in den sozialen Netzwerken aktiv sind. Zum ersten Mal ist bei der Sendung im April sogar eine Person aus der Community dabei. Über Instagram hatte Karakaya dazu aufgerufen, sich bei Interesse zu melden. Zum Teil sei das Konzept einfach eine Frage von Ressourcen, sagt Karakaya: Eine Gage für einen Promi zu zahlen könne sie sich momentan einfach noch nicht leisten. Zum anderen sei es aber auch eine bewusste Entscheidung. Um mit anderen über Diskriminierung zu diskutieren, müsse man nicht berühmt sein. "Wir sind alle in irgendeiner Form politisch, aber es geht darum, dass wir uns auch gegenseitig das Gefühl geben, relevant zu sein mit unserer Meinung." Für Karakaya bedeutet das, dass eine Meinung auch dann zählt, wenn die Person nicht berühmt ist oder reich, studiert hat, männlich oder weiß ist.

Stolz ist sie deshalb auch darauf, dass ihre Zuschauer zu 75 Prozent aus nicht-weißen Communities kommen, zu fast 90 Prozent weiblich und im Schnitt zwischen 18 und 35 Jahren alt sind. Ähnlich divers ist auch Karakayas 15-köpfiges Team, das sich wie die Gäste aus Freunden und Bekannten zusammensetzt. Sie kümmern sich hinter den Kulissen um Kameraführung, Maske, Recherche und Social Media. Obwohl alle umsonst arbeiten, ist die Laune gut im Studio. Man merkt, alle sind mit dem Herzen dabei. Sollte sich irgendwann einmal ein Sender oder sonst jemand für ihr Format interessieren ist für Karakaya deshalb klar: Ihre Crew nimmt sie mit. Als Quotenmigrantin, die man vor die Kamera stellt und mit der man sich schmückt, will sie sich nicht abspeisen lassen. Teil eines Systems, in dem vor der Kamera eine farbige Frau mit Kopftuch steht und die Chefriege immer noch ausschließlich männlich und weiß ist, will sie nicht werden.

Bislang verdient Karakaya noch kein Geld mit ihrer Talkshow. Als Freelancerin arbeitet sie deshalb unter anderem für Datteltäter, ein Satireformat von jungen Muslimen auf Youtube. Karakaya hat dafür beispielsweise ein Video mit dem Titel "Wie schminken sich Hijabis wahrhaftig" gedreht. D atteltäter gehört zu Funk, dem jungen Online-Medienangebot von ARD und ZDF. Auch Karakaya kann sich vorstellen, irgendwann Teil eines solchen Netzwerks zu werden, ihr Herzensprojekt mit professioneller Hilfe weiter auszubauen. Den Bezug zur "Straße", wie sie es ausdrückt, will sie aber auch dann nicht verlieren: "Ich hoffe, dass wir uns immer treu bleiben."

Black Rock Talk , auf Youtube.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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