Süddeutsche Zeitung

ESC 2020:Wildes Hin- und Hergeschalte

Ein ausgefallener Eurovision Song Contest löst offenbar Phantomschmerz aus, den das Fernsehen lindern will. In ihrer Vielfalt sind diese Versuche so verwirrend wie der ESC selbst.

Von Hans Hoff

Es wird in diesem Jahr beim Eurovision Song Contest (ESC) keinen deutschen Beitrag auf einem der letzten Ränge geben, weil der für den 16. Mai geplante ESC ausfällt. Das kann man in der Reihung der vielen Misserfolge seit 2013, die nur 2018 von Michael Schulte und seinem tapfer errungenen vierten Platz kurz unterbrochen wurde, durchaus als positive Nachricht verbuchen. Nie wird man also erfahren, auf welchen Rang Ben Dolic mit seinem gesichtslosen Retortentitel Violent Thing für Deutschland gelandet wäre. Vielleicht besser so.

Vielfältig sind nun die Versuche, den Phantomschmerz, den ein ausgefallener ESC offenbar auslöst, irgendwie zu mildern. Da ist die ARD, die für den 16. Mai eigens die Elbphilharmonie angemietet hat, um vom Publikum auf der heimischen Couch einen "Sieger der Herzen" küren zu lassen. Zehn Kandidaten stehen zur Wahl, die eine Woche vorher in einer eigenen Show beim Digitalkanal One aus den Videos der eigentlich 41 für den ESC vorgesehenen Beiträgen ermittelt werden sollen.

Nach der Hamburger Show wird dann nach Rotterdam geschaltet, wo der ESC eigentlich stattfinden sollte und wo nun eine Art Gedächtnisveranstaltung über die Bühne gehen wird. Dort schaltet man dann zwei Stunden wild zwischen den Ländern hin und her.

Gleichzeitig steht aber auch Stefan Raab in den Startlöchern. Der tritt zwar auf keine Bühne, hat als Produzent aber den Free European Song Contest ins Leben gerufen, der am 16. Mai als Live-Show aus Köln gesendet wird, also der ARD kräftig Konkurrenz macht. Europa komme an diesem Abend zusammen, heißt es nebulös über den Ablauf.

Wer das alles nicht auf Anhieb durchschaut, der sei mit dem Einwand getröstet, dass eine gewisse Kompliziertheit zur Tradition des ESC gehört, denn das in den vergangenen Jahren eingeführte Punktesystem und das Auswahlprozedere des deutschen Beitrags werden inzwischen auch nur noch von jahrelang geschulten ESC-Spezialisten verstanden.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2020/khil
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