Süddeutsche Zeitung

Eurovision Songcontest:ESC muss draußen bleiben

Das "Kalush Orchestra" kann nichts dafür: Warum die Ukraine den Eurovision Song Contest trotz Sieg nicht ausrichten darf.

Von Anna Ernst

Vor einem Monat hat die ukrainische Band "Kalush Orchestra" die diesjährige Ausgabe des Eurovision Songcontests in Turin haushoch gewonnen. Damit steht dem Heimatland der Musiker eigentlich das Anrecht zu, den kommenden ESC als Gastgeber-Nation auszurichten. Doch daraus wird angesichts des andauernden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nun doch nichts. Man habe sich nach dem Sieg viel Zeit für eine Machbarkeitsstudie genommen, teilt die Europäische Rundfunkunion (EBU) in einem Statement mit. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt der Ukraine sei beteiligt gewesen, genauso wie externe Spezialisten, die die Sicherheitsfragen eingeschätzt haben. Nach der Analyse sei man "mit tiefem Bedauern" zu dem Schluss gekommen, dass der ESC im kommenden Jahr in einem anderen Land ausgetragen werden müsse.

Der Eurovision Song Contest sei "eine der komplexesten TV-Produktionen der Welt", mit Tausenden Menschen - denen, die an der Umsetzung arbeiten, und denen, die bei der Veranstaltung teilnehmen. Dafür brauche es zwölf Monate Vorbereitungszeit, heißt es in der Erklärung. "Um die Kontinuität der Veranstaltung zu gewährleisten", werde man nun Gespräche mit der BBC beginnen, um den ESC 2023 möglicherweise in Großbritannien auszurichten - denn das Vereinigte Königreich schaffte es im Mai hinter der Ukraine auf den zweiten Platz. Die Europäische Rundfunkunion betont aber: Der Sieg der Ukraine beim ESC 2022 solle sich in den Shows widerspiegeln.

Von der BBC heißt es dazu, man hab die Ankündigung gesehen. "Dies sind eindeutig keine Umstände, die sich irgendjemand wünschen würde", wird ein Sender-Sprecher auf der BBC-Website zitiert. Man werde aber "darüber sprechen, dass die BBC den Eurovision Song Contest ausrichtet". Auch die britische Regierung begrüße die Möglichkeit, dass Großbritannien den ESC ausrichtet und verspreche, sicherzustellen, dass sie Show "die reiche Kultur, das Erbe und die Kreativität der Ukraine überwältigend widerspiegelt", wird ein Regierungssprecher zitiert.

Ein Gewinner, der nicht Gastgeber wird - das gab es bereits

Für die Fans in der Ukraine dürfte die Entscheidung mehr als enttäuschend sein. Viele kriegsgebeutelte Ukrainer hatten den ESC-Sieg im italienischen Turin begeistert vor den Bildschirmen mitgefeiert. Vor allem bei den Zuschauerwertungen aus ganz Europa hatte "Kalush Orchestra" klar vorne gelegen. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine war die Veranstaltung so politisch wie lange nicht mehr gewesen, der klare Sieg wurde auch als Signal der Solidarität vom internationalen Publikum verstanden. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte auf Telegram euphorisch geschrieben: "Unser Mut beeindruckt die Welt, unsere Musik erobert Europa! Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision! Zum dritten Mal in unserer Geschichte."

Dass das Gewinnerland im Folgejahr Gastgeber sein darf, ist beim ESC zwar gute Tradition, aber keine Zwangsverpflichtung. In der Vergangenheit haben Sieger etwa wegen der hohen Kosten des Spektakels auf ihr Anrecht verzichtet. Die britische BBC sprang bereit 1974 ein: Damals hatte Luxemburg verzichtet, weil dort schon 1973 ein Grand Prix stattgefunden hatte. Australien darf den Regeln zufolge sogar nie den ESC austragen. Sollte es je gewinnen, wird automatisch ein anderes Gastgeberland ausgewählt.

Mit Material der dpa.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5604580
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/tyc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.