Entwicklung beim Tatort:"Eindeutig Dadord Würzburch"

2013 ist das Jahr der neuen Tatort-Teams - gewürzt mit Lokalpatriotismus. Wie etwa ab kommendem Sonntag mit Hamburg. Zusammen mit Til Schweiger suchen nun 21 Teams nach Mördern. Und die Zuschauer wissen vor lauter Städte-Hype kaum noch, wer wo was ermittelt.

Von Holger Gertz

Man kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel lange über Bremen reden und schreiben, übrigens auch sehr viel Positives. Wie gut besucht die Ausstellungen und Konzerte immer sind, Edvard Munch in der Kunsthalle vor einem Jahr oder gerade eine Benefizveranstaltung mit Anna Maria Kaufmann in der Kirche "Unser Lieben Frauen". Die Bremer ziehen sich am Wochenende gern ihre besseren Klamotten an - Sonntagsstaat, sagt man im Norden - und genießen das kulturelle Angebot.

Aber wie es in Bremen zugeht, das wissen in Deutschland eher wenige. Die meisten da draußen kennen Bremen von der Durchreise, aber auf jeden Fall vom Fußball und aus dem Fernsehen. Der Tatort und die Bundesliga geben einer Stadt Konturen, wenn sie nicht gerade Hamburg, Berlin, München ist. Und wer nicht weiß, wie der Bürgermeister von Bremen heißt, der kennt sicher die Kommissarin aus Bremen oder schon auch noch den Assistenztrainer von Werder.

Die Bremer zum Beispiel mussten vor zwei Wochen erleben, wie Werder ihnen am Samstag Schande machte durch ein 1:6 beim FC Bayern. Während der Bremer Tatort am Sonntag darauf zu den stärksten der vergangenen Monaten gehörte, ein Krimi im amerikanischen Design, schwebende Musik von The XX. "Fußball könnt ihr zurzeit nicht spielen", schrieb einer bei Twitter, "aber euer Tatort war bestens." Ein anderer: "Der Scharfschütze im Tatort spielt übrigens sonst bei Werder Bremen." Das war böse gemeint, der Scharfschütze schoss dauernd vorbei.

Junge Gesichter in neuen Städten

2013 ist das Jahr der neuen Ermittlerteams im Tatort. Eine junge Belegschaft in Erfurt kommt dazu, in Weimar fahnden Christian Ulmen und Nora Tschirner, dazu Devid Striesow in Saarbrücken, Wotan Wilke Möhring im Norden und Til Schweiger nun in Hamburg - Möhring und Schweiger begegnen sich dabei schon mal da, wo Männer sich vertraut begegnen können, am Pissoir. In der Bundesliga spielen 18 Vereine mit, im Tatort gibt es inzwischen 19 Ermittlerteams, dazu die kooptierten Inspektoren aus Wien und Luzern.

So viele waren es nie. "Der Tatort ist eine Blase geworden", hat Ulrich Tukur gesagt, als Ermittler Felix Murot spricht er sonst mit seinem Gehirntumor. "Es gibt ja fast keine deutsche Stadt mehr über 100 000 Einwohner, die nicht über einen Tatort-Kommissar verfügt."

Jeder Sender, jede Region hätte gern einen eigenen Tatort, warum eigentlich? Was Radio Bremen angeht, ist der Tatort das Gesicht eines Senders, dessen Bedeutung geringer geworden ist: zu wenig Geld, zu wenige Ideen. Früher kamen der Beat-Club und die Extratour aus Bremen, Loriot hat da produziert, Carrell, Kerkeling; es gab das revolutionär respektlose Vorabendprogramm buten un binnen und die Talkshow 3 nach 9. Sie brauchten in Bremen keinen Tatort für das Profil des Senders.

Aber wenn sie doch mal einen Tatort machten, 1972 die Episode "Ein ganz gewöhnlicher Mord", dann war der Beitrag ein Highlight der Reihe, gebaut wie eine Dokumentation. Regisseur Dieter Wedel bot die Stars seiner Semmeling-Dreiteiler auf, Fritz Lichtenhahn, Antje Hagen, Günter Strack. Man sieht den Freimarkt und die alte verräucherte Bahnhofshalle, Wartesaal und Heimathöhle für die Gestrandeten und Versoffenen und für solche, die den letzten Zug nach Oldenburg nicht mehr erwischt haben. Außerdem hat die Bremer Polizei ständig zu wenig Dienstfahrzeuge.

Ein romantisierendes Bremen-Bild wird in dem alten Film also nicht gezeichnet, anders als in den neuen Folgen, die immer auch vom Amt für Stadtmarketing inszeniert sein könnten. Schwenk auf die schönsten Bauten, Kamerafahrten über Häusermeere, gerne bei Nacht, wenn die Städte funkeln. Dortmund und Bremen wurden zuletzt so ausgeleuchtet, auch Hamburg wird am Sonntag unheimlich gut aussehen.

Früher war alles anders

Früher war der Tatort nicht zwingend die Visitenkarte der Stadt, in der er spielte, manchmal waren Stadt und Region geradezu anonymisiert. In den Siebzigern ermittelte Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp in Essen, aber das war nur ein stilisiertes Essen, mit Phantasievororten namens Suddenrath. Und einmal, in der wunderbaren Folge Fortuna III von 1976, führt die Spur auf jenen Fußballplatz in Katernberg, auf dem der Essener Held Helmut Rahn früher gekickt hatte. Das blieb im Tatort unerwähnt, die Regie hatte das reale Vereinsheim der Sportfreunde Katernberg zur fiktiven Vereinskneipe Lindenbruch umdekoriert. Es wurde ja ein Film gedreht, kein Heimatkundebeitrag.

Heute ist jeder Tatort eine Einladung an die Gemeinde: Sie darf beurteilen, ob ihre Stadt vernünftig rübergekommen ist. Die Bewohner sitzen auf einer der zahlreichen Tatort-Partys zusammen, oder sie debattieren in den Internetforen. Die Darstellung der Stadt kann wichtiger sein als die Erörterung der Frage: Wer ist der Mörder? Regionale Bezüge und Sensibilitäten werden wichtiger, nicht nur im Tatort, Forscher sprechen von den Bedürfnissen des glokalisierten Menschen. Im Internet vernetzt mit der Welt, durchs Fernsehen verwurzelt in der Nachbarschaft.

Früher kam im Dritten immer Bildungsfernsehen, Mathematiklehrer in hässlichen Pullovern zeigten, wie der Dreisatz geht. Heute ist das Dritte eine Abspielfläche, auf der der jeweiligen Scholle gehuldigt wird, von Dahoam is Dahoam bis zur Leuchte des Nordens. Früher war es peinlich, Dialekt zu sprechen, als Schüler in Norddeutschland trainierte man sich sein rollendes R lieber ab, damit einen die anderen nicht für einen Ostfriesen hielten. Heute ist es sexy, seinen Dialekt auszustellen. Ina Müller. Fettes Brot. Der Fernsehkoch Steffen Henssler dagegen nervt enorm mit seinem norddeutschen Geplärre am Herd.Der Tatort konserviert Eindrücke und definiert Eigenschaften neu. Er ist Heimatmuseum und Imagelabor. Dass Münster inzwischen - von Fremden oder flüchtigen Gästen - als Ort verstanden oder missverstanden wird, an dem vor allem Komiker leben, hat mit dem Tatort-Team Thiel und Boerne zu tun.

Jeder will einen Tatort

Kein Wunder, dass bei dieser Wirkung jeder Sender, jedes Land einen Tatort will und sich notfalls der Kritik aussetzt wie zum Beispiel die Schweizer. Gerade war ein sehr getragener Artikel in der Weltwoche, in dem es um Bergbauern ging, die den Investor mit der Mistgabel vertreiben. Und um Mörder, die ihre Opfer mit Tells Armbrust erlegen. "Wie kommt das Fernsehen dazu, ein solches Bild der Schweiz zu zeichnen?", fragte der Autor und kam ungefähr zur Ansicht, die Schweizer wollten halt den Deutschen gefallen, deswegen machten sie sich in ihren Tatorten selbst zu Witzfiguren, aber das könne auf keinen Fall so bleiben.

Schon 2014 kommt das nächste Team. Es startet der von den Franken - und erst recht dem formidablen Minister Markus Söder - herbeigesehnte Franken-Tatort. Zwischen Ober-, Unter- und Mittelfranken ist ein Streit darüber ausgebrochen, in welcher Stadt das Ganze spielen soll. Im Netz bloggen die Fans, der BR hat eine entsprechende Plattform freigeschaltet. In Würzburg seien Szenen der drei Musketiere gedreht worden, schreibt einer, Hunderte Würzburger Komparsen hätten mit klebrigen Bartattrappen viele Stunden ausgeharrt, das qualifiziere Würzburg für Höheres. "Mal ein Schwulenmord in Nürnberg, mal eine katholische Leiche in Bamberg, mal ein toter Winzer im Würzburger Weinfass", empfiehlt ein anderer. "Eindeutig Dadord Würzburch", schreibt ein Dritter.

Was die vielen, vielen Tatorte also beweisen: Die Beschäftigung mit Heimat ist eine sehr ernste Angelegenheit.

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