Süddeutsche Zeitung

Digitale Gesellschaft:"Ein Emoji, das die Person perfekt abbildet, ist kein Emoji mehr"

Lesezeit: 4 min

Bald wird es schwangere Männer als Bildchen für Kurznachrichten geben. Experte Keith Broni über die Frage, wer das nutzen soll und die komplizierte Pflege einer vermeintlich einfachen Sprache.

Von Philipp Bovermann

Die Welt wird größer und bunter, zumindest auf den Handy-Tastaturen. Das Unicode-Konsortium, das Standards für digitale Textzeichen herausgibt, eine Art Duden des Internets also, fügt jährlich neue Emojis zu den bestehenden hinzu - dieses Mal unter anderem eins für "schwangerer Mann" und für eine geschlechtsneutral gehaltene "schwangere Person". Keith Broni ist "Chief Emoji Officer" der Emojipedia, einer Online-Enzyklopädie für Emojis, und nimmt an den Treffen des Unicode-Konsortiums teil. Er kennt sich also bestens mit den Fallstricken der vermeintlich einfachen Bildsprache aus.

SZ: Herr Broni, vorsichtig gefragt: Gehen Sie davon aus, dass das Emoji für "schwangerer Mann" häufig verwendet werden wird?

Keith Broni: Vermutlich nicht. Aber es gab eben aus nachvollziehbaren Gründen schon eine schwangere Frau, und das Unicode-Konsortium hat seit einigen Jahren den Ansatz, jedes Personen-Emoji in drei Variationen herauszugeben: weiblich, männlich und neutral. Es ging also zunächst mal einfach darum, Konsistenz herzustellen. Das ist die technische Seite. Die andere ist, dass die Beschreibung eines Emojis und sein tatsächlicher Gebrauch nicht immer übereinstimmen. Was wir sehen, ist eine Person mit einem großen Bauch, richtig?

Richtig. Sieht aus wie ein schwangerer Mann.

Es ist ja auch absolut möglich, dass ein männlich aussehender Mensch schwanger wird. Aber das Emoji muss nicht exklusiv Schwangerschaft bedeuten. Zum Beispiel wäre es absolut legitim, damit sagen zu wollen: Ich hatte gerade eine gigantische Mahlzeit.

Diese Idee hatte mein Kollege Martin Zips auch. Er schrieb kürzlich in einer Glosse , mit dem Emoji ließe sich das zutiefst münchnerische Gefühl ausdrücken, "dass man viele Weißwürste gegessen hat".

Emojis können verschiedene Bedeutungen annehmen. Das sollen sie auch, um in möglichst vielen Kontexten anwendbar zu sein.

Wie entscheidet das Unicode-Konsortium, welche Emojis neu hinzukommen sollen?

Die Diskussionen, die wir führen, haben eine Menge mit der Ideenlehre von Platon zu tun. Er nahm an, dass es perfekte Formen aller Dinge gibt, an die sich alle realen Erscheinungen nur annähern. Bei den Emojis versuchen wir, Bilder zu finden, die so universell verständlich sind wie möglich. Hunde zum Beispiel sind ein Problem. Für welche Rasse entscheidet man sich? Bei Menschen haben wir Variablen eingeführt, um ein möglichst breites Spektrum abbilden zu können.

Welche sind das?

Es gibt, wie gesagt, Männer, Frauen und eine geschlechtslose Option. Außerdem verschiedene Hautfarben. Es ist, als würde man sagen: Ich bin Polizist. Ich bin ein männlicher Polizist. Ich bin ein männlicher Polizist mit diesem oder jenem ethnischen Hintergrund. Natürlich begibt man sich, wenn man damit einmal anfängt, aufs Glatteis: Welche Variablen lässt man zu? Zum Beispiel haben sich jahrelang Menschen mit roten Haaren beschwert, dass sie nicht repräsentiert würden. Also haben wir ein rothaariges Emoji erschaffen - ein männliches, ein weibliches und ein neutrales. Aber viele Leute sagten, das reiche nicht aus. Sie wollten die Haare von allen Emojis verändern können, ebenso wie die Hautfarbe.

Warum hat sich das Konsortium dagegen entschieden?

Dadurch wäre der Prozess, sich ein Emoji auszusuchen, noch komplizierter geworden. Die Zahl der Menschen, die jede Variation darstellt, hätte sich weiter verringert. Ein Emoji, das die individuelle Person perfekt abbildet, ist kein Emoji mehr. Sondern ein Bild.

Trotzdem kommen jedes Jahr weitere Emojis hinzu. Wird das immer so weitergehen?

Es gibt eine technische Limitierung im Unicode-Standard, aber von der sind wir mit den etwa 3600 Emojis, die es derzeit gibt, noch sehr, sehr weit entfernt. Jeder kann dem Unicode-Konsortium einen Vorschlag machen. Wenn er mit den Richtlinien übereinstimmt, dann sollte er eigentlich irgendwann auf dem Emoji-Keyboard auftauchen. In den vergangenen Jahren haben wir aber an den Daten gesehen, dass viele der neueren Emojis nicht so häufig benutzt wurden, wie wir gehofft hatten. Deshalb wird das Konsortium immer strenger. Im vergangenen Jahr wurden noch 112 Vorschläge akzeptiert. Dieses Jahr waren es 37.

Ist bald eine natürliche Obergrenze für Emoji-Diversität erreicht?

Ich sage nur, dass gegenwärtig nicht mehr so viele Vorschläge akzeptiert werden. Wir haben seit Jahren keine neuen Menschen-Emojis mehr gesehen, die bestimmten Tätigkeiten nachgehen, etwa Tänzer oder Astronauten, dafür mehr geschlechtsneutrale Varianten der bestehenden, um sie universeller nutzbar zu machen, auch über Kulturgrenzen hinweg. Unicode möchte sich insgesamt stärker auf das konzentrieren, was absolut jeder benutzen kann.

Wie denn?

Ein ganz neuer Trend sind Emojis, die nur in Kombination funktionieren. Zum Beispiel eine flache, ausgestreckte Hand, die wahrscheinlich im September akzeptiert werden wird. Wenn sie für sich steht, fragt man sich, was das soll. Aber stellt man ein Kaffeetassen-Emoji daneben, bedeutet es: Tada! Ich präsentiere eine Tasse Kaffee.

Wenn Emojis möglichst universell sein sollen, warum gibt es dann überhaupt verschiedene Hauttypen? Würde das neutrale Gelb nicht reichen?

Wir sind nicht bei der Universalität gestartet, und dann wurde es plötzlich diverser. Emojis kommen ursprünglich aus Japan, wo sie schon auf den ersten internetfähigen Handys verwendet wurden, die Figuren dort hatten alle weiße Haut. Apple hat sie auf das iPhone gebracht, so kamen sie in den Westen. Erst 2015 hat das Unicode-Konsortium die Option eingeführt, die Hautfarbe zu wählen. Das Gelb ist abgeleitet von der Farbe, die traditionell für Smileys verwendet wurde. Studien zufolge fühlen sich aber besonders Menschen mit dunklerer Hautfarbe nicht wohl damit, weil die gelben Emojis als Synonyme für Menschen mit weißer Haut wahrgenommen werden. Das hat möglicherweise auch mit der Omnipräsenz der "Simpsons" zu tun. Dort sind alle Figuren gelb - nur nicht die mit dunklerer Haut. Wenn die Emojis allesamt gelb wären, würde das die Probleme nicht lösen.

Sie haben mal bei einem Londoner Übersetzungsbüro als "Emoji-Übersetzer" gearbeitet. Was haben Sie dort gemacht?

Wir haben Workshops angeboten, um Kunden vor möglichen Fauxpas mit Emojis zu bewahren. Viele haben in bestimmten Gruppen implizit eine doppelte Bedeutung angenommen, die sollte man kennen. Die sexuellen Anspielungen bestimmter Früchte, zum Beispiel die Aprikose. Die Aubergine. Auch manche Handzeichen können, je nach kulturellem Kontext, solche Anspielungen enthalten.

Haben Sie ein Lieblings-Emoji?

Eigentlich müsste ich jetzt sagen, dass ich alle meine Kinder gleichermaßen liebe. Aber besonders mag ich das Emoji mit dem Partyhut und der Tröte und die beiden zum Jubel erhobenen Hände. Ich mag die beiden, weil sie so schön das körperliche Gefühl von Freude transportieren. Das können Worte allein nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5529273
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.