Emmy Awards:Die Party nach der Party

Emmys 2022: Jason Sudeikis nimmt den Emmy für "Ted Lasso" entgegen

In der Streaming-Branche wird es schwer, den Überblick zu behalten - Jason Sudeikis (Mitte) nimmt den Emmy für "Ted Lasso" entgegen.

(Foto: MARIO ANZUONI/REUTERS)

Die Emmy-Verleihung ist die wichtigste Veranstaltung der Unterhaltungsbranche - aber nicht, weil Kunst oder wenigstens Massentauglichkeit gewürdigt würden. Es geht um etwas anderes.

Von Jürgen Schmieder

Also, diese Emmy Awards - Moment, wo konnte man die noch mal sehen? Ach ja, NBC, dafür braucht es in den USA einen Kabelanschluss; oder ein TV-Paket wie Youtube TV. Oder einen Streaminganbieter wie Disney+, zu dem die Plattform Hulu gehört, das Live-Sender wie NBC beinhaltet. Oder den NBC-eigenen Streaming-Service Peacock. Ist kompliziert, und genau deshalb steht die 74. Verleihung der Emmys symbolisch für den Zustand der Entertainment-Branche: Es ist Party im Chaos, und zwar eine, die sie nicht unbedingt feiern will - sondern muss.

Wie passend war es da, dass Oprah Winfrey, unumstrittene Queen des US-TV, zu Beginn eine Party ausrufen wollte - und dafür den wahrscheinlich betretensten Applaus ihrer Karriere kriegte und von Emmy-Gewinner Michael Keaton (bester Hauptdarsteller Miniserie für Dopesick) mitgeteilt bekam: "Mir tut das Gesicht weh von all dem Fake-Lachen."

Wer jetzt auch nur eine Plattform findet, die nicht mit einer Sieger-Produktion wuchert, möge sich melden

Es ist wie beim TV-Zapping damals, nur dass man sich jetzt nicht übers Angebot ärgert, sondern über sich selbst: Wo sind denn die Serien, von denen alle dauernd schwärmen und die man gucken kann, wann man will und wo man will? Himmelherrgottnocheinmal.

Was alle Anbieter versuchen: Zuschauer mit Empfehlungen locken, und deshalb haben sie zuletzt nicht nur die riesigen Reklametafeln in Los Angeles mit für Emmys nominierten Shows zugekleistert, sondern auch ihre Plattform-Startseiten mit Emmy-Kategorien zugeballert. Es dürfte jetzt noch schlimmer werden. Wer jetzt, nach der Verleihung, auch nur eine Plattform findet, die nicht auf der Startseite mit einer Sieger-Produktion wuchert, möge sich melden.

Also, die Gewinner: Ted Lasso (Comedy-Serie), The White Lotus (beste Kurz-Serie), Succession (Drama).

Beste Hauptdarsteller: Lee Jung-jae (Squid Game), Amanda Seyfried (The Dropout), Zendaya (Euphoria), Jason Sudeikis (Ted Lasso), Jean Smart (Hacks).

Nebendarsteller: Sheryl Lee Ralph (Abbott Elementary), Brett Goldstein (Ted Lasso), Jennifer Coolidge, Murray Bertlett (beide The White Lotus), Matthew Macfayden (Succession), Julia Garner (Ozark).

"Es werden Hunderte von Serien produziert - und dann kriegen nur fünf einen Award", sagte Moderator Kenan Thompson. Das war das Damoklesschwert, das über der Veranstaltung im Stadtzentrum von Los Angeles hing: Ein Sieg bei den Emmys ist nicht Grund zur Freude, sondern zur Erleichterung.

Emmy Awards: Freude über einen Emmy? Eher Erleichterung. Sängerin Lizzo mit Moderator Kenan Thompson.

Freude über einen Emmy? Eher Erleichterung. Sängerin Lizzo mit Moderator Kenan Thompson.

(Foto: PATRICK T. FALLON/AFP)

Aus der Goldgräberstimmung ist eine geworden, bei der man versucht, die Claims zu bewahren. Deshalb wird gezählt: zwölf Trophäen für Pay-TV-Konzern HBO, vier für Apple TV, drei für Netflix, zwei für Hulu, eine für Amazon Prime und insgesamt drei fürs traditionelle TV. Es kostet 123 Dollar im Monat, die 25 Gewinner zu sehen; weshalb es im Jederzeit-kündbar-Zeitalter und in Zeiten massiver Inflation umso wichtiger ist, prämierte Produktionen auf seiner Plattform zu haben, die viele Leute unbedingt sehen wollen. Sieger deshalb: HBO.

Es sind fantastische Produktionen, die da geehrt worden sind - und es gab fantastische Momente an diesem Abend: Sheryl Lee Ralph zum Beispiel, die für ihre wunderbare Rolle als Grundschullehrerin in Abbott Elementary geehrt wurde, verzichtete auf eine Dankesrede, sondern sang "Endangered Species" von Dianne Reeves. Entertainerin Lizzo, im tollsten Awards-Abendkleid seit J-Lo bei den Grammys 2000, die nach ihrem Sieg für die grandiose Talent-Show Lizzo's Watch Out for the Big Grrrls sagte: "Diese Frauen brauchen eine Plattform - Frauen, die so fett, schwarz und wunderschön sind wie ich." Geena Davis, die für ihre Verdienste um die Branche geehrt wurde: Die Schauspielerin hatte eine Studie zu Gleichberechtigung in Hollywood initiiert, die Daten sammelt, ob die Branche tatsächlich inklusiv ist.

Was ist aus dem Versprechen geworden vom Qualitäts-Storytelling, wann immer der Kunde es sehen will?

Diese Verleihung ist aber stets auch Anlass, einen Blick auf die Branche zu werfen, und dazu stand in der Washington Post: "Streaming befindet sich in einer existenziellen Krise, die Zuschauer merken das."

Das bedeutet: Die Emmy-Verleihung ist derzeit die wichtigste Veranstaltung der Unterhaltungsbranche - aber nicht, weil Kunst oder wenigstens Massentauglichkeit gewürdigt würden; es geht darum, einen Weg zu finden, aufzufallen im Ozean der Mittelmäßigkeit und oftmals auch Unterdurchschnittlichkeit, in den die Branche abgedriftet ist, die mittlerweile wieder genau das tut, was sie seit Jahrzehnten im TV tut: den Leuten vorsetzen, was die gefälligst gucken sollen.

Was ist aus dem Versprechen geworden: Qualitäts-Storytelling, wann immer der Kunde es sehen will, ohne Werbung, ohne Zusatzstaffeln des Profits wegen? Bei Ted Lasso und anderen Serien gibt es nun wieder feste Sendezeiten, Netflix will Werbung einführen, und natürlich dauert diese Suche nach dem Abendprogramm nicht deshalb so lange, weil es zu viel Gutes gibt - es gibt einfach zu viel. "Das Versprechen war Wunschvorstellung oder Lüge", sagt Adam Conover, Erfinder der Serie Adam Ruins Everything: "Wir bewegen uns in eine Richtung, in der es schlimmer wird als vorher - und zwar für alle, inklusive der Zuschauer."

Vielleicht muss man aufhören, solche Veranstaltungen als Ehrung zu sehen, sondern als Leitfaden für den nächsten TV-Abend - weil tatsächlich Serien gewonnen haben, die man unbedingt sehen sollte. Also: Abo abschließen, alles weggucken, was sich lohnt - und nach einem Monat das nächste Kurz-Abo abschließen. Mit guter Planung könnte man alle Emmy-Gewinner für 123 Dollar im Jahr sehen.

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