Emmy-Nominierung für "House of Cards":Plötzlich ist das Internet im Spiel

Kevin Spacey und Robin Wright in House of Cards.

Der Schauspieler Kevin Spacey als Francis Underwood in der Internetserie "House of Cards".

(Foto: dpa/ 2013 MRC II Distribution Company L.P.)

Der Emmy ist der wichtigste Fernsehpreis der Welt. Jetzt ist mit "House of Cards" eine Serie nominiert, die gar nicht aus dem Fernsehen kommt. Für 100 Millionen Dollar hat der Internetdienst Netflix die Serie mit Kevin Spacey produzieren lassen. Ihr Erfolg zerstört alte Gewissheiten.

Von Katharina Riehl

Noch bevor das Spiel beginnt, dreht Francis Underwood einem Hund des Hals um. Der Hund liegt auf der Straße, ein Auto hat ihn angefahren, er wird es nicht schaffen, sagt Underwood. Er kniet sich also auf die Straße und drückt solange zu, bis das Winseln aufhört. "Momente wie dieser erfordern immer jemanden, der das Notwendige übernimmt", sagt er. Und es wird in den kommenden Stunden noch oft der demokratische Abgeordnete Francis Underwood sein, der die Drecksarbeit selbst in die Hand nimmt.

Am Donnerstag hat die Academy of Television Arts and Sciences die Nominierungen für die diesjährigen Emmys bekannt gegeben, den wichtigsten Fernsehpreis der Welt. Auch Francis Underwood hat einige Nominierungen bekommen. Nur: Francis Underwood kommt gar nicht aus dem Fernsehen.

Ränkespiel in Washington

Franics Underwood ist die Hauptfigur der Serie House of Cards, ein Politthriller in 13 Episoden. Das Kartenhaus ist die Politik des neugewählten Präsidenten, der seinen treuen Helfer Underwood nach der Wahl um das ihm versprochene Amt des Außenministers bringt. House of Cards erzählt von Underwoods Rache und von Washington als einem Schachbrett, von dem man Figuren herunterwirft, bis auch der König irgendwann nicht mehr zu retten ist.

House of Cards ist die erste für den Emmy nominierte Serie, die nicht aus dem Fernsehen kommt, sondern aus dem Internet. Die Firma Netflix hat sie für 100 Millionen Dollar herstellen lassen, hat Kevin Spacey als Hauptdarsteller gewonnen, Robin Wright spielt dessen Ehefrau. David Fincher, der Regisseur des Fight Club, ist Produzent, die ersten beiden Folgen hat er inszeniert.

Wenn man so will, hat Netflix eine Serie produzieren lassen, an der die Emmy-Academy nicht vorbei konnte. Sowohl die beiden Hauptdarsteller sind im Preisrennen, die ganze Serie ist unter den Nominierten für die Best Drama Series. Die New York Times zitierte einen nicht namentlich genannten US-Sendermanager mit den Worten, man könne dazu ja nichts sagen, ohne defensiv und weinerlich zu klingen.

Plötzlich ist das Internet das neue Heimkino

Netflix, eine Firma aus Kalifornien, deren einziges Geschäftsmodell es jahrelang war, Kinofilme auf DVDs in roten Umschlägen an seine Kunden zu verschicken, die dann erkannte, dass die Zukunft des Filmverleihens wohl eher im Internetstreaming und dem Herunterladen liegen würde als im analogen Postweg, hat plötzlich mit einer jahrelang geltenden Gewissheit gebrochen. Dass das Netz die Inhalte auffängt, die von den klassischen Medien, den Fernsehsendern und Filmstudios, hergestellt wurden. Plötzlich hat der Internetdienst seine eigenen Inhalte. Und er ist der größte Anbieter dieser Art in den USA, größer als Hulu - und derzeit mit mehr US-Abonnenten als der Paysender HBO.

Der ehemalige Senderchef und Fernsehhistoriker Tim Brooks sprach Anfang der Woche von "Schockwellen durch die Industrie", die von den House-of-Cards-Nominierungen ausgelöst würden. Denn: Die Kunst der Serie ist in den USA der Geschäftskern vieler Fernsehsender.

Gänzlich anderes Fernsehen

Man muss hier ein paar Jahrzehnte zurückblicken, an den Anfang der 70er-Jahre. Damals wurde der Abosender HBO gegründet, die Abkürzung steht für Home Box Office. HBO sollte das Kino für zu Hause sein, Filme ohne Werbeunterbrechung zeigen, und das schon früher als die frei empfangbaren Sender. Im Laufe der Jahre aber wurde das Geschäftsmodell mit Hollywoodfilmen schwieriger, viele Kunden kauften sich Videorekorder und später DVD-Player. Man ging in die Videothek, um einen neuen Film zu sehen - zu der Uhrzeit, zu der man ihn sehen wollte.

Mitte der 90er-Jahre schlug der damalige HBO-Chef Jeffrey Bewkes deshalb einen ganz anderen Weg ein: Bewkes wollte eigene Inhalte, ein "gänzlich anderes Fernsehen". Es folgten die großen Serien, Tom Fontanas Oz, später Sex and the City und die Sopranos. Der verhinderte Untergang von HBO hatte eine vollkommen neue Welt der Unterhaltungskultur geschaffen. Die anderen Kabelsender wie Showtime oder AMC haben natürlich längst ihre eigenen kleinen Fernsehwunder geschaffen. Und man darf schon eine gewisse Ironie darin sehen, dass ausgerechnet der DVD-Verleiher Netflix dem Sender HBO jetzt auf dem nächsten Gebiet bald wieder voraus sein könnte.

Das Internet kann, was für TV-Sender schwer ist

Die Bedrohung, die von Netflix ausgeht, liegt nicht darin, dass House of Cards jetzt eine so viel bessere Serie wäre als Game of Thrones (HBO) oder Homeland (Showtime) oder Mad Men (AMC), mit denen der Intrigenspinner Francis Underwood am 22. September um den Best-Drama-Emmy konkurriert. House of Cards ist einfach eine dieser vielen guten Serien. Doch sie zeigt, dass ein Internetanbieter künstlerisch Dinge tun kann, die für einen Sender schwieriger sind. Er kann noch weiter gehen.

Als HBO und die anderen Kabelsender begannen, eigene Serien zu produzieren, entstand eine neue Kunstform. Die Pay-TV-Serie ist ein Genre ohne Rücksichtnahme. Die Serie muss kein geeignetes Werbeumfeld für Babynahrung oder Erdbeerjoghurt sein, komplexe Geschichten können sich über mehrere Folgen hinweg entwickeln, nicht möglichst jede Episode muss dem Zuschauer mit dem wohligen Gefühl zurücklassen, den Mörder gefunden oder die OP erfolgreich zu Ende gebracht zu haben.

Im deutschen Fernsehen sehen Serien meistens genau so aus, obwohl im gebührenfinanzierten Fernsehen abends auch keine Werbung läuft, und die Quote eigentlich auch mal schnurzegal sein könnte. Der Druck, anspruchsvolle Zuschauer zu binden, scheint nicht groß genug zu sein: Das ARD-und-ZDF-Abo ist natürlich auch sehr schwer zu kündigen. Der Bezahlsender Sky wagt sich jetzt gerade erst an die ersten eigenen Serienprojekte; Netflix gibt es in Deutschland bislang nicht.

Binge Viewing - Fernsehen wie ein Saufgelage

Geschichten in einer Pay-TV-Serie dürfen verstören, und wenn zwei Menschen miteinander schlafen, dann liegen sie dabei nicht mit Jogginganzügen bekleidet unter einer Bettdecke. Es ist kein Wunder, dass Hollywoodregisseure wie Martin Scorsese oder eben David Fincher die eigene Fernsehserie inzwischen ebenso interessant finden wie die große Kinoleinwand.

Auch House of Cards funktioniert so und doch ein bisschen anders. Netflix hat am 1. Februar 2013 nicht nur die erste Folge seiner ersten eigenen Serie zum Streamen bereitgestellt, sondern gleich die ganze Serie. Man hat also einer Generation von Serienschauern, die sich ganze Staffeln auf DVD an einem Wochenende reinziehen, die entsprechende Ausstrahlungsmethode verschafft. Binge viewing nennt sich das, Fernsehen wie ein Saufgelage.

"House of Cards" ist erst der Anfang

Serien bei HBO oder Showtime kommen portionsweise. Das ist für Netflix, klar, auch eine Frage des Kundenservice. Aber ist es nicht auch möglich, Geschichten noch einmal anders zu erzählen, wenn der Serienmacher annehmen kann, dass der Zuschauer alle 13 Folgen in sehr kurzer Zeit sieht? Die zweite Folge von House of Cards beginnt mit exakt derselben Einstellung, mit der die erste Folge endet. Die Intrigen des Francis Underwood sind so verschachtelt, dass wohl kein Mensch den Überblick behielte, wenn er davon nur jede Woche eine Folge ansehen könnte. Und House of Cards, die zweite Staffel wird produziert, ist ja wahrscheinlich erst der Anfang von dem, was da denkbar sein könnte.

John Leverence, Senior Vice President der Emmy-Academy, sagte der New York Times, die Situation erinnere ihn gerade an das Jahr 1988. Damals ließ die Akademie erstmals Pay-TV-Serien für die Nominierung zu. Die Macher herkömmlicher Serien, etwa der Erfinder von NYPD Blue, hätten sich über die unfaire Ausgangslage beklagt. Für diese neuen Serien gebe es ja viel weniger Einschränkungen.

Es hat dann noch etwas gedauert mit den Pay-Emmys. In den vergangenen zehn Jahren aber waren sieben der besten Dramaserien aus dem Bezahlfernsehen. Ganz unberechtigt war die Sorge also nicht.

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