Doku über Kolonialgeschichte:Ethnokitsch unter Palmen

Foto von Ada und Emil Nolde 1913 auf dem Weg in die Südsee: Ihre Sehnsucht nach dem Paradies war durch Besuche von Museen in Berlin oder Dresden geweckt worden. Sie wollten sich dort "'am Ursprünglichen'" schulen und eine neue Kunst nach Deutschland bring

Foto von Ada und Emil Nolde 1913 auf dem Weg in die Südsee.

(Foto: Nolde Stiftung Seebüll)

Eine Doku entlarvt die Südsee-Impressionen von Max Pechstein und Emil Nolde

Von Jörg Häntzschel

Über die unrühmliche Rolle der ethnologischen Museen in der Kolonialzeit wurde in den vergangenen Jahren viel gesprochen. Kaum etwas hat man hingegen über die Nähe einiger expressionistischer Künstler zum Kolonialprojekt gehört. Sie waren weder Sklaventreiber noch Kunsträuber, sie sammelten nur Impressionen. Propagandisten und Nutznießer kolonialer Ausbeutung waren sie dennoch. Ihnen widmet sich nun die Arte-Dokumentation Der weiße Blick. Kolonialismus und Expressionismus, ausgehend von einer Ausstellung, die nach Stationen in Kopenhagen und Amsterdam im Dezember nach Berlin kommt.

Im Zentrum stehen Emil Nolde und Max Pechstein, zwei Maler der "Brücke", die, wie so viele, während und nach der Jahrhundertwende nach neuen Formen suchten, einer neuen Kunst. Als sie die Bilder sahen, die Paul Gauguin in der Südsee gemalt hatte, glaubten sie, sie hätten den Ausweg aus ihrem deutschen Zivilisations-Ennui gefunden.

Das erhoffte Paradies war bei ihrer Ankunft schon von anderen Deutschen beschädigt worden

Schon zuvor verbrachten sie Tage im Völkerkundemuseum in Dresden, waren fasziniert von der "primitiven" Kunst, die kurz zuvor nach Deutschland verschleppt worden war. Doch die Bildnisse reichten ihnen nicht. Sie wollten die Sonne sehen, in deren Licht sie entstanden waren, sie wollten die Menschen malen, die sie geschaffen hatten, sie wollten ein bisschen selber wie diese Menschen werden, aber eben nur ein bisschen.

Als sie mit ihren Frauen in Ozeanien ankamen, waren sie enttäuscht: Das Paradies, das sie sich erhofft hatten, war bereits von anderen Deutschen beschädigt worden. Die Menschen waren nicht mehr so edelwild wie erhofft. Nolde und Pechstein ließen sich davon nicht beirren. Sie übersahen die Phosphorminen und malten schöne Frauen unter Palmen, als sei die Welt in Ordnung. Mit ihrem ruppigen Strich und ihren kühnen Manifesten gelten die Expressionisten oft als besonders ernsthafte Künstler. Doch von Wilfried Hauke, dem Autor des Films, werden sie nicht geschont: Ihre Expeditionen waren gehobener Tourismus, stellt er fest, es ging um Romantik, um Ethnokitsch. Und, ja, die teuren Reisen mussten bezahlt werden, und die Bilder von den braunen Südseeschönheiten brachten in den Berliner Galerien eben am meisten Geld.

Wie konnten sich Künstler dieser Welt derart oberflächlich und uninteressiert nähern?

Die Menschen, die sie malten, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dem Abenteuer ein jähes Ende machte, sie wurden ausgebeutet als dekorative Staffage, beraubt wenn nicht buchstäblich, dann auf eine symbolische Weise. Zurecht fragt sich Hauke, wie diese Künstler sich der fremden Welt derart oberflächlich und uninteressiert nähern konnten.

Da kommt der weniger reisefreudige Ernst Ludwig Kirchner fast noch besser weg. Inspiriert von Besuchen in Museen und auf den berüchtigten Völkerschauen schuf er sich zu Hause seine eigene imaginierte Südseewelt.

Der weiße Blick. Kolonialismus und Expressionismus, Arte, Sonntag, 16.10 Uhr und in der Arte-Mediathek.

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