TV-Serien:Wer blutet, hat selbst Schuld

Meine geniale Freundin, SERIE

Kluge Mädchen in engen Strukturen: Elena (Elisa Del Genio) und Lila (Ludovica Nasti)

(Foto: Eduardo Castald©Wildeside/Umedia)
  • Elena Ferrantes Tetralogie über zwei Freundinnen aus einem Armenviertel Neapels wurde in 40 Ländern mehr als 10 Millionen mal verkauft.
  • In Kooperation mit Rai Fiction und TIMvision hat HBO den ersten Band "Meine geniale Freundin" zu einer Serie gemacht.
  • Es ist eine kongeniale Verfilmung geworden, über der eine Schwere liegt, die die Bücher nur andeuten.

Von Christiane Lutz

Der Himmel ist fast nie zu sehen. Zu hoch ragen die Häuser aus den staubigen Straßen, wenig Anlass gibt es für die Menschen dieses Viertels, den Blick überhaupt zu heben. Sie müssen ihre Kinder füttern, mit den geifernden Nachbarn streiten, sich nicht mit der Camorra anlegen. Die Freundinnen Elena und Lila wohnen in diesem Viertel, in gegenüberliegenden Häusern, sodass sie einander durch halb geöffnete Gardinen zublinzeln können. Eines Tages verabreden sie sich, das Meer zu suchen, das, so hören sie, ganz in der Nähe sein muss. Eine von ihnen wird es einmal aus dem Viertel hinaus schaffen, ans Meer und weiter, die andere nicht.

In diesem ärmlichen Vorort von Neapel in den frühen Fünfzigerjahren beginnt Elena Ferrantes Geschichte Meine geniale Freundin. Die Tetralogie, die die Freundinnen von Kindheit bis ins Alter begleitet, ist ein literarischer Megaerfolg, die Bücher wurden in 40 Ländern mehr als 10 Millionen mal verkauft. In Kooperation mit Rai Fiction und TIMvision hat HBO den ersten Band verfilmt und wagt damit seine erste nicht englischsprachige Produktion. Wie oft, wenn ein Roman extrem erfolgreich ist, legte man sich bei der Verfilmung mächtig ins Zeug.

Das neapolitanische Viertel Rione Luzzatti (Ferrantes mutmaßliche Vorlage) wurde nachgebaut, ein nicht unwichtiges Hochzeitskleid entwarf der Kreativdirektor von Valentino persönlich. Die Schauspieler mussten den regionalen Dialekt einstudieren, den auch die Italiener so wenig verstehen, dass die Serie selbst im Original untertitelt ist. Er gibt den Dialogen etwas Rohes, Unmittelbares, was bei der deutschen Synchronisation verloren geht, aber die lässt sich ja glücklicherweise ausstellen. Aus angeblich 8000 Kindern castete HBO die Neulinge Ludovica Nasti als lebenshungrige Lila und Elisa Del Genio als strebsame Elena. Mit Erreichen der Pubertät übernehmen dann Margherita Mazzucco und Gaia Girace die Rollen.

Regisseur Saverio Costanzo (Die Einsamkeit der Primzahlen) lässt sich zu Beginn viel Zeit, die Nachbarschaft vorzustellen: Enzo, der schlaue Sohn des Obsthändlers; Melina, die wahnsinnige Witwe; Donato Sarratore, der poetische Frauenheld. Ausgiebig studiert die Kamera die melancholischen Gesichter von Elena und Lila. Über allem liegt eine Schwere, die die Bücher nur andeuten, wie sie dem Nachkriegsalltag aber wohl nahe kommt. Alle fluchen, alle schlagen, es mangelt an Zuneigung, an Geld sowieso. Wer blutet, hat selbst Schuld. Weil sie nicht gehorcht, wirft Lilas Vater sie aus dem Fenster und ruft ihr hinterher: "Du bist immer noch nicht tot." Jungs galt es, zum Arbeiten, Mädchen zum Schweigen zu bringen. Oder zum Heiraten. Lange muss Elena betteln, um auf die Mittelschule gehen zu dürfen. Einen Beruf zu haben ist für Mädchen nicht vorgesehen.

Welch unglaubliche Anstrengung es Frauen gekostet hat, sich aus den Zwängen jener Viertel zu befreien, ja überhaupt auf die Idee zu kommen, das zu können, fängt die Serie glaubhaft ein. Elena und Lila konkurrieren um die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und müssen ihre Kräfte doch bündeln, um das zu erreichen. Ihnen dabei zuzuschauen ist genauso spannend wie darüber zu lesen.

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