Journalismus in Zentralamerika:Im Namen der Ruhe

Journalismus in Zentralamerika: Ein Polizist kontrolliert ein Bandenmitglied in San Salvador. Erfolge im Kampf gegen Bandenkriminalität schreibt sich Präsident Bukele selbst zu.

Ein Polizist kontrolliert ein Bandenmitglied in San Salvador. Erfolge im Kampf gegen Bandenkriminalität schreibt sich Präsident Bukele selbst zu.

(Foto: Jan Sochor /imago images)

El Salvadors Präsident Nayib Bukele hat bei seinem Kampf gegen Bandenkriminalität einen neuen Feind gefunden: Journalisten. Wer kritisch berichtet, dem droht nun Haft.

Von Christoph Gurk

Mitte vergangener Woche hielt der Präsident des Parlaments von El Salvador eine erboste Rede. Es gebe da Leute in seiner Heimat, die sich bedroht fühlten, sagte Ernesto Castro, und einige hätten nun sogar aus Angst im Ausland Asyl beantragt. "Ihr glaubt wohl, wir kommen jetzt angekrochen und bitten euch zu bleiben?", wütete Castro in sein Mikrofon. "Ihr meint wohl, wir brauchen euch? Aber das tun wir nicht! Haut doch einfach ab!"

El Salvador ist eine kleine Nation in Zentralamerika, kaum größer als Hessen, sechs Millionen Einwohner, dazu kommen noch einmal zwei Millionen Salvadorianer, die tatsächlich im Ausland leben. Sie aber meinte Parlamentspräsident Castro nicht. Seine Wutrede richtete sich gegen eine ganz spezifische Berufsgruppe: Journalisten.

"Selbsternannte Intellektuelle" nannte er sie in seiner Rede. Später legte er über Twitter nach: "Payasos" schrieb er da, ihr Clowns. Auch andere Mitglieder seiner Partei Nuevas Ideas hatten gegen Journalisten gewettert, allen voran Nayib Bukele, El Salvadors Staatsoberhaupt höchstpersönlich.

40 Jahre alt ist Bukele, und im Netz hat er mehr Follower als El Salvador Einwohner. Seit 2019 regiert er das Land, und die Beziehung zwischen ihm und der Presse war dabei schon immer angespannt. Mal wurden kritische Journalisten von Pressekonferenzen ausgesperrt, mal kritisierte der Präsident einzelne Reporter gezielt und direkt über seine Profilseiten bei Facebook oder Twitter. Man könnte das als ruppigen Schlagabtausch zwischen Politikern und Medien interpretieren. In den vergangenen Monaten aber hat die Gängelung immer weiter zugenommen: Journalisten werden überwacht, ihre Handys ausspioniert, und wenn Redaktionen kritisch über die Regierung oder ihre Mitglieder berichten, stehen bald darauf Steuerprüfer vor deren Tür.

Weil eine Opposition fehlt, muss der Journalismus ran

Seit ein paar Wochen aber eskaliert die Lage nun völlig. Aus mehr oder minder sachlicher Kritik sind offene Beleidigungen geworden. So bezeichnete Präsident Nayib Bukele Anfang April den Journalisten und Buchautor Juan Martínez d'Aubuisson in einem Tweet öffentlich als "Müll". Martínez ist einer der bekanntesten Experten Zentralamerikas für die kriminellen Gangs, die El Salvador seit Jahrzehnten terrorisieren. Diese sogenannten maras seien längst Teil der Gesellschaft, weil sie Lücken füllen und Rollen übernehmen, die der Staat vernachlässigt, sagt er. Als "absurd" bezeichnete Bukele das in seinem Tweet. Gleich darunter in den Kommentaren legten Parteigenossen und hohe Regierungsmitglieder nach: Martínez, hieß es da, sei kein Journalist, sondern ein Terrorist.

Woher all der Hass? "Politisch gibt es heute in El Salvador kaum noch eine ernst zu nehmende Opposition", sagt Sergio Arauz. Er arbeitet für El Faro, ein Online-Medium, das über El Salvador und Zentralamerika berichtet und dafür schon viele Preise gewonnen hat. "Bukele braucht für seine Politik aber immer neue Gegner - und nun hat er sich uns dafür ausgesucht. Der Präsident hat Journalisten zu seinen Feinden erklärt."

Journalismus in Zentralamerika: Mehr Twitter-Follower als sein Land Einwohner: El Salvadors Präsident Nayib Bukele.

Mehr Twitter-Follower als sein Land Einwohner: El Salvadors Präsident Nayib Bukele.

(Foto: Jose Cabezas/Reuters)

Das ist umso fataler, als die Anfeindungen und Attacken in einem extrem angespannten Umfeld stattfinden. Ende März wurden in El Salvador an nur einem Wochenende mehr als 80 Menschen ermordet. Umgehend gab die Regierung den Mara-Banden die Schuld. Man werde die Kriminellen mit aller Härte verfolgen, erklärte Präsident Bukele, das von seiner Partei dominierte Parlament verhängte den Ausnahmezustand, seitdem sind eine Reihe von Bürgerrechten außer Kraft gesetzt. Statt 72 Stunden können Verdächtige nun zum Beispiel mehr als zwei Wochen festgehalten werden, ohne Recht auf einen Anwalt.

Seit der Verhängung des Ausnahmezustands postet Bukele fast jeden Tag Bilder von verhafteten angeblichen Gangmitgliedern. 14 000 Kriminelle habe man schon verhaftet, schrieb der Präsident stolz auf Twitter, und seine Fans jubelten darunter.

Durch die Gang-Gewalt war El Salvador lange eines der gefährlichsten Länder der Welt. Ladenbesitzer mussten Schutzgeld an die kriminellen Banden zahlen, Mädchen wurden systematisch vergewaltigt, Minderjährige zwangsrekrutiert. Seine Beliebtheit in der Bevölkerung zieht Bukele darum vor allem aus seinem angeblich harten Vorgehen gegen die Maras. Tatsächlich hat die Gewalt in den vergangenen Jahren abgenommen, in einem Prozess, der allerdings schon vor seiner Amtszeit begann. Der Präsident aber sagt, die sinkende Mordrate sei eine direkte Konsequenz seines Sicherheitsplans.

Verboten ist, "Aufregung und Panik" über die Banden zu verbreiten

Experten haben daran ernsthafte Zweifel, und Journalisten haben zuletzt immer wieder Beweise dafür gesammelt, dass in Wahrheit wohl vor allem auch geheime Deals zwischen Regierung und Banden die Gewalt gesenkt haben. Die Mordserie von Ende März ist nur ein weiterer Beweis für diese These: Die Maras, so die Vermutung, wollten neue Bedingungen durchsetzen, mit Toten als Druckmittel. Für Bukele hätte das ein politischer GAU werden können, nun aber scheint es, als ob ihm die Massenverhaftungen und die offen zur Schau gestellte Härte eher Sympathien bei den Wählern gebracht hat. Kritiker sagen, dass die Regierung den Kampf gegen die Banden auch dazu benutzen könnte, um einen weiteren Widersacher auszuschalten: die Presse.

Im Rahmen des Ausnahmezustands verschärfte das Parlament Anfang April das Strafgesetzbuch: Zehn bis 15 Jahre Haft drohen nun jedem, der Nachrichten von Banden weiterverbreitet, welche zu "Aufregung und Panik" führen könnten. Offiziell will man damit die Gangs davon abhalten, die Bevölkerung einzuschüchtern. Inoffiziell aber, befürchten Beobachter und Berichterstatter, könnte die Gesetzesänderung vor allem dazu dienen, unbequeme Reporter mundtot zu machen. "Das Gesetz ist absichtlich unklar formuliert", sagt Sergio Arauz von El Faro. "Was sind das denn für Nachrichten, die zu Panik führen können? Und was genau ist Aufregung?" Jeder Artikel, in dem ein Mara-Mitglied zitiert wird, könnte Reportern nun theoretisch eine Anklage einbringen. Das sei gefährlich, sagt Arauz, schließlich kontrolliere die Regierung längst auch Richter und Gerichte. "Niemand kann hier in El Salvador auf eine unabhängige Rechtsprechung hoffen."

Juan Martínez d'Aubuisson, der Reporter und Gang-Experte, der vom Präsidenten höchstpersönlich angegriffen wurde, hat jedenfalls nach Drohungen das Land verlassen. Sergio Arauz dagegen will erst mal bleiben. Angst habe er nicht, sagt er, wohl aber sei er besorgt und vor allem auch wütend. "Ich würde gerne einfach meine Arbeit machen können, aber das wird immer schwieriger."

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