So ist noch kein nationaler Vorentscheid zum Eurovision Song Contest zu Ende gegangen. Als am Donnerstagabend in Hannover der unterfränkische Bluesrocksänger Andreas Kümmert als Überraschungssieger feststand und eigentlich sein Ticket nach Wien entgegen nehmen sollte, verweigerte er die Annahme des Titels. "Ich bin nicht in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen, ich gebe meinen Titel an Ann Sophie", sagte er mit Verweis auf die Zweitplatzierte, nachdem er dem Publikum zuvor für die erfahrene Zuneigung gedankt hatte. "Ich denke, dass sie viel geeigneter ist", schob er nach.
"Ein Coitus interruptus der schlimmsten Sorte"
Das verschlug selbst der sonst so wortgewandten Moderatorin Barbara Schöneberger für einen Moment die Sprache, die sie indes unmittelbar danach wiederfand. "Das ist ein Coitus interruptus der schlimmsten Sorte", sagte sie in ihrer gewohnt schnoddrigen Art. Die dadurch überraschend doch noch zu Ruhm und Ehren gekommene Zweitplatzierte konnte es erst nicht fassen. "Fahr' ich jetzt nach Wien?", fragte Ann Sophie ungläubig, und dann war klar: Sie fährt nach Wien.
Dort wird sie am 23. Mai versuchen, die Nachfolge von Conchita Wurst anzutreten, die im vergangenen Jahr in Kopenhagen als Siegerin von der Bühne gegangen war.
Über die Gründe herrscht Unklarheit
Über die Gründe, die Andreas Kümmert zum Rücktritt bewegt haben, herrschte nach der ARD-Übertragung allgemein Unklarheit. Bekannt war lediglich, dass der Gewinner der Castingshow "The Voice Of Germany" von 2013 mit 40 Grad Fieber zum Auftritt angetreten war.
Möglicherweise war es aber auch die Konfrontation mit der in der Hannoveraner Halle versammelten ESC-Gemeinde, die kein Geheimnis daraus machte, dass sie lieber einen Vertreter der eher schillernden Art ganz vorne gesehen hätte. So etwas könnte für einen vornehmlich an der Musik interessierten Kapuzenpulliträger wie Kümmert durchaus als Kulturschock gewirkt haben.
"Gesungen hat er toll, aber gleichzeitig hat das wohl was mit ihm gemacht", sagte Thomas Schreiber nach der Show. Der ARD-Unterhaltungschef zeigte sich sichtlich enttäuscht von der Reaktion Kümmerts. "Die Bühne ist der natürliche Lebensraum von Andreas Kümmert", führte er aus, schränkte aber nach der Reaktion das Lob ein: "Außerhalb scheint es anders zu sein."
"Es ist ein ungewöhnlicher Sieg, es ist nicht das, was wir uns vorgestellt haben", schob er nach. "Wir können es einfach nur akzeptieren. Ein Künstler ist auf der Bühne nur dann gut, wenn er frei ist."
Ann Sophie war Überraschungskandidatin
Nun ist es also Ann Sophie, eine, die bis vor kurzem niemand auf der Rechnung hatte, weil sie erst seit kurzem auf dem Plattenmarkt vertreten ist. Beim Wild-Card-Konzert des Eurovision-Song-Contest-Vorentscheids vor drei Wochen setzte sich die junge Hamburgerin überraschend durch und qualifizierte sich damit fürs nationale Finale in Hannover.
In Wien wird die in London geborene 24-Jährige mit dem Song "Black Smoke" antreten. Damit wiederholt sich auf sehr besondere Art und Weise die Geschichte vom Vorjahr. In dem hatte das Musikerinnen-Trio Elaiza ebenfalls erst die Wild Card gewonnen und dann auch das nationale Finale für sich entschieden. In Kopenhagen mussten sich die jungen Damen indes mit einem 18. Platz begnügen.
In Wien wird sich Ann Sophie dann übrigens auch mit dem Beitrag Australiens messen lassen müssen. Der Kontinent darf - wegen seiner großen ESC-Fangemeinde - zum 60. Geburtstag des Musikwettbewerbs einmalig am Wettbewerb teilnehmen.