Süddeutsche Zeitung

"The Head" auf Amazon-Starzplay:Ice Rage

Die Mystery-Serie "The Head" liefert trotz großer Vorbilder nur lauwarme Polar-Paranoia.

Von Ulrike Nimz

Die Robbe stirbt als Erste, einsam und heulend in der 179 Tage währenden Finsternis. Ihr Klagelied durchdringt selbst den antarktischen Sturm und die stählernen Wände der Polarstation, macht Ohrenzeugen wie Zuschauern unmissverständlich klar: Der Tod ist nah und The Head keine Serie, die sich mit Zwischentönen aufhält.

Dabei ist das Setting des japanisch-spanischen Sechsteilers bewährt: Ein Team von Wissenschaftlern überwintert im ewigen Eis. Ein neues Bakterium ist entdeckt worden - der Durchbruch im Kampf gegen die Klimakrise? Während die entzückten Forscher sich anschicken, den Einzeller unters Mikroskop zu bekommen, zückt der Horrorfan gedanklich schon mal den Flammenwerfer. Eine unbekannte Lebensform am Ende der Welt? Das geht selten gut aus.

Die Trias aus Isolation, Wahn und Gemetzel füllt ein eigenes Genre, spätestens seit Jack Nicholson mit Axt durch den verharschten Garten des Overlook-Hotels hinkte oder Sigourney Weaver mit Bauchladen-Wumme durch die Eingeweide der Nostromo schlich. In The Thing kopiert und dezimiert ein außerirdischer Körperfresser die Bewohner einer Polarstation. The Head spielt durchaus unterhaltsam mit diesen cineastischen Vorbildern: Als die Crew der Polaris VI John Carpenters Kultschocker als Initiationsritus schaut, überkommt die junge Ärztin Maggie Mitchell (Katharine O'Donnelly) eine böse Vorahnung.

Sechs Monate später findet die Ablöse Blutspuren, sieben Tote und schließlich, im Küchenschrank, die verstörte Maggie. Noch im Krankenbett teilt die Überlebende ihre Version der Geschichte, ein Rückblende-Reigen beginnt: Da ist der Techniker Miles (Tom Lawrence), der bei minus 30 Grad im Schnee kauert als würde er beten. Sein Kopf ist akkurat abgetrennt und wieder auf dem Rumpf platziert worden, wie bei einer grausigen Partie Jenga. Natürlich ist die Funkanlage zerstört - fertig ist der Whodunit-Plot.

Der bleiche Filter macht die lebensfeindliche Einöde zum Handcreme-Werbespot

Nur hat The Head eben keine Ellen Ripley, keinen R. J. MacReady, schon gar keine Miss Marple. Sondern nur Johan Berg (Alexandre Willaume), Leiter des Sommerteams, dessen Frau seit dem Gewaltexzess vermisst wird. Bald findet er einen zerpflückten Brief der Liebsten. "Blut an meinen Händen" steht da auf einem Schnipsel. Im Bücherregal steht Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse". Als würde das allein nicht schon Hirnfrost verursachen, spricht der wettergegerbte Ermittler gern das Offensichtliche aus: "Viele der Menschen hier sind nicht das, was sie zu sein scheinen."

Das Drehbuch stammt von Àlex und David Pastor, die mit dem Seuchen-Roadmovie Carriers bewiesen haben, dass sie eigentlich ein Gespür für kluge Spannungsbögen haben. The Head wurde auf Island und Teneriffa gefilmt. Über den Szenen liegt ein bleicher Filter, der die lebensfeindliche Einöde aussehen lässt wie einen Handcreme-Werbespot. Nur kann man Risse auf der Seele nicht so einfach reparieren wie raue Hochseefischer-Hände. Die Forschungsstation ist mehr Fremdenlegion, so vorbelastet ist das Personal: Einige wollen nur das schnelle Geld, andere haben ein Kind verloren. Nils (Chris Reilly) trinkt zu viel und ist auch sonst ein Mann, mit dem man nicht im Fahrstuhl stehen möchte, geschweige denn die Polarnacht verbringen. Nach einem Streit über die Duschzeiten wird er eine Handsäge im Schnee verscharren, wie geschaffen für eine Tiefkühl-Enthauptung.

Doch wenn etwas gilt für mittellange, mittelspannende Serien, dann, dass der erste Verdacht stets trügt und die Perspektive der Überlebenden nicht immer verlässlich ist. Wer stattdessen die häusliche Isolation für einen Winterspaziergang verlässt, hat nicht viel verpasst.

The Head, sechs Folgen, bei Amazon-Starzplay.

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