Einschüchterung von Journalisten in China:Bespitzelt, bedroht, bedrängt und verprügelt

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Pekings Machthaber fahren einen harten Kurs gegen ausländische Korrespondenten. Willkürlich werden Visa verweigert und Journalisten festgenommen. Eigentlich sollte mit Olympia 2008 alles besser werden - doch danach wurde es nur noch schlimmer. Nun bitten die deutschen China-Korrespondenten Angela Merkel noch einmal um Hilfe.

Kai Strittmatter, Peking

Eine "Einladung zum Teetrinken" ist in China nicht immer unschuldig gemeint. Es ist seit Jahren ein geflügeltes Wort all jener, die von Polizei oder Staatssicherheit einbestellt werden. Manchmal gibt es bei solchen Besuchen wirklich Tee, vor allem aber wird der Eingeladene von der Staatsmacht je nach Anlass freundlich abgeschöpft, eindringlich ermahnt, verhört oder aber bedroht. Als am Montag also ein halbes Dutzend Korrespondenten deutscher Zeitungen und Sender eine Einladung zum "Kaffeetrinken" mit Beamten des chinesischen Außenministeriums erreichte, mag der eine oder andere seine Hintergedanken gehabt haben.

Kurz zuvor waren die deutschen China-Korrespondenten mit einem Hilferuf an Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Öffentlichkeit gegangen. In ihrem Brief übten sie scharfe Kritik an ihren Arbeitsbedingungen in China und baten die Kanzlerin, sich für sie einzusetzen. Angela Merkel reist am Donnerstag mit einem Trupp von neun Ministern nach Peking und Tianjin zu Regierungskonsultationen. Es ist das zweite Mal, dass sich die Regierungen beider Länder in einem solch breit aufgestellten Forum austauschen, und schon beim letzten Mal, im Juni 2011, hatte sich Kanzlerin Merkel für die deutschen Journalisten eingesetzt.

Dass diese es für nötig halten, sich nun ein weiteres Mal an die Kanzlerin zu wenden, begründen die Korrespondenten damit, dass, wie es in dem Brief heißt, "Einschüchterung und Restriktionen einen neuen Höhepunkt" erreicht hätten. In der Praxis seien Journalisten "der Willkür der Sicherheitsbehörden ausgeliefert". Das Arbeiten als Journalist in China war nie einfach, aber selbst nach Meinung von Kollegen, die die bleierne erste Hälfte der Neunzigerjahre in Peking erlebt haben, markieren die vergangenen eineinhalb Jahre einen Tiefpunkt.

"Tod den ausländischen Spionen"

Die Korrespondenten und ihre chinesischen Assistenten werden in bislang nicht gekanntem Ausmaß bespitzelt, bedroht, bedrängt, immer häufiger auch verprügelt. Wenige Tage vor dem Brief der Deutschen hatten die Clubs der Auslandskorrespondenten von Peking (FCCC), Shanghai und Hongkong ihre "extreme Sorge" zum Ausdruck gebracht über Einschüchterung und Gewaltausübung "durch Mitglieder der Sicherheitsbehörden und mit ihnen verbundene Elemente". Letzteres ist eine Umschreibung für Schlägertrupps in Zivil, derer sich lokale Behörden immer mehr bedienen.

Folgende Fälle ereigneten sich allein von Ende Juli bis Mitte August. Polizisten verprügelten in Nantong einen japanischen Reporter, der eine Demonstration filmte. Beamte in Zivil fielen über einen Hongkonger Journalisten her, der vor einem Gerichtsgebäude in Hefei filmte. Ein Filmteam der ARD, das Aufnahmen von einer Chemiefabrik in Henan machte, wurde von Arbeitern und Sicherheitskräften neun Stunden in der Kantine der Fabrik festgehalten. Das Team berichtete hinterher von Rufen "Tod den ausländischen Spionen". Nach neun Stunden befreite ein Sondereinsatzkommando die Journalisten.

Eigentlich sollten die Olympischen Spiele alles besser machen, das war das Versprechen Pekings: "Umfassende Freiheit zur Berichterstattung" sollte gewährt werden von 2008 an. Auf dem Papier gab es einen großen Fortschritt: Es entfiel die Pflicht, jedes Interview vorher bei lokalen Behörden anzumelden, was in der Praxis hieß, dass man sich seine Interviewpartner von lokalen Propagandakadern aussuchen lassen musste. Ein Korrespondent, der jemanden interviewen möchte, heißt es seit 2008 in dem "Handbuch für ausländische Journalisten", müsse nichts anderes tun, als "dessen vorheriges Einverständnis einholen". Aber es ist wie so oft in China: Papier ist geduldig, die Staatssicherheit ist es nicht.

Seit Frühjahr 2011 sind die liberalen Regeln Makulatur. Damals grassierte mit einem Mal die Angst vor dem arabischen Virus unter Chinas Sicherheitsapparaten, und spätestens als im Februar 2011 der Bloomberg-Journalist Stephen Engle bei Dreharbeiten in Peking krankenhausreif geprügelt wurde, war die Botschaft klar. Im Frühjahr 2012 dann wurde zum ersten Mal seit 14 Jahren einer Journalistin das Visum entzogen: Melissa Chan vom Sender al-Dschasira musste das Land verlassen.

Offiziell ist in China das Außenministerium für die Korrespondenten zuständig. Dort sitzen eigentlich die liberaleren Beamten, die Gespräche sind oft freundlich. Aber seit vergangenem Jahr ist klar, dass Polizei und Geheimdienste das Heft in der Hand haben. Wegen des im Herbst anstehenden großen Parteitags der KP ist die Nervosität im Apparat groß. Bei einer Umfrage des FCCC gaben mehr als ein Drittel der Mitglieder an, ihre chinesischen Assistenten würden durch die Behörden bedroht; sie berichteten von 37 Fällen, in denen Interviewpartner unter Druck gesetzt oder weggesperrt wurden. Oft wird von Polizisten mit dem Entzug des Visums gedroht, dessen Verlängerung die Korrespondenten am Ende eines jeden Jahres neu beantragen müssen. Auch das Außenministerium beteiligt sich am Spiel der Einschüchterung. Ein Tageszeitungskollege musste sich nach einer Enthüllungsgeschichte von einem Beamten des Ministeriums anhören: "Sie haben doch Frau und Kind. Auf deren Sicherheit sollten Sie achten."

Die Kaffeekränzchen am Montag verliefen nach Auskunft der beteiligten Journalisten übrigens sehr freundlich. Es gab keine Verwarnung und keine Ermahnung seitens der Beamten, nur einen "informellen Austausch" über die Arbeitsbedingungen. Ein Korrespondent erhielt die Erklärung, die Polizei kümmere sich "lediglich um Sicherheit und Stabilität", ein anderer die Empfehlung, sich von "heiklen" Personen und Fällen besser fernzuhalten. Bis heute hat das Außenministerium keine offizielle Erklärung zu den offenen Briefen abgegeben. In der Pekinger Global Times aber stand ein Kommentar des Inhalts, die Ausländer sollten sich nicht so haben, chinesische Journalisten hätten Schlimmeres auszuhalten. Was stimmt - Kanzlerin Merkel aber nicht davon abhielt, über ihren Sprecher am Montag erklären zu lassen, sie werde sich des Themas in Peking annehmen.

Die Global Times erklärte den ausländischen Journalisten derweil, ihre Wahrnehmung, dass sie zu Zielscheiben würden, stimme "nicht unbedingt"; gleichzeitig mahnte das Propagandablatt die oft für grobe Übergriffe verantwortlichen lokalen Behörden, sie sollten "an ihrer Medienkompetenz arbeiten".

© SZ vom 28.8.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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