Süddeutsche Zeitung

Supermarkt-Radio:Einkauf durch die Ohren

  • In immer mehr Filialen des Lebensmitteleinzelhandels laufen spezielle Radioprogramme, die den Kunden zu Kaufentscheidungen anregen sollen.
  • Eine Studie belegt, dass Kunden das Programm während des Einkaufs bewusst wahrnehmen.
  • Ein Teil der Sendezeit ist für Werbung reserviert - die Nachfrage von Konzernen ist groß.

Von Susan Jörges

Freitagabend, ein Supermarkt der Einzelhandelskette Real. Beim Griff nach dem Spargel verkündet eine wohltemperierte Männerstimme aus dem Lautsprecher die ultimativen Zubereitungsarten für das Saisongemüse. Auf den Kochtipp folgen die Wetteraussichten, kurze Nachrichten, danach das Supersonderangebot des Tages: dreimal Schokomilch für nur zwei Euro. Nach Antenne Bayern hört sich das nicht an, nach Spotify-Playlist in Dauerschleife aber auch nicht. Woher aber kommt das sehr spezielle Radioprogramm in immer mehr Supermärkten?

Die Suche nach Antworten führt nach Augsburg. In einem Industriegebiet sitzt die Echion Mediagroup, die sich selbst als "Spezialist für Kommunikationskonzepte auf Handelsflächen" bezeichnet und "individuelle Medienstrategien am Verkaufsort" anbietet. Seit Anfang 2000 produziert das Unternehmen hier verschiedene Werbeprodukte im Print-, Audio- und Digitalbereich, auch Instore-Radios - so lautet die Bezeichnung für die Radiosender im Groß- und Einzelhandel.

Ihre Kunden sind etwa der Einrichtungskonzern Ikea, die Gartencenterkette Dehner, der Bekleidungshersteller S. Oliver und Filialen von Real und Trinkgut. Echion soll für sie ein Radioprogramm produzieren, das den Einkauf der Kundinnen und Kunden untermalt und sie zum Geldausgeben verführt.

Ein großer, heller Eingangsbereich, an den Wänden werden auf digitalen Bildschirmen Tiefkühlwaffeln mit Schokosoße präsentiert, ach, und der Spargel-Tipp wieder, in der Bildschirmvariante reicht ein Koch dem Betrachter das strahlend weiße Gemüse entgegen. Stephan Dewes, Anfang fünfzig, ist Programmleiter bei Echion und verantwortlich für 80 Radiosender, die in mehr als 20 Ländern bei verschiedenen Kunden ausgespielt werden. Dewes hat viel Erfahrung: Vom Hobby Radiomachen kam er zum Privatradio im Saarland, war dort auch Moderator. Bei Echion kümmert er sich heute als Programmchef um Struktur, Themenauswahl und gemeinsam mit seinem achtköpfigen Team um die Produktion des Radioprogramms.

Bis Mitte der 2000er-Jahre waren Instore-Radios eine Seltenheit, heute laufen in 73 Prozent der Filialen des deutschen Lebensmitteleinzelhandels die speziellen Radioprogramme, produziert von verschiedenen Anbietern. Schiebt man einen Einkaufswagen durch die Filialen von Rewe oder des Tochterdiscounters Penny, hört man das Programm des konzerneigenen Produzenten Radio Max aus Wien, bei Real oder der Backfactory das von Echion. Eine gewisse Verwandtschaft zum Privatradio ist in jedem Fall herauszuhören.

Das Ziel der speziellen Radioprogramme: Entspannung und gute Laune

Beide wollen bei ihren Hörerinnen und Hörern für Entspannung und gute Laune sorgen und sie durch den Alltag begleiten. "Antenne Bayern oder Bayern 1 sind dennoch keine Optionen für den professionellen Einzelhandel", sagt Dewes. Denn fachfremde Werbung und lange Unterbrechungen durch Nachrichten animieren nicht zum Kaufen. Das bestätigt auch Stefan Gill, Creative Director bei der Vermarktungsgesellschaft IMS, einer Tochterfirma des Instore-Medien-Produzenten Mood Media: "Handelspartner möchten ein maßgeschneidertes Radioprogramm, das kaufanimierend wirkt." Wie aber geht das?

Katrin Schmiedel plant als Redakteurin das Radioprogramm bei Echion. Je nach Kunde baut sie regionale Wetterberichte, Küchentipps, Verbraucherinformationen, Sport und Nachrichten für das Programm zusammen. "Hier bei Echion produzieren wir das Programm einen Tag im Voraus", sagt sie. Der Kunde merke die Vorproduktion nicht, das Hörerlebnis sei von Live-Programmen kaum zu unterscheiden. Nachrichten werden tagesaktuell eingespielt, auch sie speziell auf die Wünsche des Auftraggebers zugeschnitten: Weder Real noch Edeka möchte die neusten Infos zum Salmonellen- oder Gammelfleischskandal aus den Lautsprechern in ihren Filialen hören, auch Betroffenheitsjournalismus an Weihnachten und Nachrichten zu Gewalttaten hört das Einkaufspublikum nicht.

Redakteurin Katrin Schmiedel mag ihre Aufgabe nicht trotz, sondern auch wegen der Zusammenarbeit mit den Kunden. Neben der klassischen Redaktionsarbeit, zu der, wie beim Privatradio auch, Nachrichtenproduktion, Wetter und Servicemeldungen gehören, werden Texte und Radiospots in Abstimmung mit den Auftraggebern entwickelt und in das Radioprogramm integriert. Informiert Trinkgut über die Angebote der kommenden Woche, produziert die Redaktion den dazu passenden Werbespot.

Die Radiowerbung kann deutliche Kaufimpulse auslösen

Trinkgut ist das Stichwort für Programmchef Dewes. Seine Stimme ist das Markenzeichen der Werbespots des Getränkegroßhändlers. "Nur heute, Paulaner Hefe-Weißbier für nur 4,49 Euro je Sixpack, zuzüglich Pfand", spricht er mit tiefer Stimme ins Studio-Mikrofon. Katrin Schmiedel unterlegt dann die Tonspur mit Dudelmusik. Werbung wie diese ist die Finanzierungsquelle für das Geschäft der Instore-Radios. Ein Teil der Sendezeit ist dafür reserviert, Vermarktungsgesellschaften vergeben diese Sendezeiten an werbewillige Marken, deren Produkte, klar, in den Regalen des Supermarktes stehen.

Die Nachfrage ist groß. Eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK etwa belegt, dass Instore-Radiowerbung deutliche Kaufimpulse auslöst und Kunden das Programm während des Einkaufs bewusst wahrnehmen. Jede Supermarktfiliale kann selbst bestimmen, welche Spots in ihrer Filiale ausgespielt werden, schließlich soll die Werbung möglichst passgenau auf das aktuelle Angebot zugeschnitten sein. So kann auch die Apotheke von nebenan lokale Werbung schalten und Kunden locken. Und die sogenannten redaktionellen Inhalte werden passgenau darauf zugeschnitten: "Den Erfolg der Werbung können wir durch redaktionelle Inhalte wie Kochtipps oder Verbraucherinformationen unterstützen", sagt Dewes. Auch für die Musik gibt es Spezialisten im Haus. Marinus Seeleitner fügt den Musikdatenbanken täglich neue Songs hinzu. Ein Programm hilft, daraus jeweils 350 Titel am Tag auszuwählen, die dann deutschlandweit gespielt werden. Aber worauf kommt es dabei an?

Gefällige Pop-Musik soll während des Einkaufs ein positives Gefühl erzeugen und der Zielgruppe gefallen, "Wohlfühlen im Supermarkt" nennt Dewes das. Dabei zähle auch die Repräsentation der Marke. "Jedes Unternehmen hat eine Markenbotschaft, die an den Kunden vermittelt werden soll, Musik kann dabei als Transportmittel dienen", sagt Musikredakteur Seeleitner. Für den Unterwäschehersteller Schiesser wählt er beispielsweise Folk und Singer-Songwriter-Musik aus, so soll die Natürlichkeit als Markenbotschaft akustisch vermittelt werden.

Zurück im Supermarkt. Eine Stimme aus dem Off weist nach den neusten Baby-News aus dem britischen Königshaus auf die unglaubliche Frische der regionalen Erdbeeren hin. Allerdings ist im Obstregal mittlerweile die letzte Schale verkauft. "Wenn wir die Produktionsgeschwindigkeit der Meldungen erhöhen, könnte das Radioprogramm zielgenau auf das tatsächliche Supermarktangebot abgestimmt werden", plant Dewes langfristig. Er nennt das Radio 3.0. Heute landen stattdessen Blaubeeren im Einkaufswagen.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2019/tmh
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