Einer vom "alten Schlag":Kühl, mild, souverän

Er hat schon in legendären Zeiten beim "Spiegel" mitgewirkt - später dann als stellvertretender Chefredakteur. Aufgespielt hat er sich nie. Auch für die "Süddeutsche Zeitung" schrieb er auf der Historienseite. Zum Tod des Journalisten Dieter Wild.

Von Joachim Käppner

Er war schon im Haus, als 1962 die Polizei die Redaktion stürmte wie in einem Kommandounternehmen. Dieter Wild hat die Spiegel-Affäre direkt miterlebt. 50 Jahre danach schrieb er in der Süddeutschen Zeitung: "In der Redaktion herrschte Beklommenheit. Wir waren jung und bei weitem nicht so abgebrüht, wie der schnoddrige Ton unseres Blattes glauben machte."

Manch anderer hätte der Versuchung, die eigene Rolle in diesem Drama um die Freiheit der Presse zu verklären, nicht widerstehen können. Prahlerei und Starallüren jedoch waren Dieter Wild fremd. Er war ein Journalist des, im besten Sinne, alten Schlages. Als er 1994 als Stellvertreter von Hans Werner Kilz in die Spiegel-Chefredaktion aufstieg, versprach er, die "traditionellen Tugenden" zu stärken: investigative Kraft, Seriosität, Faktentreue statt Gesinnung. Kurz: die Herausforderung durch die neue Konkurrenz des Focus anzunehmen, ohne das Heft seichter und marktschreierischer zu machen.

Der 1931 geborene Wild, Jurist und Historiker, der in Freiburg über den Liberalismus promoviert hatte, war lange Reporter und Auslandschef des Heftes. Er interviewte Golda Meir und Anwar el Sadat, aus Vietnam berichtete er über jenen schrecklichen Krieg, der die erste große Glaubwürdigkeitskrise Amerikas auslöste. 1968 schrieb er: "Im Krieg der hohlen Worte" wirkten Saigons Straßen "noch trauriger, als wenn die Granatwerfer feuerten". Ideologien lehnte er, der als Kind noch die Nazis erlebt hatte, ebenso ab wie modische Geringschätzungen der Demokratie.

Im Alter schrieb er gern für die Historienseite der SZ, am liebsten über Frankreich, seine zweite Heimat. Es war stets eine Freude, mit ihm zu sprechen. Er habe, sagt ein langjähriger Spiegel-Kollege, "niemals ein böses Wort über Dieter Wild gehört". Das Magazin war für viele Qualitäten bekannt, zu denen ein erfreulicher Umgangston aber nicht an allererster Stelle gehörte: Wild dagegen verband kühle Professionalität mit Milde und souveräner Gelassenheit.

Nach der Pensionierung 1998 lehrte er Journalistik an der Uni Leipzig. Gelegentlich warnte er seine Zunft vor der Gefahr, sich selbst zu überschätzen. Hätte sie nur öfter auf ihn gehört. In dieser Woche ist Dieter Wild in Hamburg verstorben.

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