Süddeutsche Zeitung

Eine Woche "TV Total" gucken:Was vom Raab übrig blieb

Das läuft noch? Wirklich? So sehr Stefan Raab ansonsten vor Ideen strotzt: "TV Total" hat sich in 14 Jahren kaum weiterentwickelt. Wie das aussieht und warum es trotzdem noch funktioniert. Eine TV-Wochenkritik.

Von Matthias Kohlmaier

Was hat er nicht schon alles gemacht: Mit dem Hintern in einer asiatischen Kochpfanne ist er eine Bob-Bahn hinuntergerutscht (TV Total Wok-WM), in der Münchner Olympia-Schwimmhalle hat er versucht, möglichst grazil in den Pool zu hüpfen (TV Total Turmspringen) und gelegentlich fährt er gerne vor Publikum Autos zu Schrott (TV Total Stock Car Crash Challenge). Stefan Raab war über Jahre hinweg der große Zampano des deutschen Privatfernsehens. Spätestens als er sich mit Lena zum Eurovision-Kapellmeister aufschwang, dominierte er die TV-Landschaft.

Eine Sache ist über diese ganzen tollen und weniger tollen Formate und Entwicklungen im Raab-Universum jedoch in Vergessenheit geraten: Der Mann hat mit TV Total noch ein reguläres Geschäft zu bestreiten - und zwar viermal pro Woche. Ein Geschäft, dass er seit nunmehr 14 Jahren abspult, das ihn berühmt gemacht hat und bis heute die Basis für alle anderen Raab-Sendungen ist. Ist das heute noch lustig? Und wie hat sich TV Total in den vergangenen Jahren entwickelt? Zeit für eine TV-Wochenkritik.

Montag, 25. März, 23.15 Uhr:

Am Vorabend hat Rapper Sido in Raabs Polit-Talk als erster Gast die absolute Mehrheit und damit 300.000 Euro errungen. Dass das selbst Raab unangenehm ist, zeigt sich darin, dass die Sendung bei TV Total gänzlich unerwähnt bleibt. Raab macht lieber das, was er bei TV Total schon seit bald anderthalb Jahrzehnten macht: Menschen - ob prominent oder nicht - veräppeln. Zu einem Bild des Boxers Arthur Abraham mit zugeschwollenem Auge rappt Raab ein paar Zeilen aus "Deine Augen machen bling-bling", danach fällt er verbal über die ohnehin bereits von Konkurrent RTL auf moralisch fragwürdige Weise präsentierten Kandidaten von Schwiegertochter gesucht her. Also eigentlich alles wie immer.

Gut tut der Episode der Besuch des überraschend witzigen Rappers 50 Cent, zum Schluss hat Anna Loos noch einen Auftritt mit ihrer Band Silly. Dank des hochkarätigen US-Gastes sowie der guten Quoten von Circus Halligalli auf dem Sendeplatz vor TV Total erreicht Raab an diesem Abend einen Marktanteil von 12,2 Prozent in der Zielgruppe der 14-49-Jährigen, immerhin 810.000 Zuschauer verfolgen die Show insgesamt. So viel vorweg: Dies soll der stärkste Wert der Woche bleiben.

Raab'sche TV-Omnipräsenz

Wer schaut Raab überhaupt noch zu, jetzt, wo er erst um 23.15 Uhr und manchmal sogar noch später auf Sendung geht? Natürlich nicht mehr ganz so viele Menschen wie zu TV-Total-Anfangszeiten. Bei einem Format, das seit bald 14 Jahren in einer derart hohen Frequenz läuft, gibt das aber kaum Anlass zu begründeter Kritik. Die Kurzanalyse der Quoten sagt jedenfalls: Diejenigen, die zuschauen, stammen vorzugsweise aus der von Pro Sieben als werberelevant erachteten Zielgruppe der 14-bis-49-Jährigen.

Apropos Frequenz: In den ersten beiden Jahren hatte TV Total - und auch Stefan Raab selbst - noch ein ganz anderes Standing im deutschen Fernsehen. Die Sendung war neu, der Harald Schmidt Show zwar nicht unähnlich, aber an jüngere Zuseher gerichtet und nur einmal die Woche zu sehen. Und noch viel wichtiger: Raab selbst war nicht so omnipräsent im TV, wie das heute der Fall ist.

Inzwischen kämpft und flucht er sich alle paar Samstage durch seine Erfindung Schlag den Raab - eines der quotenstärksten in Deutschlands ziemlich überschaubarer Welt der Samstagabendformate. Mit Absolute Mehrheit hat er unlängst ein Polit-Talk-Format entwickelt. Über dessen Prinzip kann man sich spätestens seit Sidos Sieg trefflich streiten, dennoch hat es dem früheren Viva-Clown ein Plätzchen im Moderatoren-Team für das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Peer Steinbrück im September eingebracht.

Dienstag, 26. März, 23.15 Uhr:

Raab zeigt, dass man auch zwei Mal über Schwiegertochter gesucht herziehen kann, wenn sich kein anderes Opfer anbietet. Ansonsten geht es um eine Studie über den Einfluss des Vornamens auf die Karriere, die Raab dazu nutzt (auch ein gern eingesetztes Stilmittel im Raab-Universum), ein wenig sexistisch zu werden: "Die schlechtesten Karrierechancen haben übrigens Kevin, Justin und alle Mädchennamen!" Zu Gast ist der selbsternannte Komiker Buddy Ogün, dessen Humor man teilen kann, aber gewiss nicht muss.

Dass Ogün in Vertretung von Dauer-Sidekick Elton dann auch noch "Blamieren oder Kassieren" moderiert, ist eine Überdosis Proll-Humor. In jedem Fall ist die Dienstagsausgabe deutlich weniger kurzweilig als der Wochenstart tags zuvor.

Schon nach zwei Sendungen ist klar: TV Total ist in die Jahre gekommen, der Schwerpunkt der Sendung hat sich heimlich, still und leise verschoben. Früher noch TV-Satire, ist es nun ein durchschnittlicher Late-Night-Talk. Raab will noch immer den ungestümen Fernsehkritiker geben, als der er mit TV Total angefangen hat. Nur können Formate wie die Heute-Show (ZDF), Switch Reloaded (Pro Sieben) oder Kalkofes Mattscheibe (Tele 5) das mit der Satire viel besser. Natürlich sind die Einspieler zu Beginn von Raabs Viermal-pro-Woche-Sendung meistens lustig, nur kann man sich dergleichen auch zu jeder Tages- und Nachtzeit bei youtube ansehen. Dafür braucht es keine eigene Fernsehsendung mehr.

Mittwoch, 27. März, 23.15 Uhr:

Er tut es tatsächlich: Auch in der dritten Sendung der Woche veralbert Raab Schwiegertochter gesucht - man könnte fast meinen, es käme kein anderer Mist im Fernsehen, den zu besprechen sich lohnen würde. Danach darf Raab ein bisschen mit Linken-Politiker Gregor Gysi für seine noch junge Polit-Talk-Karriere üben, was ihm allerdings mehr schlecht als recht gelingt. Hans Modrow bezeichnet Raab als "letzten Premierminister der DDR". Daraufhin gibt's von Gysi eine doppelte Korrektur: Letzter Ministerpräsident (erster Fehler) der DDR war Lothar de Mazière (zweiter Fehler).

Auch sonst ist das Gespräch zwischen Raab und Gysi nie auf Augenhöhe - wenigstens solange es um Politik geht. Raab floskelt lieber: "Den demokratischen Prozess des Meinungsaustausches halte ich für durchaus wichtig." Lustig wird die Begegnung erst, als die beiden herumblödeln und Raab in Richtung Gysi schießt: "Ob Sie stehen oder sitzen - sieht eh alles gleich aus." Der Marktanteil ist bei den 14-bis-49-Jährigen inzwischen übrigens auf maue 7,1 Prozent abgerutscht. Zum Vergleich: 2001 lief TV Total auch schon vier Mal pro Woche mit einem Marktanteil von bis zu 28,9 Prozent in der Zielgruppe.

Ein richtiger Late-Night-Talker war Stefan Raab nie. Er wäre es vermutlich gern, aber auch heute hat er in diesem Bereich nicht die Qualität eines Harald Schmidt - obschon der auch seine beste Zeit hinter sich hat. Was Raab immer vielen seiner Kollegen voraus hatte, diese wilde Frechheit und wenn nicht echte so doch hervorragend gespielte Spontaneität, viel ist davon nicht übrig. TV Total wirkt inzwischen gleichförmig, auf Übergänge wird weitgehend verzichtet und die einzelnen Teile/Gäste/Beiträge werden einfach hintereinander abgefrühstückt. Toll ist Raab noch immer dann, wenn er aus diesem Korsett ausbricht und, einfach weil am Ende der Sendung noch 50 Sekunden Zeit übrig sind, mit Buddy Ogün Liegestütze macht. Der Rest wirkt wie Dienst nach Vorschrift.

Donnerstag, 27. März, 23.30 Uhr:

Entgegen der Gewohnheit bestreitet Raab nicht noch eine Sendungseröffnung mit Schwiegertochter gesucht. Dafür lässt er sich viel zu lange über den Versprecher einer Dame aus dem ARD-Buffet ("Hossa, die Waldfee") aus und macht ein paar mäßig witzige Bemerkungen über die Finanzkrise in Zypern. Zu Gast ist Ex-GNTM-Juror Thomas Rath, der sein Buch mit Fashiontipps für Frauen vorstellt und auch Raab ausführlich dessen schlechten Kleidungsstil vorhält. Der wirkt zunehmend genervt, lässt sich aber immerhin dazu überreden, mit Rath das Sakko zu tauschen - und nutzt das in der Folge zu ein paar Homosexuellen-Witzen, die niemand braucht. Schließlich verabschiedet er sich in eine zweiwöchige Oster-Pause.

Ob sich TV Total nach mittlerweile 1882 Folgen nun zum Positiven oder zum Negativen verändert hat, ist gewiss eine Frage des persönlichen Geschmacks. Noch immer macht es einen Gutteil der Sendung aus, intellektuell Wehrlose sowie Menschen, denen im Fernsehen irgendein Fauxpas passiert ist, niederzumachen. Wer das schon immer lustig fand, wird TV Total auch weiterhin gerne sehen.

Alles wie immer

Verwunderlich ist trotzdem, dass der sonst vor Ideen strotzende Stefan Raab, der in den vergangenen Jahren ein neues Format nach dem anderen in den Pro-Sieben-Kosmos geschossen und so manches international weiterverkauft hat, bei seiner ureigenen Show so gar nichts verändern mag. Das Studio sieht aus wie immer, der Ablauf funktioniert wie immer und selbst die Gags unterscheiden sich nicht von den alten. Nächste Station: Belanglosigkeit.

Das funktioniert derzeit, weil Raab keine Konkurrenz in seinem Segment hat. Harald Schmidt hat sich in die Sky-Komfortzone verzogen und auch sonst drängt sich niemand auf, der TV Total herausfordern könnte. Vom Sender hat der 46-Jährige ebenso nichts zu befürchten, Pro Sieben wäre ohne die Quoten aus Raabs diversen Shows kaum denkbar. Ein Umstand, den Stefan Raab hoffentlich nicht dazu nutzen wird, seine Show bis in alle Ewigkeit auf dem Stand von 1999 zu belassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1638921
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/mkoh/ihe/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.