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Ein Selbstversuch: Illustration: Stefan Dimitrov/SZ

Illustration: Stefan Dimitrov/SZ

Tresore, Identitäten, Computer-Infarkt: Wie unsere Autorin versuchte, einen Passwortmanager zu installieren, um endlich ein besseres und sichereres Online-Leben zu führen.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Janosch876 ist nicht mehr. Das wäre und das war viel zu einfach, zu naiv, selbst mit Ausrufezeichen. Auch den echten Janosch gibt's nicht mehr, er war ein selig sabbernder Boxer, unmenschlich vermenschlicht als Hund der Familie, bis zu seinem Tod, der in noch ziemlich internetfreie Zeiten fiel. In meinen Passwörtern lebte Janosch weiter, er wurde zum Yahoo-Hund, zum Login-Hund für die Uni-Bibliothek und Jahre später, es gab jetzt Amazon und so was, wurde er zum Hund mit multipler Persönlichkeit. Kaum ein Account, in dem er nicht in Variationen auftauchte.

Die Accounts wurden mehr und mehr, als würde man Kilo für Kilo zunehmen. Irgendwann wurde Janosch abgelöst von Orten, an denen ich mal war, von Essen, das ich mag. Rom, Moussaka, Ausrufzeichen. Lächerlich, denke ich jetzt, 2019, da einem permanent nahegelegt wird, endlich einen Passwortmanager zu nutzen; laut Experten der seriöse Weg, seine Daten zu schützen. Und seit Wochen schiebe ich das so gekonnt vor mir her wie sonst nur die Steuererklärung. Allein das Ausmaß an Konten, das so ein Online-Leben erfordert, macht mir Angst. Wer soll diesen Passwort-Ballast bitte managen?

"123456" - wie überfordert man sein kann, zeigen jedes Jahr die Listen der meistgenutzten schlechten Passwörter, "hallo123" und "passwort" sind ebenfalls beliebt. Angesichts dieser numerisch-geistigen Trägheit und angesichts dessen, dass es einem Schüler aus Hessen neulich gelang, persönliche Daten von Politikern, Journalisten und Prominenten zu erbeuten und ins Netz zu stellen, kann sich das Digital-Dilemma nicht prägnanter darbieten. Was ein Irrsinn, sein Innerstes, sein Privatestes derart zu veräußern, in E-Mails an Freunde, im Online-Banking, mit peinlichen Fragen an Google - und es zu schützen wie einen verlotterten Keller, in den eh keiner einbrechen würde.

Dieses "eh" dürfte spätestens jetzt obsolet sein. Nach all den Datenskandalen der vergangenen Jahre, siehe Facebook, siehe Yahoo, und dem jüngsten deutschen Datenleak kann man eines nicht mehr ignorieren: seine Vernunft - und die Existenz von Passwortmanagern. Einem Tool, das dem 123456-Menschen helfen soll, seine geheimen Codes zu organisieren, zu sichern, zu verschlüsseln - und das alles mit einem einzigen Passwort. Klingt kompliziert? Ist es auch.

Ein zentrales Passwort muss man sich merken, damit man sich alle anderen nicht mehr merken muss

Noch ein Account ist zwar das Letzte, was ich will in diesem Online-Leben, aber gut. Manche Anbieter sind umsonst, andere kosten drei US-Dollar im Monat. Stiftung Warentest empfiehlt Programme wie Dashlane Premium oder Lastpass Premium und rät davon ab, Passwörter in Internetbrowsern zu speichern und zu verwalten. Ich entscheide mich für 1Password, von der Stiftung Warentest mit Einschränkungen empfohlen, da es nicht auf allen Geräten gleich gut läuft. Auf mich aber macht es den Eindruck, dass man sich bei der Bedienung nicht so vorkommen wird, als läge der eigene IQ auf Raumzimmertemperatur-Niveau. Womit ich mich irre.

Zur Begrüßung bittet man um meine Zahlungsdaten, im Hintergrund heimelt mich ein Baumhaus an: Du bist hier sicher, will es mir sagen, ist wie im Wald, nur ohne die bösen Gnome. Dann soll ich ein Masterpasswort vergeben. Es ist dieses eine zentrale Passwort, das man sich merken soll, um an alle anderen Passwörter zu kommen, die man sich nicht mehr merken muss. Der Generalschlüssel quasi. Weil ich gelesen habe, dass das eine gute Methode sein soll, entscheide ich mich für einen Gaga-Satz, der wenig mit mir zu tun hat (womit ich mich sicher wieder irre), und den ich auf seine Anfangsbuchstaben reduziere, in etwa so: Wenn der Manager mich nicht lässt in seine heiligen Hallen, erwäge ich einen Umzug nach Tonga, wo es hoffentlich kein Wlan gibt: WdMmnlishH#eieUnT*wehkWg100%. Passwort angenommen. Und - zu früh gefreut.

Erst dann kommt die eigentliche Installation, die in mir den gleichen Burn-out-Reflex auslöst wie die stundenlange Filmsuche auf Netflix; ich bin technisch ermattet und doch aufgeputscht. Muss Codes scannen, Sicherheitsschlüssel eingeben, eine Stunde später ist 1Password installiert. Ich atme aus. Jetzt braucht der Browser ein Update, was meinen ohnehin lädierten Laptop scheintot zusammenbrechen lässt. Ich atme ein.

Existenzielle 120 Minuten später, IC%kannN!CHT//mehr! Plötzlich fährt der Laptop wieder hoch, Infarkt überlebt. Ein Fenster öffnet sich, in dem vom Identitäten die Rede ist, von Tresoren. Intuitiv ist das nicht gerade. Am Ende hilft mir ein Youtube-Mann, der 1Password für Menschen erklärt, deren IQ mittlerweile unter die Raumzimmertemperatur gefallen sein dürfte. Jetzt aber! Ich lege ein Passwort nach dem nächsten ab, Spam-E-Mail-Konto, Konzertbuchungs-Account. Was man nicht alles hat. Macht fast Spaß, Ordnung in den Wust zu bringen, ich fühle mich innerlich gereinigt wie nach dem Putzen. Der Manager befindet meine Passwörter für "gut", kann aber selbst Passwörter generieren, die nach anno 2159 aussehen und sehr lang sind. Die findet er dann "fantastisch".

Alles auslagern, meine Zettel aufgeben, meine Eigenständigkeit? Bringe ich nicht übers Herz

Fantastisch finde ich andere Dinge, aber ich bin hier nicht die Managerin. Ich werde gemanagt. Mein Computer atmet nach wie vor sehr schwer, und ich schaffe es nicht, die John-Nash-Passwörter, die ich fröhlich generiere, auch im Browser zu speichern. Das ist ohnehin so eine Sache mit dem Speichern. Meine Reisepassdaten in diesen Manager eingeben, die Bank-PIN? Damit ich dann später immer alles sofort greifbar habe? Alles in einem Programm verknüpfen, alles an eine Firma auslagern, meine Passwort-Zettel aufgeben, meine Eigenständigkeit? Bringe ich nichts übers Herz, übers Hirn.

Vielleicht noch nicht. Vielleicht muss ich das Programm besser kennenlernen wie die anderen Programme, die ich in mein Online-Leben gelassen habe, mich länger damit auseinandersetzen. Aber jetzt brauche ich eine Pause. Klar, so ein Manager ist mindestens 876 Mal sicherer als janosch876; selbst bei einem Hack wird der Dieb wahrscheinlich nur wirre Zeichenketten erbeuten, weil die Daten bei den meisten Anbietern mit kryptografischen Verfahren verschlüsselt werden. Und doch will ich nicht alle Daten hergeben, deren Summe nun mal dummerweise ich bin.

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