Als der Abend auf seinen Höhepunkt zusteuert, als alle Leidens- und Heilungsgeschichten erzählt, als alle Herzen und Herzinnen, alle Ehrenherzen und Goldenen Ehrenherzen vergeben sind, als der Krebs, der Hunger und die Ausbeutung von Kindern nach dreistündiger Schwerstarbeit mit lauter All Stars, viel Bühnennebel und immer noch einer Extraportion Geigenschmalz fast besiegt sind, wird es in "Europas größter Spendengala" erschreckend politisch. ZDF-Moderator Johannes B. Kerner stellt dem "designierten Kanzler" die Frage, die Deutschland, wenn nicht ganz Europa und erst recht die weite Welt bewegt: "Sind Sie aufgeregt?"
Olaf Scholz ist aber gar nicht aufgeregt, sondern spricht ganz scholz von der "großen, großen Aufgabe", vor der er stehe. Am Samstagabend hatte er die verglichen mit dem Kanzleramt nicht ganz so große Aufgabe zu bewältigen, sich beim Springer-Verlag beliebt zu machen, in dem Ein Herz für Kinder einst erfunden wurde. Für die gute Sache werden nicht nur Spenden, sondern auch Politiker eingeworben, und gut monarchisch kennt man bei Springer dann keine Parteien mehr, sondern nur noch Stars. Nachdem es mit Merz und Söder nichts wurde, hatte man sich bei Springer verzweifelt an Laschet geklammert und muss jetzt doch mit Scholz leben. Gut, dass Scholz so gut mit Springer leben kann, dass er weiß, worauf es ankommt. Stolz, als wäre es das britische Königshaus, twitterte Bild: "BILD-Chef @johannesboie empfängt Bald-Kanzler @OlafScholz auf dem roten Teppich der großen Spenden-Gala."
Andere Events sind alle abgesagt. Deutschland, ein einziger grauer DDR-Obrigkeitsstaat
Niemand wird es B-Promis und D-Cups verübeln, wenn sie über diesen roten Teppich laufen. Die Anlässe, ein neues Kleid oder eine neue Frau oder einen neuen Mann auszuführen, sind rar geworden: Alle Filmbälle abgesagt, kein Event weit und breit, die Showtreppen verwaist. Deutschland, ein einziger grauer DDR-Obrigkeitsstaat. Aber es gibt Ein Herz für Kinder und es gibt den "Abend der kleinen Helden, großen Helfer und starken Emotionen". 91 handgezählte sogenannte Stars ließen sich für die Gala auftreiben. Und wer kommt mitten unter ihnen die Treppe herabgeschritten? Das neue Traumpaar Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Auf Twitter hatte der im Oktober entmachtete Bild-Chefredakteur Julian Reichelt noch zwei Tage vor dem großen Tag ein bisschen quergedacht: "Ich weiß, wie viele Politiker es herbeigesehnt und befeuert haben, dass man mir die Möglichkeit nimmt, Bild als klarste und unüberhörbare Stimme des freiheitlichen Denkens zu verteidigen." Der Arme, wo es doch die Politiker sind, die mit ihrer Kollaboration das Corona-Hetzblatt Bild verteidigen! Neben den bekannten Springer-Statisten Peter Hahne und Uschi Glas, neben Alexander Zverev und Sophia Thomalla, die bei dieser Gelegenheit ihren "ersten Liebesauftritt" feiern, dürfen sich endlich auch die Grünen an die Brust des Springer-Verlags drücken lassen. Dafür setzen sich Baerbock und Habeck brav ans Telefon, um Spenden entgegenzunehmen. Begeistert twittert Bild: "Grüne Geld-Giganten". Ach, die gute Sache!
Der leider Gottes verstorbene Wiglaf Droste hat einmal gesagt: "Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten, sich in Bild einwickeln zu lassen." Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck haben damit kein Problem.