"Ein blinder Held - die Liebe des Otto Weidt":Heldenhafter Hochstapler

Ein blinder Held; Ein blinder Held - die Liebe des Otto Weidt

Edgar Selge als Otto Weidt

(Foto: NDR/Vincent TV/Beate Waetzel)

Ähnlich wie Oskar Schindler rettete Bürstenfabrikant Otto Weidt in der Nazi-Zeit Juden vor dem KZ. Sein Leben und seine Liebe wurden jetzt von der ARD verfilmt. Eine Begegnung mit Inge Deutschkron, einem von Weidts Schützlingen.

Von Franziska Augstein

Einem weisen Spruch zufolge müssen Schriftsteller die Wahrheit immer ein bisschen erfinden, damit sie plausibel wird. So unterschiedliche Temperamente wie Siegfried Lenz und Jorge Semprún haben diese Einsicht vertreten. Für die Darstellung der Geschichte von Otto Weidt und seiner großen Liebe braucht es das nicht: Die Wahrheit ist romanesk genug, um glaubhaft zu sein, und tragisch genug, um wie ein guter Roman zu wirken.

In ihrem autobiografischen Buch "Ich trug den gelben Stern" hat Inge Deutschkron Weidts Geschichte erzählt: Sie, die die Schoah in Berlin überlebte, wollte Zeugnis ablegen und also nichts erfinden. Das Berliner Grips-Theater hat ihre Erinnerungen 1989 auf die Bühne gebracht, die Inszenierung läuft bis heute.

Einige Szenen des Fernsehfilms "Ein blinder Held - die Liebe des Otto Weidt" wurden denn auch in den Kulissen des Grips-Theaters gedreht: Angeregt von einer privaten Produktionsgesellschaft haben vier öffentlich-rechtliche Sender sich bei dem Projekt zusammengetan. Die Rundfunkbeiträge der Zuschauer sind diesmal gut angelegt.

Eine Werkstatt für blinde Juden

Otto Weidt war bereits Ende fünfzig, als er in Berlin eine Blindenwerkstatt einrichtete, die im Auftrag der Wehrmacht Bürsten und Besen herstellte. Er, der selbst nur noch fünf Prozent seines Augenlichts hatte, stellte bevorzugt blinde und taube Juden ein, etwa dreißig an der Zahl.

Er hasste die Nazis, wollte den Verfolgten helfen und verfügte über Talente, die sich in der NS-Diktatur als besonders nützlich erwiesen: Otto Weidt war elegant, ja herrschaftlich im Auftreten, ein begabter Lügner und nervenstark. Anders als der Industrielle Oskar Schindler, der in seine Rolle als Judenretter hineinrutschte, wusste der ehemalige Anarchist Otto Weidt von Anfang an, was er mit seiner Blindenwerkstatt bezweckte.

Die meisten Besen und Bürsten, die er auf Kosten der Wehrmacht produzierte, lieferte er nicht an den Auftraggeber, sondern verhökerte sie an Karstadt. Inge Deutschkron, die für den Film interviewt wurde, berichtet, dass auch Besen während des Krieges sehr gesucht waren: "Ein Rosshaarbesen war ein herrliches Hochzeitsgeschenk."

So gelangte Weidt an exquisite Mangelwaren, mit denen er die Gestapo bestach, die seine Schützlinge schon viel früher ins KZ expediert hätte, wenn da nicht die Kiste Champagner, die guten Zigaretten, das Parfum "für die gnädige Frau" gewesen wären.

Ausgekochte Tricksereien

Weidts Tricksereien imponierten Inge Deutschkron. Sie selbst, sagt sie im Film, habe damals immerzu "gelogen und gestohlen. Das konnte ich glänzend". Weil Weidt ein paar Leute braucht, die sehen können, und Bittstellerinnen nicht abweisen mag, engagiert er 1941 die 19-jährige Inge Deutschkron, sie macht den Telefondienst.

Auch für die 23 Jahre alte Alice Licht hat er eine Beschäftigung - und er, der verheiratete, alternde Mann, verliebt sich in die junge Frau. Als 1943 deklariert wird, Berlin solle "judenrein" werden, findet Weidt für seine Juden Verstecke, die indes bald verraten werden.

Verliebt nach Auschwitz

Einige Zeit später kommt in der nun leeren, winterkalten Blindenwerkstatt eine Postkarte an: Alice meldet lapidar, dass sie auf dem Weg nach Auschwitz-Birkenau sei, auf dem Weg in ein Vernichtungslager. Und was tut da Otto Weidt? Der Blinde packt ein paar Bürsten ein, um sich als Handelsvertreter ausgeben zu können, und fährt mit der Eisenbahn ins eisige Auschwitz.

Weidt brachte sich selbst in Gefahr, als er ungebeten am Lagertor auftauchte - den liebenden Mann kümmerte es nicht. Ohne ihn hätte Alice Licht wohl nicht überlebt. Während des Krieges hatte sie ihm gesagt, sie wolle immer mit ihm zusammen sein. Nach dem Krieg ist sie, deren Eltern in Auschwitz getötet worden waren, in die Vereinigten Staaten emigriert. Otto Weidt hat nie wieder von ihr gehört. Er starb 1947: eine Herzkrankheit - oder war er krank am Herzen? Inge Deutschkron sagt sachlich, das Leben "mit uns", mit den verfolgten, dann versteckten Juden, müsse ihm sehr zugesetzt haben.

Mit nüchternem Blick

Der Film in der Regie von Kai Christiansen handelt von einem heldenhaften Hochstapler und Judenretter. Genau das ist auch das Thema von Steven Spielbergs "Schindlers Liste". Um Klassen besser als die Hollywood-Schnulze ist indes der Fernsehfilm "Ein blinder Held". Das beginnt damit, dass die Drehbuchautoren, Heike Brückner von Grumbkow und Jochen von Grumbkow, ihren Stoff zwar so packend wie Spielberg, aber im Gegensatz zu ihm historisch plausibel umgesetzt haben.

Aufkommende Sentimentalität angesichts dieser ergreifenden Liebesgeschichte ernüchtert der Blick auf das große Ganze des Weltkriegs, Einsprengsel von zeitgenössischen Dokumentarfilmaufnahmen machen es möglich. Als Otto Weidt sich nach Auschwitz aufmacht, werden Filmschnipsel aus der Zeit gezeigt, von einem Zug aus aufgenommen. Dann kommt ein Schnitt: Der Schauspieler Edgar Selge als Otto Weidt im Zug, nun in Farbe.

Man sieht alte Filmaufnahmen von Juden, die mit Koffern einem ihnen gewiesenen Ort zustreben. Man sieht das städtische Treiben am Brandenburger Tor, vor der Bombardierung Berlins und danach. Alle diese dokumentarischen Filmsequenzen sind bedrückend und so gekonnt in den Film eingearbeitet, dass sie Teil der Handlung werden.

Filmmaterial mit Substanz

Auch die Interviewpassagen mit Inge Deutschkron - Sandra Maischberger hat mit ihr gesprochen - wirken nicht als Unterbrechung der Handlung, sondern als inhaltliche Ergänzung. Dies zumal, da Inge Deutschkron eine Erzählerin ist, die alles lebendig macht, wovon sie redet. Der Kontrast zwischen der alten, der echten Inge Deutschkron und Julia Goldberg, die die junge Inge spielt, hat seinen eigenen Charme.

Beim Casting hat man sichtlich Wert darauf gelegt, Schauspieler zu finden, die ihren Vorbildern in der Wirklichkeit äußerlich ähnlich sind. Alle überzeugen, nicht zuletzt die drei Hauptdarsteller: Henriette Confurius macht sich als halb naive, halb kokette Alice sehr gut. Großartig ist Heike Hanold-Lynch, die als Weidts verbittert-verbiesterte, eifersüchtige und nicht besonders attraktive Ehefrau auftritt.

Ein perfektes Match für die Schauspieler

Glanzvoll ist Edgar Selge als Otto Weidt. Die zurückhaltende Verliebtheit zeigt er, das Entsetzen über böse Nachrichten, die heillose Erschütterung, als Alice nach Amerika aufbricht: Die Tränen, die da sichtlich kommen wollen, erstickt Selge in einem verzweifelten, kurzen Kehllaut, bevor er die ruhig-resignierte Mine eines Mannes annimmt, dessen Lebensfunke soeben aus der Tür gegangen ist. Das Casting hat ein Riesenglück gehabt, dass Edgar Selge dem Typus von Otto Weidt ein bisschen entspricht.

Dass dem so ist, bezeugt Inge Deutschkron. Ein paar der Interviews für den Film fanden in ihrer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf statt, hier empfängt sie auch die SZ. Über Edgar Selge sagt sie: "Der ist so hager wie Weidt. Der hat auch ein Gesicht ein bisschen wie ein Vogelkopf. Und er hat so schöne große Hände, die hatte Weidt auch. Das Wichtigste: Er hat Unterricht genommen, wie ein Blinder sich bewegt. Das macht er sehr gut. Ich weiß, wie Blinde sich bewegen."

Das Deutsch-Sein tötete die Familie Deutschkron

1939 erhielt ihr Vater - er war nicht bloß Jude, sondern auch Sozialdemokrat - von einer Verwandten die Einladung, zu ihr nach England zu emigrieren. Die ganze Familie konnte sie nicht aufnehmen, weil sie nicht das Geld hatte, das beim britischen Staat hinterlegt werden musste, damit die Flüchtlinge ihm nicht auf der Tasche lägen. Die Tochter Inge und ihre Mutter sollten nachkommen.

Perfiderweise ließ das Deutsche Reich die Juden, die es doch loswerden wollte, dann nicht mehr ausreisen. Inge Deutschkron und ihre Mutter überlebten in Berlin, wo sie von einem Versteck ins nächste weitergereicht wurden: "Ich hatte meine Sozialdemokraten." Von diesen drei Deutschkrons abgesehen, wurde die gesamte Familie umgebracht. "Das waren alles Deutsche", sagt Inge Deutschkron, "dieses Deutsch-Sein hat sie getötet" - die Liebe zu Goethe & Co., das Vertrauen zu dem Land, das sie das Ihre nannten.

Angst und Glück lassen sich nicht einfangen

Nur eines fehle in dem Film, und das könne nicht dargestellt werden: "Die Angst-Atmosphäre ist nicht herzustellen und zum anderen auch nicht die Glücks-Atmosphäre", wenn Otto Weidt einmal wieder mit "Parfum für die Dame" den Menschen in seinem Betrieb das Leben gerettet hatte. Und dann sagt sie noch etwas: Nachdem sie aus ihrem Versteck in Berlin 1945 wieder aufgetaucht war, habe sie erlebt, wie die deutschen Vertriebenen vom Staat sofort Unterstützung erhielten, nicht aber die Juden, die überlebt hatten: "Wir Überlebenden waren Müll. Das vergebe ich dem deutschen Staat nicht."

Wenige Jahre nach dem Krieg und nach einem Zwischenstopp in England wurde Inge Deutschkron Korrespondentin der israelischen Zeitung Maariw in Bonn und musste hinnehmen, dass sie von den deutschen Politikern geschnitten wurde: "Ich bekam keine Interviews." Sie ging nach Israel und kehrte 1988 nach Deutschland zurück - das Klima in der Bundesrepublik hatte sich mittlerweile gewandelt.

Inge Deutschkron ist eine scharf urteilende Person und zu Tadel eher aufgelegt als zum Lob. Den Film über Otto Weidt findet sie großartig. Und sie hat Recht.

Ein blinder Held - die Liebe des Otto Weidt, ARD, 6. Januar, 21.45 Uhr.

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