Weltexklusiv. Kein Wort klingt süßer in den Ohren von Chefredakteuren und Intendanten, kein Superlativ begründet Rundfunkgebühren schlüssiger. An diesem Sonntagabend fällt das Wort "weltexklusiv" in der ARD häufiger - immerhin hat der NDR das erste TV-Interview mit Edward Snowden geführt.
Nun könnte das ein Moment globaler Strahlkraft sein, doch da gibt es noch dieses andere, wenig glamouröse Wort: "Programmplanung" heißt es, und es liefert im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht selten die Erklärung für den Widerspruch zwischen großen Ambitionen und kleinem Erfolg.
Unglückliches Konzept
An diesem Abend funktioniert das so: Die ARD hat für das halbstündige Snowden-Interview erst um kurz nach 23 Uhr im Sendeplan Platz gefunden. "Um ein möglichst großes Publikum zu erreichen", so erklärt der NDR, dürfen aber schon vorher die Gäste bei Günther Jauch über das Thema diskutieren. Genauer gesagt: Über Ausschnitte aus dem Interview und die zeitlose Frage "Snowden - Held oder Verräter?".
Sollte das Erste dieses Konzept auf die anstehende Fußball-WM übertragen, es würde ungefähr so aussehen: Zuerst analysieren Gerhard Delling und Mehmet Scholl die Tore (ohne den Rest des Spiels gesehen zu haben), dann folgen als Aufzeichnung die kompletten 90 Minuten.
So unglücklich das Konzept, so uninspiriert die Gästeliste: Als das für Talkshows zur NSA-Affäre obligatorische "Gesicht Amerikas" kommt wieder der ehemalige Botschafter John Kornblum, Bild-Mann Julian Reichelt gibt erneut routiniert-angriffslustig den Snowden-Kritiker. Die Buchung des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele läuft für dieses Thema wahrscheinlich bereits vollautomatisiert, und die Einladung der Piratin Marina Weisband soll technische Kompetenz simulieren, wo gar nicht über diese Dimension der Affäre geredet wird. Immerhin Hubert Seipel ist neu - er hat Snowden interviewt.
Oberflächliche Analysen und Debatten-Sparring
Seipel ist es auch, dem es nach schon 15 Minuten zu bunt wird. Man solle "endlich zu den Punkten kommen, die Snowden aufgezeigt hat, und auf den Missbrauch". Zuvor hatte Weisband mal wieder Asyl für Snowden gefordert, Reichelt mal wieder den "Schaden für das transatlantische Bündnis" ohne erkennbare Ironie statt den Geheimdiensten dem Enthüller zugeschrieben und Ex-Botschafter Kornblum darauf hingewiesen, dass Snowden auch auf dem Dienstweg für Veränderungen hätte sorgen können.
Seipels Wunsch nach einer substantiellen Diskussion wird leider nicht erfüllt. Die Snowden-Einspieler sind letztlich immer nur Stichworte für oberflächliche Analysen und Debatten-Sparring. Reichelt erklärt, dass Deutschland ebenfalls Verbündete ausspioniere. Für Ströbele hat ein No-Spy-Abkommen keinen Sinn, wenn der Präsident die Einhaltung nicht kontrollieren kann. Marina Weisband redet kurz über Verschlüsselung, bleibt sonst aber recht still. Das Gesicht Amerikas - Kornblum - wird zunehmend griesgrämiger, am Ende münden selbst seine klugen Fragen (Welche politischen Konzepte braucht es nach der NSA-Affäre?) in banale Schlussfolgerungen (Egal welche, Amerika bleibt im Zentrum).
Und Snowden-Interviewer Seipel? Reagiert sarkastisch, als ihn Günther Jauch nach der Rolle Wladimir Putins beim Zustandekommen des Interviews fragt, den der Journalist einmal porträtiert hatte. "Natürlich hat Putin mich instrumentalisiert und mir eine Million in die Schweiz überwiesen."
Snowden selbst wirkt dann in der später gesendeten Interview-Aufzeichnung konzentriert und überzeugt von seinen Taten. Viele konkrete Neuigkeiten hat er nicht, da er nur über bereits veröffentlichte Dokumente redet. Die wichtigsten Erkenntnisse: Erstens, die NSA betreibt Wirtschaftsspionage. Zweitens: In Sachen Zusammenarbeit mit dem BND könnten noch Enthüllungen zu erwarten sein - Snowden spricht von dem berühmten Ringtausch-System, in dem sich westliche Geheimdienste gegenseitig mit Informationen versorgen und so theoretisch auch Überwachungsinformationen über ihre eigenen Bürger erhalten könnten ( Transkript hier).
"Der einzige Weg, wie die NSA Missbrauch aufdeckt, sind Selbstanzeigen", kritisiert er den Geheimdienst und die fehlende Kontrolle. US-Präsident Barack Obama habe in seiner Rede zwar kleine Änderungen verkündet, doch Snowden lässt durchblicken: Dafür, dass die NSA dem Präsidenten alleine untersteht, war das erstaunlich wenig.
Den Vorwurf des Verrats weist der 30-Jährige von sich: "Wenn es stimmt, dass ich ein Verräter bin, wen soll ich denn verraten haben? Ich habe alles, was ich weiß, der amerikanischen Öffentlichkeit, den amerikanischen Journalisten, geschenkt. Wenn das als Verrat gelten soll, sollten sich die Menschen wirklich fragen, für wen sie arbeiten. Die Öffentlichkeit ist ja schließlich ihr Chef und nicht ihr Feind."
Bizarre Online-Aufbereitung
Derzeit rechnet Snowden, dies hatte er bereits in einem Chat vergangene Woche erklärt, nicht mit einem fairen, öffentlichen Prozess. Er sei jedoch offen für Gespräche mit dem Weißen Haus - auch wenn er bislang "noch keinen Anruf" erhalten hätte.
Auf Anrufe warten muss der NDR am Montag wahrscheinlich nicht, die Online-Aufbereitung des Gesprächs wirft einige Fragen auf: So hatte der Sender das Interview zwar auf seine eigene Seite und auf Youtube hochgeladen, dort kann es aber nur in Deutschland abgerufen werden. Das mag an der Gesetzeslage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk liegen. Auch eine Originalversion ohne Übersetzerstimme wird es nicht geben - die internationalen Rechte und damit auch die an der englischen Version liegen bei der Produktionsgesellschaft. Die ist allerdings eine NDR-Tochterfirma.
Damit ist klar: Im Ausland wird dieses einzigartige Snowden-Interview - zumindest offiziell - erst einmal niemand zu sehen bekommen. So schrumpft das große Wort "weltexklusiv" ganz schnell auf "deutschlandexklusiv" zusammen. Und die Strahlkraft dieses Scoops verglüht in den komplexen Firmenkonstrukten und Behördenstrukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Nachtrag: Mittlerweile ist das Snowden-Interview doch auf der Webseite des NDR in einer unsynchronisierten Fassung zu sehen. Die Vermutung liegt nahe, dass ARD bzw. NDR damit auf die vielfach vorgetragene Kritik am anfänglichen Fehlen der englischen Originalfassung reagiert haben. Das Video ist jedoch weiterhin nicht außerhalb Deutschlands abrufbar.