Eduardo Martins:Ein Phantom von Kriegsfotograf

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Hat er geklaut oder wollte der Fälscher, der Bilder aus dem Netz fischte und seitenverkehrt als seine eigenen ausgab, gar auf die Missstände der Branche aufmerksam machen? (Foto: Instagram)

Eduardo Martins ist als Fotograf weltweit gefragt. Dann stellt sich heraus: Seine Bilder sind geklaut, er selbst existiert nicht. Nur die Blumen, die er schickte, waren echt.

Von Boris Herrmann

Bevor der brasilianische Fotograf Ignacio Aronovich am Telefon seine Version der Geschichte erzählt, versichert er, dass es ihn leibhaftig gibt. Ist ja nicht mehr selbstverständlich in seinem Geschäft. Der Fall des Kollegen Eduardo Martins hat da einiges ins Wanken gebracht. Martins, weltweit gefeierter Kriegsfotograf, Surfer, Frauenheld, mehr als 120 000 Follower auf Instagram, hat es nämlich ganz offensichtlich nie gegeben. Das kam vor drei Wochen heraus und löste in der Szene der Fotojournalisten eine Schockwelle aus, die bis heute nicht abgeebbt ist. "Sein ganzes Leben war ein Festival aus Fake News", sagt Aronovich.

Und was das für ein Leben war! Eduardo Martins, 32, stammte angeblich aus São Paulo. Manche, die ihm in den vergangenen Jahren begegnet sind - stets in sozialen Netzwerken, nie auf der Straße -, behaupten auch, dass er aus der Hafenstadt Santos kam. Aber das ist einer der kleinsten Widersprüche in dieser großen Lügenbiografie. Martins hatte demnach eine schwere Leukämieerkrankung bezwungen, bevor er auf Sinnsuche in den Nahen Osten ging. Einen Sinn fand er angeblich darin, jungen Palästinensern im Gazastreifen Surfkurse zu geben. Einen anderen, indem er Fotos aus Kriegsgebieten in Syrien oder im Irak machte, um die Welt aufzurütteln. Bildagenturen wie Zuma Press oder Getty haben sie verbreitet. Renommierte Medien wie BBC Brasil, The Wall Street Journal oder Vice haben sie publiziert. Bilder eines Fotografen, der nicht existiert.

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Aronovich war kein Follower von Martins. Er wurde auf den vermeintlichen Kollegen aufmerksam über einen befreundeten Fotografen und Journalisten namens Fernando Costa Netto, der die Arbeiten von Martins in höchsten Tönen lobte. Costa Netto plante außerdem eine Ausstellung über die brasilianische Kriegsfotografie in Fortaleza, auch der Shootingstar Martins sollte eingeladen werden. Ende August las Aronovich dann aber in einem Artikel Costa Nettos, dass es erhebliche Zweifel gebe an der Existenz des Mannes: "Edu Martins ist tot", lautete die Überschrift, der Text klang wie ein Abschiedsbrief an einen alten Freund. Aronovich wurde neugierig.

Er schaute sich im Netz einige Arbeiten von Martins an, dabei fiel ihm ein Foto auf, das einen Mann mit einer Kamera zeigt, die linke Hand am Auslöser. "Seltsam", dachte Aronovich, "welches Kameramodell hat heute noch den Knopf auf der linken Seite?" Ihm fiel keines ein. Er spiegelte das Bild mit Photoshop und lud es wieder bei Google hoch. Treffer! Das Original stammte von dem amerikanischen Fotografen Daniel C. Britt. "Es hat mich 40 Minuten gekostet, um das herauszufinden", sagt Aronovich. Viele professionelle Kunden von Martins machten sich offenbar nicht diese Mühe. Vielleicht sogar verständlich im alltäglichen Produktionsstress.

Eher unverständlich ist, weshalb im kurzen, aber ruhmreichen Arbeitsleben des Fotografen Martins offenbar keinerlei Geld geflossen ist. Die erste Regel, um einen Betrüger zu finden, lautet: "Follow the money." Eduardo Martins aber hat seine Bilder offenbar kostenlos angeboten, ohne Vertrag und Kontoverbindung. "Da muss man doch stutzig werden", meint Aronovich, "kostenlose Kriegsfotografien sind entweder Propaganda oder Fälschungen." Martins Auftraggeber stutzten offensichtlich nicht, und scheinbar störte sich auch niemand an der geringen Auflösung dieser Bilder, die ja alle aus dem Internet geklaut waren.

Die entscheidende Frage ist für Aronovich deshalb nicht: Wer steckt dahinter? Sondern eher: Wie war das möglich? Was war das Motiv? Und wieweit hätte das gehen können, wenn der Schwindel nicht aufgeflogen wäre?

Eine Sache ist ja, dass man heute auf Basis von Fake News Präsident der USA werden kann. Aber Donald Trump existiert immerhin, er ist realer, als es der Menschheit recht sein kann. Der nicht reale Kriegsreporter aber, der trotzdem Karriere machte, untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Informationsbranche, und dazu gehören auch all jene, die tatsächlich vieles riskieren und manches opfern, um von der Realität zu berichten.

BBC Brasil publizierte eine lange Investigativstory, in der sie Martins entlarvte - am Tag, nachdem ihn Costa Netto und Aronovich bereits öffentlich überführt hatten. BBC Brasil beschuldigte daraufhin Costa Netto, den Urheber des Schwindels gewarnt zu haben, sodass er rechtzeitig untertauchen konnte. Der brasilianische Fotograf bestreitet das am Telefon. Er hält wiederum der BBC vor, vom eigentlichen Thema ablenken zu wollen, der dringend notwendigen Selbstkritik. Er prophezeit: "Der Fall wird ins Standardrepertoire von Journalistenschulen eingehen: Wie man die Weltpresse vorführt."

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Daniel C. Britt, dessen Bilder von Martins gestohlen wurden, teilt aus New York mit: "Die Geschichte illustriert vor allem eines: Wie die Medienhäuser bei den Fotos Geld sparen wollen." Er sagt, er hätte den Diebstahl wohl niemals bemerkt, wenn Aronovich ihn nicht verständigt hätte. Der wiederum findet: "Das alles macht unseren Berufsstand kaputt."

Man könnte meinen, dass sich der Grad der Wahrheit nach der Zahl der Follower bemisst

Es ist für ihn kein Trost, dass nicht nur die Medien auf diesen Fake reingefallen sind, sondern auch die Frauen. Eine Fotografin aus São Paulo, die darum bittet, ihren Namen nicht zu veröffentlichen, sagt: "Wer immer hinter Eduardo steckt, er ist ein komplett verrücktes Genie." Sie ist sich sicher, dass es sich um einen Brasilianer handelt, sie hat regelmäßig mit ihm über Skype geredet und geflirtet. Auf Portugiesisch. Wie er aussieht, weiß sie aber nicht. "Er war nie live im Bild." Das Profilfoto, das er in allen Netzwerken benutzte, blond, braun gebrannt, zeigt in Wahrheit den britischen Surfer Max Hepworth-Povey. Inzwischen wurden alle Accounts von Martins gelöscht. Die Fotografin aus São Paulo erzählt, sie wisse von mindestens zwei weiteren Frauen, mit denen er eine Affäre hatte, rein virtuell, versteht sich. Er muss den Schwindel als Fulltime-Job betrieben haben. Ihr selbst habe er zum Geburtstag Blumen geschickt. Als sie in der realen Welt einen Mann kennenlernte, von dem sie inzwischen schwanger ist, wollte sie den Kontakt abbrechen. "Aber der Typ hat sich immer wieder gemeldet." Sie hat jetzt Angst vor ihm, immerhin scheint er ihre Adresse zu kennen. Die Blumen!

Fast alles an der Geschichte von Eduardo Martins wirkt zu interessant, um wahr zu sein: die schwere Kindheit, der Krebs, der Neuanfang, die Surfkurse, die Freiwilligenarbeit in einem UN-Flüchtlingscamp, die berührenden Fotos - eine Sammlung von Klischees. Im Nachhinein ist es leicht, das alles für unglaubwürdig zu halten. Ignacio Aronovich meint, die Story sei wohl auch deshalb geglaubt worden, weil die Leute sie glauben wollten. Und weil so viele andere ja anscheinend auch keine Zweifel hatten. Als ob sich der Grad der Wahrheit nach der Zahl der Follower bemisst.

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Aronovich hätte da aber noch eine Recherche-Idee: "Wenn es Blumen gab, dann müssen sie von irgendwoher gekommen sein. Und irgendjemand muss für sie bezahlt haben." Das wäre wohl die hübscheste Pointe dieser Geschichte - wenn der falsche Charmeur eines Tages wegen eines echten Röschens aufflöge.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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