Süddeutsche Zeitung

"Echtzeit"-Doku:Kleiderzwang

Lesezeit: 2 Min.

RTL 2 schickt zwei Jugendliche zu Näherinnen nach Kambodscha, um sich über deren Arbeitsbedingungen zu informieren. Die interessieren sie aber nicht so recht. Dafür werden die beiden so gedisst, dass sich der Zuschauer mit ihnen solidarisiert.

Von David Denk

Wenn man hört, dass RTL2 die modebewusste Schauspielerin und Moderatorin Collien Ulmen-Fernandes nach Kambodscha geschickt hat, um nachzuschauen, wie ihre und unser aller T-Shirts dort zusammengenäht werden, hält man das exakt so lange für eine richtig gute Idee, bis man den fertigen Film gesehen hat. Denn Ulmen-Fernandes durfte für die Echtzeit-Reportage "Hoher Preis für billige Klamotten" nicht etwa alleine nach Phnom Penh fliegen, sondern musste Anne und Max mitnehmen, "als Stellvertreter der Zuschauer", wie Ulmen-Fernandes sagt. Die Ursprungsidee sei gewesen, "dass die Jugendlichen sich mehr mit den Näherinnen solidarisieren". Die sei "nicht so ganz aufgegangen", räumt sie ein.

Man kann das natürlich auf die Blasiertheit zweier deutscher Fashion-Victims schieben, denen die dortigen Arbeitsbedingungen anscheinend tatsächlich "ein bisschen wurscht" sind, wie Ulmen-Fernandes sagt. Man kann sich aber auch fragen, ob Anne und Max nicht einfach überfordert waren. Sie wurden, wie der Film verrät, gecastet, ohne - im Wortsinn - zu wissen, wohin die Reise geht. Sie hatten keine Chance, sich vorzubereiten - oder im Wissen um das Reiseziel einen Rückzieher zu machen. Gerade weil er das Gegenteil zu erreichen versucht, schafft der Film es, dass sich der Zuschauer mit den Protagonisten solidarisiert. So sollen Anne und Max plötzlich drei Nächte mit Näherinnen in deren Apartment wohnen, während Ulmen-Fernandes zurück ins Hotel fährt. Weil das Fernsehen es so will, lassen sie sich darauf ein, rümpfen die Nase über die hygienischen Standards und geben schließlich auf. "Nur 32 Stunden nach ihrer Ankunft", tadelt der Off-Sprecher, "ist den beiden Deutschen das Leben der Näherinnen zu hart". Sie wollen auch ins Hotel - wer könnte ihnen das verdenken, also außer RTL 2?

Solche Privatfernseh-Kniffe verstellen den Blick auf das eigentliche Anliegen der Doku - oder zumindest das von Collien Ulmen-Fernandes: ein Bewusstsein zu schaffen für den auf dem Rücken der Näherinnen ausgetragenen Shoppingwahnsinn. Vom Verkauf eines 29-Euro-Shirts, rechnet der Film vor, bleiben nur 18 Cent bei ihnen hängen. Zudem wird mit dem Missverständnis aufgeräumt, dass nur Billigmarken auch billig produzieren. "Luxusunternehmen fertigen zum Teil unter noch schlechteren Bedingungen", weiß Ulmen-Fernandes. Da "Boykotts allerdings auch keine Lösung" seien, zumal die schwarzen Schafe immer wieder andere seien ("Es gibt nicht die Guten und die Bösen"), sei der Konsument gefordert, deutlich zu machen, dass ihn das Thema umtreibt: "Ich glaube, dass kollektiver Druck etwas bewegen kann." So empfiehlt die Doku, die Handelskonzerne mittels einer Aktionskarte der Kampagne für saubere Kleidung mit Fragen zur Herstellung zu konfrontieren. Mitgliedschaften in der Fairwear Foundation oder im Textilbündnis der Bundesregierung seien auch ein guter Anhaltspunkt. Fairtrade-Siegel hingegen, erklärt Ulmen-Fernandes, hätten auf die Arbeitsbedingungen keinerlei Einfluss.

Echtzeit: "Hoher Preis für billige Klamotten", RTL 2, 23.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2015
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