Süddeutsche Zeitung

"Durch die Nacht mit..." auf Arte:Feiner Herr trifft auf Edelpenner

Treffen sich zwei auf ein Bier - so funktioniert "Durch die Nacht mit..." auf Arte. Bei Chris Dercon, Chef der Tate Modern, und Theatermacher Matthias Lilienthal sind die Rollen beim Treffen in London klar verteilt.

Von Christian Mayer

Ein Pub ist ein Pub ist ein Pub, sollte man meinen, wenn man in London unterwegs ist, aber hier wirkt die Kneipe namens "Horseshoe" wie ein seltsames Relikt aus einer versunkenen Epoche. Chris Dercon, der Chef der Tate Modern, und Matthias Lilienthal, der Theatermacher aus Berlin, feiern ihr Debüt als Alleinunterhalter in der Dokumentarreihe Durch die Nacht mit. . ., sie haben sich schon ein paar Stunden warmgeredet und jetzt Lust auf ein Bier und auf eine Runde Dart.

Wäre eigentlich ganz entspannt, wenn man nicht das Problem hätte, immer alles hinterfragen zu müssen. Also greift sich Dercon den Wirt, einen unendlich freundlichen Londoner: Warum die Menschen in dieser gefräßigen Metropole nicht Widerstand leisteten, obwohl sie aus ihren Vierteln vertrieben werden, von den Leuten, die das ganz große Geld verdienen und London Stück für Stück in eine Art Dubai verwandeln?

Lakonische Nachtmusik

Der Pub-Betreiber, dessen Familie längst vor den Toren der Stadt lebt, weil das Leben in London zu teuer ist, antwortet mit heiterer Melancholie. Es ist eine dieser lakonischen Szenen, die das Format Durch die Nacht mit. . . sehenswert machen. "Protest heißt hier Trauer, nicht wahr?", sagt Dercon. "Ich könnte nicht widersprechen", entgegnet der Londoner.

Die Rollen sind klar verteilt bei dieser Begegnung zweier Kulturmenschen. Chris Dercon ist der smarte Entertainer, der Kommunikator, der schon früher als Direktor am Haus der Kunst in München alle um den Finger wickeln konnte: Politiker, Publikum, Partyvolk und natürlich die Sponsoren.

Matthias Lilienthal wirkt wie das Gegenmodell, aber man sollte sich nicht täuschen lassen von seinem Edelpenner-Kostüm, von seiner liebenswerten Unförmigkeit: Lilienthal ist ein ebenso lässiger wie scharfsinniger Beobachter, der kein Drama um seine Person macht, obwohl er längst zu den wichtigsten Theatermachern in Deutschland zählt und 2015 die Intendanz an den Münchner Kammerspielen übernimmt.

Anders als Dercon kann er mit reichen Gönnern und Gesellschaftsgrößen, die das Londoner Kulturleben dominieren, gar nichts anfangen: "Diese Welt ist mir total verschlossen. Die sehen, wie ich rumlaufe, und dann ist das Ding jelofen", berlinert er.

Wer einen rauschenden Glitzerabend mit urbanen Events erwartet, wird enttäuscht sein: Diese beiden Kreativen haben sich viel zu viel zu erzählen, um eine wilde Party zu feiern. Sie vermissen zum Beispiel beide ihren Freund Christoph Schlingensief, der noch diese gewisse Wut auf die Gesellschaft hatte, die den jüngeren Künstlern heute fehle.

Kunst und Geld

Dercon ist ein einfühlsamer Fremdenführer, und Lilienthal gehört zu jenen Menschen, die sich überall wohlfühlen können, in den Katakomben der Tate Modern, im arabischen Viertel rund um die Edgware Road, bei Performance-Künstlern in irgendwelchen Hinterhöfen oder beim Berliner Fotograf Wolfgang Tillmans, der längst zu den Londoner Berühmtheiten und auch zu Dercons Tate-Modern-Netzwerk zählt.

Am Ende ist es dann doch eher ein Gespräch über München als über London und das schwierige Verhältnis von Kunst und Geld. Lilienthal will wissen, wie die Stadt funktioniert, in der Dercon die Kulturszene aufgemischt hat. "München ist ein Dorf, aber eines, das funktioniert - und das ist toll", sagt der Belgier. Und ja, auch das noch: Lilienthal müsse in München unbedingt einmal die Woche in die Schumann's Bar am Odeonsplatz gehen, um erst mal alle kennenzulernen und zu verstehen. Da hat offenbar einer Heimweh.

Durch die Nacht mit... Chris Dercon und Matthias Lilienthal, Arte, Sonntag, 0.35 Uhr

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SZ vom 04.01.2014/mfh
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