Duisburg scheitert an Bloggern:Aufruhr im Netz

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Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland wollte die Veröffentlichung von Dokumenten zur Loveparade verbieten - und scheiterte an der Blogger-Gemeinde.

Hans Leyendecker

Wenn 21 Leute gestorben sind und die ganze Republik über die Verantwortung der Verantwortlichen diskutiert, bleibt einem in die Katastrophe verstrickten Amtsträger angesichts der aufgebrachten Öffentlichkeit kein großer Spielraum: Er muss sich und seine Rolle erklären. Er muss Demut zeigen, Haltung einnehmen, die Gesten müssen stimmen und persönliche Konsequenzen muss er natürlich auch ziehen. Jedenfalls darf er nicht so tun, als wäre er auch noch pampig.

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Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland wirkt so - auch jetzt noch. Nun geriet er sogar in den Ruf, ein Zensor der Netzwelt zu sein. Im Auftrag der Stadt hatte die Düsseldorfer Anwaltskanzlei Heuking, Kühn, Lüer & Wojtek dem Internet-Lokalportal Xtranews mit Verweis auf das Urheberrecht per einstweiliger Verfügung verbieten lassen, 310 Seiten Anlagen eines von der Kanzlei gefertigten Zwischenberichts zur Loveparade-Katastrophe im Internet zu zeigen. Bei Verstoß drohte ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Dabei hatten bereits Blätter wie die Süddeutsche Zeitung zuvor ausführlich aus den Dokumenten zitiert. Auch hatte die Stadt selbst den Zwischenbericht ohne die Anlagen "wegen des hohen öffentlichen Interesses" im Internet veröffentlicht. Die Blogger-Szene war in Aufruhr.

Hardy Prothmann, der das lesenswerte heddesheimblog gegründet hat, riet sofort: "Weitertragen, bekannt machen und möglichst oft die Meinung zu Sauerlands Verhalten sagen, schreiben, senden". Andere Blogs veröffentlichten prompt die Anlagen. Sogar die Brandenburger Abteilung des Deutschen Jounalisten Verbandes stellte die Papiere ins Netz. Der Blogger "Süßmeer" verspricht, die Dokumente seien "in Kürze auch auf Wikileaks.org" zu lesen. Die ganze Welt sollte erfahren, wie überfordert das offenbar kopflose Duisburger Stadtoberhaupt ist.

Am Mittwochabend kapitulierte Sauerland. Die unkontrollierbare Verbreitung der Dokumente sei faktisch nicht mehr zu unterbinden, sagte ein Stadtsprecher. Die Stadt wolle dagegen keine weiteren juristischen Schritte unternehmen.

Die Auseinandersetzung ist skurril und lehrreich zugleich. "Durch ein solches Verbot wird die Wirkung verzehntfacht oder sogar verhundertfacht" sagt der echte Krisen-Spezialist Klaus Kocks, der mal Kommunikationsvorstand von VW war.

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Zensur statt Dialog - da wummert das Netz. Wer sich derart mit der Blogger-Szene anlege wie Heuking und Sauerland bekomme "Klassenkeile. Wie kann man nur so verrückt sein, in einem solchen Fall mit dem Urheberrecht zu kommen?", fragt sich nicht nur Kocks.Es gibt im Fall Duisburg viele Fragen und einige von ihnen haben auch mit der seltsamen Krisen-PR der Stadtverwaltung und ihres traurigen Chefs Sauerland zu tun. Erst machte er die Opfer ein Stück für ihren Tod selbst verantwortlich. Dann sollten die Polizisten auch Schuld sein. Später duckte er sich weg, wurde zur Symbolfigur für den feigen Bürokratenstaat.

Am 6. August holte sich die Kanzlei Heuking einen in Krisenangelegenheiten erfahrenen Berater an die Seite. Es handelte sich um den früheren Düsseldorfer Büroleiter von Focus, Karl-Heinz Steinkühler, der sich in der Region als ziemlich ruppiger, aber erfolgreicher Enthüller einen Namen gemacht hat. Steinkühler hat seit Mai eine Kommunikationsfirma. Sein Job in Duisburg war es, den stumm gewordenen Sauerland sprachfähig zu machen. Ein schwieriges Unterfangen: Der OB gab zwei Interviews, die am Wochenende verbreitet wurden, und war authentisch ahnungslos. "Wir haben versucht, die Adressen der Toten zu bekommen. Wir haben sie bis heute nicht", sagt er beispielsweise in die Kameras des WDR beim Kreuzverhör. Dabei hatte sein Standesamt die Sterbeurkunden der 21 Toten der Loveparade ausgestellt.

"Leerer Anzug in Übergröße", urteilt der modisch unkonventionelle Kocks: "Der tat so, als sei er ,,der Richter und dabei ist er der Angeklagte". Offenbar ist Sauerland nicht zu helfen. Steinkühlers Auftrag ist beendet. Von der Urheber-Geschichte, die so viel Wirbel machte, soll der Ex-Journalist nichts gewusst haben.

Aber früher liefen solche Auseinandersetzungen auch anders. Der Spiegel hatte vor vielen Jahren in einer Skandalgeschichte über den Milliardär Friedrich Flick und dessen Majordomus Eberhard von Brauchitsch aus der 122 Seiten dicken Schutzschrift eines Anwalts zitiert, in der es unter anderem um Bakschisch-Politiker ging. Der Anwalt verwies auf sein Urheberrecht und ein Gericht gab ihm recht. In einem Buch über den Flick-Fall mussten die aus der Schutzschrift entnommenen Passagen geschwärzt werden. Solidarität unter den Zeitungskollegen gab es damals nicht. Es gab vielmehr Neid oder Desinteresse, obwohl die Auseinandersetzung für die gesamte Branche nicht unwichtig war.

Das Netz, das gleichermaßen Platz für Amateure und Profis bietet, reagiert offenkundig anders als der auf Konkurrenz angelegte Betrieb der holzverarbeitenden Industrie. Einst konnte man eine Sache per Gericht stoppen, in der Internetgemeinde wird sowas als Zensur verstanden. Das Netzwerk wird dann zur Waffe.

Vor ein paar Monaten veröffentlichte Greenpeace im Internet ein Video, in dem ein Nahrungsmittelkonzern heftig kritisiert wurde, weil er für Riegel ein bisschen Palmöl aus den Regenwäldern Indonesiens verwendet. Der Konzern sorgte dafür, dass der Spot von der englischen YouTube-Seite verschwand und pochte auf sein Urheberrecht. Da brach der Sturm erst richtig los. Zum Schluss war das Image des Konzerns dramatisch eingebrochen, obwohl er sich am Ende professionell um Schadensbegrenzung bemüht hat.

Andererseits: Kann Sauerlands Image noch schlechter werden?

© SZ vom 19.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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