Süddeutsche Zeitung

DSDS-Finale mit Schlagermusik:Wer den Wahnsinn liebt

Im Finale von "Deutschland sucht den Superstar" steht am Samstagabend erstmals eine Schlagersängerin. Rückblickend war die gesamte aktuelle Staffel volkstümelnd. Schon unken die ersten, der Schlager zerstöre die Show. Das ist einigermaßen absurd. Und nun ist auch noch die Favoritin erkrankt. Doch RTL will nicht verschieben.

Von Ruth Schneeberger

Lisa Wohlgemuth ist so etwas wie die Sympathieträgerin der aktuellen Staffel von Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Die 21-jährige angehende Frisörin aus dem Erzgebirge mit dem flammend roten Haar nennt sich selbst "der Pumuckl", trägt auf der Bühne quietschbunte Kleider, hat eine quietschige Stimme und sächselt sich mit puppenhaftem Augenschlag und einem Grinsen bis zum Anschlag in die Herzen der DSDS-Gemeinde.

"Du warst eine Wackel-Kandidatin", bescheinigen ihr die Juroren ehrfürchtig, "und jetzt bist Du in der Endrunde!" Eines ist klar: An den stimmlichen oder gesanglichen Qualitäten dieser "Superstar"-Anwärterin liegt das weniger - eher daran, wie gut sich die Kandidatin in der Show verkauft. Und wie perfekt sie ins Konzept passt: Fröhliches junges Ding mit großen Träumen und großer Klappe, das die Herzen berührt. Da schaut der DSDS-Fan gerne zu, fiebert mit und lässt sich zu Meinungsäußerungen in allen angrenzenden sozialen Netzwerken und vor allem zum gebührenpflichtigen Anrufen animieren. Die Musik, um die es hier eigentlich gehen sollte, war bei DSDS unter Federführung von RTL und Dieter Bohlen ("Cheri Cheri Lady", "Sexy sexy Lover") schon immer Nebensache.

Doch in diesem Finale, das am Samstagabend über die Bühne gehen soll, ist alles ein bisschen anders. Denn da wäre nun noch die zweite Finalistin: Beatrice Egli, 24.

Beatrice gibt alles. Ebenfalls zur Frisörin ausgebildet, ebenfalls der fröhliche Typ, ebenfalls kraftvoll, und man höre und staune: ausgebildete Schauspielerin - und Schlagersängerin. Für die Show durfte sie ihr großes Vorbild treffen und herzen: Helene Fischer, 28 ("Zaubermond", "Nur wer den Wahnsinn liebt"). Und das ist nun der Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Ist Schlager denn die zeitgemäße Form von Musik für eine Show mit und für junge Leute? Darf eine Schlagersängerin das DSDS-Finale gewinnen?

"Macht der Schlager die Show kaputt?", "Wie Dieter Bohlen DSDS verramscht" und "Jetzt soll der Schlager die sinkenden Quoten retten", beeilten sich diverse Medien zu urteilen, sobald klar wurde, dass Beatrice es vielleicht sogar in die Endrunde schaffen würde. Als Gast-Jurorin beglückte die unfassbar erfolgreiche Schlagersängerin Andrea Berg ("Zwischen tausend Gefühlen", "Splitternackt") den blonden Schützling, in der letzten Sendung war Heino ("Schwarzbraun ist die Haselnuss", "Die Liebe ist das Gold des Lebens") zu Gast, der sich jetzt von Dieter Bohlen einen Song schreiben lassen will.

Daraus nun allerdings abzuleiten, dass RTL oder gar Bohlen die Sendung zur neuen Schlagerhölle verkommen lassen würden, ist einigermaßen absurd. Denn was ist denn DSDS anderes als eine modifizierte Schlager(-Hit)-Show für das Nachwuchspublikum?

"Als Schlager (englisch: Hit = Schlag) werden allgemein leicht eingängige instrumentalbegleitete Gesangsstücke der Popmusik mit oft deutschsprachigen, weniger anspruchsvollen, oftmals auch sentimentalen Texten bezeichnet", formuliert Wikipedia eine so nüchterne wie verräterische Definition. Will heißen: Schlager ist wie Pop, nur noch ein bisschen flacher - und noch eine Ecke mehr für den Verkauf konzipiert.

Über die gesellschaftliche Funktion des Schlagers schrieb einst Adorno: "Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben."

Das klingt fast danach, als hätte Adorno DSDS vorausgeahnt - wo ebenfalls Woche für Woche die ganz großen Gefühle vorgespielt und verstärkt werden für den ermatteten Zuschauer. Insofern verstärkt der Schlager nur jene Intentionen, die RTL mit DSDS auch schon immer verfolgt hat.

Und außerdem: Auch der Pop wird bei dieser Sendung oft genug ziemlich schlagerhaft inszeniert. Allein die Interpretation sämtlicher Titel, mit denen der 20-jährige Jury-Liebling Ricardo Bielecki in der Endauswahl versuchte zu punkten, war dermaßen over the top und voller Kitsch und Inbrunst, dass es kaum noch Pop, sondern auch schon eher Schlager war. Die Kandidaten der zehnten Staffel wissen eben, was das Herz des selbsternannten "Pop-Titanen" Dieter Bohlen erwärmt: nur noch das, was extrem gefühlig vorgetragen wird. So extrem, dass es schmerzt.

Derzeit haben DSDS-Fans jedenfalls noch eine ganz andere und schon wieder neue Sorge: Lisa ist erkrankt. Eine schlimme Kehlkopfentzündung verhindere die Proben, die hochgehandelte Kandidatin habe Sprech- und Singverbot, ließ RTL an diesem Freitag verkünden. Noch sei unklar, ob sie am Finale überhaupt werde teilnehmen können. Falls nicht, rücke automatisch der Drittplatzierte Bielecki nach, das Finale werde dafür nicht verschoben.

Sollte es dazu kommen: Bielecki und Egli werden sich alle Mühe geben, einander an Schmalz zu überbieten. Die eine mit, der andere ohne Schlager.

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