RTL-Dschungelcamp: Tag 15:Völlig schamlos

Dschungelcamp, RTL, Sandra Kiriasis

Ihre Bob-Karriere hat Sandra Kiriasis beendet. Heute lässt sie sich in Sachen Reality-TV coachen. Hier sehen Sie das Ergebnis.

(Foto: TV Now)

Sandra befolgt den Rat ihrer Reality-TV-Trainerin und erzählt von ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Bastian springt auf das Thema auf. Und RTL schmeißt gleich drei Camper raus.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Frage des Tages: Wer soll das noch glauben? Die Camper jedenfalls nicht, die fühlen sich "gearscht" (O-Ton Chris Töpperwien). Also von RTL. Der Sender hatte nach eigener Aussage am Vortag mit "Serverproblemen" zu kämpfen. Die Anrufe der Zuschauer konnten nicht ausgezählt werden, in der Folge musste kein Kandidat gehen. Doch anstatt sich über zusätzliche Bildschirmzeit zu freuen, sind die Bewohner der australischen Dschungelkulisse misstrauisch. Was, wenn das hier nur eine große Show ist? "Alles Kokolores, was die erzählt haben", befindet Chris. Und Evelyn Burdecki glaubt: "RTL ist doch viel zu professionell, dass sowas passiert." Motivationscoach Bastian Yotta denkt lösungsorientiert: "Wenn wir nicht Dschungelkönig werden, machen wir 'ne Klage gegen RTL."

Und was macht RTL? Klar, einen Beitrag draus. Hier ist schließlich alles nur für die Show.

Worüber wurde abseits des Lagerfeuers gesprochen? Über einen unerfüllten Kinderwunsch. Und als wäre dieses Thema an sich nicht schon traurig genug, bekommt es durch das Timing noch eine ganz eigene Tragik. Denn die Frau, die an Tag 15 ihre Leidensgeschichte erzählt, ist Bob-Olympiasiegerin Sandra Kiriasis. Am Vortag hatte die 44-Jährige für einen kurzen Moment ihre Begleitperson Indira Weis - Sängerin der Fernsehcasting-Band BroSis und Busch-Bewohnerin des Jahres 2011 - umarmen dürfen. Die nutzte die Gelegenheit, um die frühere Spitzensportlerin für die letzten Tage zu coachen: "Erzähl' den Leuten deine Lebensgeschichte, du bist so kurz vor dem Ziel." Indira Weis versteht etwas vom Ge­schäft mit der gespielten Authentizität: Sie ging durch eine inszenierte Liebelei mit einem Mit­camper in die Dschungelcamp-Annalen ein.

Reality-TV-Neuling Sandra Kiriasis folgt dann auch prompt dem Rat ihrer erfahrenen Trainerin (Das perfekte Promi-Dinner, Die Promi-Heimwerker, Das große ProSieben Promiboxen) und sagt im Dschun­­gel­telefon: "Ich hab' des noch nie öffentlich erzählt. Und ich weiß nicht, ob ich das machen soll. Es ist was sehr, sehr Persönliches, was mich in meinem Leben sehr traurig gemacht hat und immer noch macht: dass ich 44 Jahre alt bin und keine Kinder hab." Es folgen Tränen und eine Erklä­rung: "Ich denke nicht, dass es hochgekommen wär', wenn diese schöne Nachricht von Felix und Antje nicht gekommen wär'." Wir erinnern uns: GZSZ-Darsteller Felix van Deventer hatte an Tag neun offiziell - und ganz professionell - verkündet, dass er Vater wird. Parallel zum Geständnis vor einem Millionenpublikum ging die Pressemitteilung raus.

Angesicht der geschäftsmäßigen Schamlosigkeit, die die diesjährige Camp-Belegschaft im Umgang mit privaten Glücksmomen­ten wie Schicksalsschlägen an den Tag legt, gibt es für die RTL-Redakteure kaum noch etwas zu tun. Ein kleiner Stups in die richtige Richtung - also Richtung Kamera - genügt. So ist Sandra noch nicht am Ende ihrer Erzählung. Sie verlässt die Interviewkabine und bittet den werden­den Vater Felix zum pseudo-intimen Gespräch im Gebüsch. Ihr Ex habe nie Kinder gewollt, vertraut sie ihm an. 2015 sei sie dann doch schwanger geworden, habe das Baby aber in den ersten Monaten verloren. "Das war für ihn ein Freudentag."

So sehr Sandras Geschichte dem klassischen Dschungelcamp-Narrativ der emotionalen Trauma-Beichte entspricht - so abgeklärt wie der Rest scheint die Ex-Athletin am Ende nicht zu sein. Weinend liegt sie in ihrer Hängematte. Und muss nun auch noch eine bittere Lektion über das hochöffentliche Lagerleben lernen: Es gibt immer einen, für den das eigene Leid nur eine weitere Gelegenheit ist, sich selbst zu produzieren. In diesem Fall sind es sogar zwei. Bastian Yotta tätschelt Sandra den Arm und berichtet seinerseits von einem ungeborenen Baby, das er verloren habe ("Ich war sechs Monate komplett off von Social Media"). Und Chris Töpperwien fragt beim Anblick von Sandras Tränen: "Bin ich hier auch irgendwie involviert?"

Der Zuschauer möchte bespaßt, aber nicht veräppelt werden

Und die Dschungelprüfung? Ist Anlass für eine Grundsatzdebatte unter den Campern. Wie viel Inszenierung ist zu viel Inszenierung? Der Zuschauer ist schließlich ein unberechenbares Wesen. Er möchte bespaßt, aber nicht veräppelt werden. Auslöser der Diskussion ist "Currywurst­mann" Chris Töpperwien, der nach der Gruppen-Dschungelprüfung auf HB-Männchen macht. Zwei Sterne bei sechs Leuten - für ihn ein inakzeptables Ergebnis. Chris wütet, seine Kollegen wundern sich. Aber Chris kann eben nicht nur einen Imbissgrill bedienen, sondern auch die Anforderungen einer Unterhaltungssendung: "Sandra, du verstehst es nicht, das ist Showbusiness", erklärt er. "Dramaturgisch war das richtig."

Das Reality-Fernsehen war postfaktisch, lange bevor dieser Begriff eine politische Realität beschrieb. Es ging in den entsprechenden Formaten von jeher weniger um Wahrhaftigkeit als darum, wen das Publikum als glaubhaft wahrnahm. Spätestens mit dem Dschungelcamp 2019 hat das Genre eine neue Ebene erreicht: Inszenierungsmechanismen werden von den Teilnehmern ganz offen thematisiert. Mancher macht sich nicht einmal mehr die Mühe, auch nur so zu tun, als spiele er hier keine Rolle. "Was für'n Arschloch, der Yotta", sagt Bastian Yotta. Und grinst. Genau dafür hat ihn RTL eingekauft.

Satz für die TV-Annalen: "Mein Schwanz ist wahrscheinlich das Sauberste am ganzen Körper." (Sagt Bastian Yotta, der nur im übertragenen Sinne Dreck am Stecken hat.)

Wer ist raus? Direkt zum Auftakt muss Chris Töpperwien gehen - er hatte den Moderatoren zufolge an Tag 14 die wenigsten Zuschauerstimmen bekommen. (Sie wissen schon: Serverprobleme, zwinker, zwinker.) Evelyn Burdecki hat eine Vermutung, warum: "Ich hätte mir von Chris mehr Gefühle gewünscht. In den letzten Tagen will ich mehr Harmonie als Psychiatrie." Am Ende der Sendung trifft es dann auch noch Sandra Kiriasis und Bastian Yotta. Woran es bei diesen beiden lag? Nun ja, ein Wolfgang-Petry-Klassiker kommt in den Sinn: "Das ist Wahnsinn, du spielst mit meinen Gefühlen - Fühlen, Fühlen, Fühlen ..."

Moral der Geschichte? "Ich finde, der Dschungel muss real sein", sagt Felix van Deventer mit völlig ernster Miene. Gut, der Mann ist Schauspieler. Also Darsteller einer Seifenoper. Also ein bisschen schmierig.

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