Süddeutsche Zeitung

RTL-Dschungelcamp: Tag 1:"Der große Durchbruch - ich war mal kurz davor"

Die Dschungel-Kandidaten präsentieren sich als gescheiterte Existenzen. Fürs Niveau ist Erotik-Expertin Leila Lowfire zuständig. Ihr kommen nur Männer mit Charakter ins Bett.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Thema des Tages: der erste Eindruck. Für den gibt es bekanntermaßen keine zweite Chance. Also geben die zwölf Kandidaten vor ihrem Einzug ins Dschungelcamp alles, um sich vor den RTL-Kameras ins rechte Licht zu rücken. Zum vorerst letzten Mal - in den kommenden 16 Tagen werden Redakteure über ihr Image bestimmen. Einige Teilnehmer kommen dabei aus tiefster medialer Dunkelheit. Da ist zum Beispiel Schauspielerin Sibylle Rauch, die Ende der Siebzigerjahre mit der Erotikreihe "Eis am Stiel" bekannt wurde. Mittlerweile ist sie 58 und blickt auf eine Vergangenheit zurück, die härter ist, als es der TV-Dschungel je sein könnte - sagt sie selbst und strahlt dabei eine für das Realityfernsehen untypische Verletzlichkeit aus. RTL bezeichnet Rauch als "Erotik-Ikone". Zuletzt war sie wegen eines geplatzten Silikon-Implantats in den Schlagzeilen. Rauch ist in der inneren Hierarchie der Beömmelungsunter­haltung ganz unten, dort, wo Menschen wie Nadja Abd el Farrag ums existenzielle Gesehenwerden kämpfen. Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! sei vielleicht ihre "letzte Chance", sagt Rauch.

Nicht die einzige von Tiefschlägen geprägte Vita im diesjährigen Camp. Bastian Yotta, heute: professioneller Motivationssprücheklopfer, erzählt, dass er schon mal so verzweifelt war, dass er in München auf einem Dach stand. Und Schauspielerin Doreen Dietel sagt: "Der große Durchbruch - ich war mal kurz davor." Eine missglückte Botoxbehandlung verhinderte die Traumkarriere.

Tatsächlich dauert es fast eine Dreiviertelstunde, bis zum ersten Mal der Dauerbrenner unter den Teilnahmebegründungen fällt. Soap-Darsteller Felix van Deventer, bekannt aus der Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten, erbarmt sich: "Ich geh' in den Dschungel, damit die Leute sehen, wer ich bin." Und damit ist das Dschungelcamp 2019 offiziell eröffnet.

Tragende Rolle: die Nemesis. Sorgt für Dynamik in einem Reality-TV-Format. RTL hat die Rolle deshalb gleich zweimal besetzt. Der bereits erwähnte hauptberufliche Selbstdarsteller Bastian Yotta hat Beef mit "Currywurstmann" Chris Töpperwien. Man(n) beschimpfte sich vorab schlagzeilenträchtig in den sozialen Medien - zum Showauftakt wirken die gegenseitigen Provokationen allerdings eher pflichtschuldig. Es fallen gendergerechte Beleidigungen ("Pussywurstmann") und Drohungen, die keine sind ("Ich muss ihm hier nicht auf die Fresse hauen").

Auch die Zweitbesetzung überzeugt nicht. Reality-Sternchen Evelyn Burdecki ("Man kennt mich vom Bachelor - da war ich fünf Minuten") trifft in der Busch-Kulisse auf ihren Ex Domenico de Cicco (wurde seinerseits von der Bachelorette aussortiert). Die beiden gewannen im Sommer gemeinsam die Kuppelshow Bachelor in Paradise, eine Art Zweitverwertungsmaschine für schwer vermittelbare TV-Singles. Der Sieg der Liebe war dann auch nur von kurzer Dauer. Nach Sendungsende verloren die beiden kein gutes Wort mehr übereinander. Er verschwieg ihr angeblich eine schwangere Freundin, sie weinte Krokodilstränen in die omnipräsenten Kameras. Am Lagerfeuer scheint all das vergessen: Man teilt Feuchtigkeitscreme und ein nagendes Hungergefühl. Happy Meal statt Happy End.

Und die Dschungelprüfung? Findet zum Auftakt im - Achtung, Wortspiel! - Concrete Jungle statt. Von der Jausenplatte am Hotelbuffet geht es für sechs Dschungel-Teilnehmer direkt auf eine Planke, die von einem Hochhausdach ins Nichts ragt. Es gilt, den schwankenden Steg abzulaufen und an dessen Ende einen Buzzer zu drücken. Dafür gibt es jeweils einen Stern, bekanntermaßen die Währung, um den nahenden Wurst- und Käseentzug mit allerlei exotischen Ersatzprodukten abzumildern. Einen tieferen Sinn hat diese Asphaltdschungel­prüfung auch nicht, dafür aber jede Menge Holzhammer-Symbolik. Stars, die tief fallen und dabei erbärmlich quieken, weil ihnen die Sicherungsgurte empfindliche Weichteile abdrücken - das ist quasi das Markenversprechen des Dschungelcamps. Leider bleiben alle oben und damit hinter den Erwartungen von RTL zurück. Und das, wo der Sender erstmals eine Siegprämie von 100 000 Euro ausgelobt hat.

Gab's wenigstens Sex? Oh jaaaaa. Erotik-Expertin Leila Lowfire darf ausgiebig rumstöhnen und Sätze sagen wie: "Ich bin schon eher ein Charakterficker. Mein Typ ist Goethe." Und wo wir schon beim Thema sind ...

Tier(genitalien) des Tages: "Bitte keine Schweineanüsse!", wünscht sich Evelyn Burdecki, als es darum geht, wen die Zuschauer in die Dschungelprüfung gewählt haben. Ihre Sorge dürfte unbegründet sein. RTL wird ihr vermutlich beim nächsten Mal eine Grammatikprüfung servieren - es geht hier schließlich um kalkulierte Erniedrigung. Das Rennen macht an diesem Abend aber ohnehin Mitcamperin Gisele Oppermann.

Weisheiten vom Wurstwarenfachmann: "There's no biz like Imbiss." (Chris Töpperwien)

Moral der Geschichte? Schlagersänger Peter Orloff hofft, im Dschungel dem lieben Gott ganz nahe zu kommen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht - eine gewisse religiöse Flexibilität vorausgesetzt. Zumindest den Fernsehgott könnte Orloff in den kommenden zwei Wochen besser kennenlernen, als ihm vielleicht lieb ist.

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