RTL-Dschungelcamp:Das war schon immer so - runter mit der Kakerlake

RTL-Dschungelcamp, Danni Büchner, Elena Miras, Sven Ottke

"Dieselbe Kotzedur wie jedes Jahr": Danni Büchner, Elena Miras und Sven Ottke bei einer der gefürchteten Ekelprüfungen im RTL-Dschungelcamp.

(Foto: TV Now/Stefan Menne)

Im 14. Jahr verklärt sich das Dschungelcamp selbst zur Tradition. Für die sakrale Aufladung sorgt Danni Büchner: Sie trägt die Asche ihres verstorbenen Mannes um den Hals - der war 2017 selbst Teilnehmer gewesen.

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Der Imperativ des Abends wird schon vor Sendebeginn gesetzt, und zwar von Günther Jauch bei Wer wird Millionär?. "Viel Spaß - es geht nach Australien", kündigt der Moderator die Folgesendung an: den alljährlichen RTL-Quotenbringer Ich bin ein Star - holt mich hier raus!. Jauch meint wohl: "Haben Sie Spaß, es ist mindestens okay, wenn nicht komplett egal." Diesen Faden nimmt Dschungelcamp-Moderatorin Sonja Zietlow in den ersten Minuten direkt auf. Sie will zügig anfangen, "bevor es die SPD verbietet" - eine Anspielung auf SPD-Politiker Karl Lauterbach, der sich für eine Einstellung der Sendung ausgesprochen hatte.

Die Dschungelcamp-Variante des australischen Fernsehens würde ja schließlich auch produziert, argumentiert Zietlow, warum sollte man "betroffener sein als die Betroffenen"? Die Drehbuchschreiber haben ihr eindeutig die trotzige Bad-Cop-Rolle zugewiesen. Ihr Co-Moderator Daniel Hartwich, Typ Prenzlberg-Vati, ist fürs Herzliche zuständig: "Wir wollen unsere Präsenz nutzen, um zu helfen", sagt er. Betongesicht-Sonja schickt ein "Das ist absolut ehrlich gemeint" hinterher.

Um die eigene Glaubwürdigkeit zu versichern, hat RTL 100 000 Euro an irgendwelche Hilfsorganisationen gespendet. Wer da noch an der Aufrichtigkeit der Macher zweifelt, der muss nun wirklich ein Miesepeter sein! Wie immer sagen die beiden Moderatoren zum Ende ihrer Eröffnungsrede noch den Titel der Sendung auf, während die Kamera per Drohnenfahrt in einen gigantischen Weitwinkel schwebt. Würde sie noch ein paar Kilometer weiter herauszoomen - man könnte vielleicht Flammen sehen.

Sämtliche Untiefen der Abartigkeit sind tausendfach durchtaucht

Spannender als die Suche nach Argumenten, warum das Dschungelcamp nun trotz der Katastrophenbrände stattfinden sollte, ist aber die Frage, warum es überhaupt noch existiert. Eigentlich ist das Format bereits drei Tode gestorben: Die Langeweile der Nullerjahre, aus der das Dschungelcamp erwuchs, indem es durch das Ausstellen allerlei Ekeligkeiten eine art edgy Voyeurismus bediente, ist vorbei. Sämtliche Untiefen der Abartigkeit sind tausendfach durchtaucht. Es folgten die Jahre des vorgescripteten Dramas, verpackt als Authentizität. Neben Zickereien gab es nun tiefschürfende Gespräche am Lagerfeuer, Bekenntnisse, Trauma-Bewältigung. Auch diese Erfolgsformel hat ausgedient, seit durch Medien wie Instagram jeder Mensch von noch so eingebildeter öffentlicher Relevanz seinen kompletten Psycho-Haushalt ins Netz kippt. Jede Träne ein Follower mehr. Eine Sendung wie das Dschungelcamp ist da höchstens noch der Second Screen, durch den sich eventuell die eigene Reichweite vergrößern lässt.

Bleibt das ironische Zuschauen, das entspannende Feierabend-Ablachen ob der Dummheit und des "Leidens" anderer. Aber seit der Planet gefühlt täglich aufs Neue im Chaos versinkt, wünscht sich die Mehrheit der Menschen wohl eher selbst ins vergleichsweise verlässliche Dschungelcamp. In Anbetracht der Lage in Australien könnte die Sendung auch Ich bin ein Star - Lasst mich hier drin heißen, schließlich herrschen die apokalyptischen Zustände nicht im Camp, sonder drum herum. Der empathiebefreite Zynismus von Zietlow und Hartwich wirkt da überholt, man will fast sagen: Vintage.

Und genau hier liegt wohl auch der Grund für das Fortbestehen dieses mehr als überholten Show-Konzepts. Wenn ein kulturelles Ritual in einem bestimmten zeitlichen Kontext entstanden ist und sich zunehmend abnutzt, bleibt nur eine Chance zum Überleben: Es muss zur Tradition werden - eine unhinterfragbare Wiederkehr eines Ereignisses, ausgestattet mit den Insignien vergangener Epochen. Die Macher des Dschungelcamps bemühen sich sichtlich, genau dieses Eindruck entstehen zu lassen.

Alles wie im sorglosesten aller Schland-Sommer

Da wäre zum einen die "Tracht" der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: ein einziges Nullerjahre-Zitat. Wir sehen Fedora-Hüte, wie sie Justin Timberlake einst trug, die guten alten Silikonbrüste, und Männer mit V-Ausschnitten bis zum Bauchnabel. Alles ist wieder wie circa 2006 im sorglosesten aller Schland-Sommer.

Dann die Zusammenstellung der Truppe: Jede Altersgruppe findet ihre Zeitmaschinen-Identifikationsfigur. Für Wende-Nostalgiker wären da der ehemalige Bundesminister Günther Krause, der brav den Klischee-Ostdeutschen spielt ("I can't no good speak English, I come from East Germany") und die Achtzigerjahre-Erotik-Darstellerin Sonja Kirchberger. Die Fedora-Ära bedienen Claudia Norberg, Ex-Frau von Schlagersänger Michael Wendler, sowie der Boxer Sven Ottke. Die Zehnerjahre des neuen Jahrtausends vertreten der DSDS-Gewinner Prince Damien und das Playmate Anastasiya Avilova.

Die geradezu sakrale Aufladung der Tradition obliegt Danni Büchner, Reality-TV-Dauergast und Witwe von Jens Büchner, der 2017 selbst am Dschungelcamp teilgenommen hatte und 2018 verstarb. Danni trägt seine Asche als Anhänger um den Hals ins Camp, unter Tränen erzählt sie von seiner Krankheit und dass sie auch für ihn in den Dschungel gekommen sei.

Ein paar Brüche in der perfekten Mythenbildung gibt es

Kern der Sendung, sozusagen das Abendmahl der Religion Dschungelcamp, ist seit jeher das Genitalien-Dinner. Diesmal gibt es unter anderem Schweine-Vagina und allerlei Insekten. Sonja Zietlow fasst die Traditionswerdung der vollkommen sinnentleerten Prozedur treffend zusammen: "Die gleiche Kotzedur wie jedes Jahr." Als wollte sie sagen: "Das war schon immer so, runter jetzt mit der Kakerlake."

Ein paar Brüche in der perfekten Mythenbildung gibt es dann aber doch. Als Claudia Norberg am Badetümpel gerade pflichtschuldig ihre Wie-war-das-damals-mit-dem-Wendler-Story erzählen will, setzt die Übertragung für 20 Sekunden aus - für den von reinigender Nostalgie umgebenen Zuschauer ein Schock. Später versiegt kurzzeitig auch noch der künstliche Dusch-Wasserfall. Und nachts, als eine Schlange und ein paar Mäuse das Camp heimsuchen, orakelt Günther Krause in die Nachtsicht-Kameras einen Satz, der im Kontext eines auch dank der Klimakrise verbrennenden Kontinents länger nachhallt als vermutlich angedacht: "Die Natur wehrt sich."

Mehr als drei Stunden Sendung kommen allemal zusammen - das nachfolgende RTL-Nachtjournal beginnt verspätet. Die ersten Bilder: brennende Wälder in Australien.

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