Süddeutsche Zeitung

Dritte Programme:Nicht zu fassen

Eine Studie untersucht, wie viel Unterhaltungssendungen und wie viel Informationsprogramme der Bayerische und der Hessische Rundfunk senden. Die Qualität eines Fernsehprogramms lässt sich mit Zahlen aber nur schwer ausdrücken.

Von Katharina Riehl

Vergangenen Sommer gab Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks, der Zeit ein Interview, das unter anderem von der ewigen Gebührendebatte handelte und vom veränderten Medienkonsum der Menschen. Wenn sogar Livebilder kein Alleinstellungsmerkmal des Fernsehens mehr seien, wurde er gefragt, weil man inzwischen fast alles streamen kann, was bleibe dann vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Und Wilhelm antwortete: "Ein kuratiertes Angebot von hoher Relevanz und Qualität, das frei ist von kommerziellen Interessen."

Die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf die auch Wilhelm sich berief, wird seit jeher aller Kritik am gebührenfinanzierten System entgegengehalten; all jenen, die daran zweiflen, dass es diesen Rundfunk wirklich braucht. Die Frage dabei ist nur: Wie soll man Qualität eigentlich messen?

An diesem Mittwoch erscheint eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, die an der Freien Universität Berlin entstanden ist. Es ist die dritte Studie einer Reihe, die sich mit den Inhalten der Dritten Programme der ARD beschäftigt. Nach NDR und SWR und zwei Jahre später MDR und WDR sind nun BR und HR an der Reihe. "Unterhaltung aus Bayern, Klatsch aus Hessen?" heißt die "Programmanalyse". Gezählt werden darin die einzelnen Sendungen, die zu einer bestimmten Zeit in BR und HR zu sehen waren, kategorisiert wurden sie nach Art des Programms, zum Beispiel Unterhaltung vs. Information. Als wichtigstes Ergebnis nennt die Stiftung: "Hohe Anteile an fiktionaler Unterhaltung lassen weniger Sendezeit für informierende Angebote." Seichtes statt Relevanz, das entspricht ziemlich genau dem, was Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerne und häufig beklagen.

Statistische Programmanalysen haben aber nicht nur für Systemkritiker Bedeutung. Die Sender ziehen diese Zahlen heran, genau wie die Zahlen der Einschaltquote, wenn sie ihre eigene Bedeutung belegen wollen. Zahlen sollen fassbar machen, was nicht zu fassen ist, die Qualität. Das erinnert an die jährlich zum Sommerloch aufgewärmte Debatte um die Wiederholungsrate der Sendeanstalten, bei der man sich immer fragt: Ist es nicht sogar besser, einen guten Film zu wiederholen als einen schlechten zu drehen? Zahlen, seien es Quoten, Statistiken oder Wiederholungsraten, können ein gutes Programm nicht von einem schlechten unterscheiden.

Auch die Medienanstalten nutzen die statistische Programmanalyse, die Auswertung nach Prozentzahlen: als Mittel, die deutschen Sender zu beaufsichtigen, die öffentlich-rechtlichen ebenso wie die privaten. Alle Programme müssen laut Gesetz ein Informationsangebot bereitstellen, weshalb sich in den Jahresberichten der Landesmedienanstalten bunte Kuchendiagramme finden, an denen sich das Mengenverhältnis von Unterhaltung und Information ablesen lässt. ARD und ZDF verweisen in Momenten der Verteidigung gerne auf ihren hohen Informationsanteil. Dass die Zahlen durchaus umstritten sind, weil in verschiedenen Auswertungen unterschiedliche Dinge mitgezählt werden oder eben nicht, weil die Sender zumindest noch vor ein paar Jahren etwa manche Kochshows als Informationssendungen auswiesen, wird dabei dann natürlich nicht erwähnt.

Der BR hält wenig von der Studie. Interpretations-Pingpong spielt er dann aber trotzdem

Für Medienpolitiker und Programmmacher mögen diese detaillierten Zahlen relevant sein, für alle anderen ist vor allem der Umgang mit ihnen interessant. Als die Otto-Brenner-Stiftung sich 2013 mit dem NDR beschäftigte, attestierte die Studie dem Sender einen "geringen Anteil an politischer Information und journalistischer Aufarbeitung gesellschaftlich kontroverser Themen". Von "Boulevardisierung" war die Rede, was den NDR zu einer Mitteilung veranlasste, in man die Darstellung "mit Nachdruck" zurückwies. Überschrieben war der Pressetext allerdings mit dem durchaus bemerkenswerten Satz "Studie der Otto-Brenner-Stiftung bescheinigt NDR Fernsehen hohen journalistischen Programmanteil", was wiederum die Macher der Studie mit Nachdruck zurückwiesen. Wenn Zahlen in der Qualitätsdebatte Bedeutung zugewiesen wird, wird um deren Deutung erbittert gekämpft.

In der aktuellen Untersuchung rechnen die Medienwissenschaftler dem BR einen besonders hohen Anteil an fiktionalen Filmen und Serien vor, weshalb der Sender bei den sogenannten fernsehpublizistischen Sendungen "weit hinter den übrigen untersuchten Dritten" zurückbleibe. Ein Kritikpunkt ist das natürlich nur, wenn man fiktionales Programm grundsätzlich weniger wertvoll findet als journalistisches; das kann man bei einer Soap wie Dahoam is Dahoam vielleicht so sehen, in anderen Fällen aber auch ganz anders. Ohne den BR wären Serien wie München 7 von Franz Xaver Bogner auch im Ersten nicht denkbar. Gelobt wird der Sender in der Studie dafür, dass besonders viel "gesellschaftlich-kontrovers" berichtet werde.

Der BR erklärte auf Anfrage zur Studie, eine qualitative Bewertung von Programminhalten auf Basis einer prozentualen Aufteilung einzelner Genres habe aus Sicht des Senders wenig Sinn. "Ein solches mathematisches Vorgehen würde jeder kreativen Programmplanung entgegen stehen."

Fragt man den Autor der Studie, Joachim Trebbe von der FU Berlin, nach den Grenzen seiner Untersuchung, dann sagt er: "Mit dem Untersuchungsinstrument kann man in der Tat wenig über die Machart und die journalistische Qualität der Berichterstattung sagen." Hier gehe es mehr um die "Qualität des Gesamtangebots", um Programmstrukturen.

Auf Interpretations-Pingpong ließ man sich beim BR trotzdem ein und ließ wissen: "Auf den ersten Blick scheint die Otto-Brenner-Stiftung aber einige programmliche Anstrengungen des BR durchaus positiv zu würdigen". Wer weiß, wozu man dieses Argument eines Tages noch brauchen kann.

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SZ vom 25.01.2017
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