Süddeutsche Zeitung

Netflix-Serie "Dracula":Blutsaugen mit Niveau

Dracula ist zurück: Nach der Wiederbelebung von Sherlock Holmes haben die Macher nun den Vampir-Roman für Netflix adaptiert. Nerdqualitäten? Hoch! Gruselfaktor aber auch.

Von Carolin Gasteiger

Milchig schimmert die Fliege, als sie über Jonathan Harkers Hornhaut huscht. Auch wie sie dort hineinschlüpft, ist eklig anzusehen. Verglichen mit Fledermaus-Attacken, den grausigen Fratzen Untoter und dem steten Blutappetit des Protagonisten sind die Fliegen aber noch harmlos.

Dracula ist zurück. Mark Gatiss und Steven Moffat, die bereits Sir Arthur Conan Doyles' Detektiv für Sherlock radikal modernisierten, haben nun Bram Stokers Roman von 1897 als Miniserie für die BBC und Netflix adaptiert. Und wie bei Sherlock verleihen sie Figuren und Handlung in drei jeweils neunzigminütigen Episoden einen modernen Anstrich, ohne sich allzu weit vom Original zu entfernen - eine fiktionale Gratwanderung zwischen Revolution und Hommage.

Der britische Anwalt Jonathan Harker besucht Dracula in Transsilvanien, um einen Immobiliendeal abzuschließen. Der Graf will nach England übersiedeln. Außerdem hat er Hunger. Auf Harker. Anfangs noch ein tattriger Alter mit gelben Zähnen, tiefen Falten und langen Zotteln, verwandelt Dracula sich mit steigendem Blutkonsum in einen eloquenten Dandy, auch der rumänische Akzent verschwindet. Aber derjenige, den er aussaugt, nämlich Harker, verkommt nach und nach zum knöchrigen Voldemort. An Spezialeffekten geizen die Macher nicht, überhaupt ist die Serie ziemlich grausig. Aber man gewöhnt sich daran, und nach der etwas holprigen Auftaktfolge wird die Handlung interessanter: Dann trifft Dracula auf dem Schiff Demeter auf echte Menschen. Die dritte Episode spielt schließlich im England der Jetztzeit.

Dracula sucht seine Beute mit Bedacht und schon auch mal auf Tinder aus. Er saugt mit Niveau

Auf die Idee, den Grafen wiederzubeleben, kamen Gatiss und Moffat, so wird es zumindest kolportiert, als Benedict Cumberbatch am Set von Sherlock in Mantel und Mütze einen Schatten warf, der an Dracula erinnerte. Aber es gibt noch mehr Parallelen: Pointierte Dialoge (nur gut im Original: "I've been dying to meet you"), geschickt adaptierte (Haupt-)Figuren und mehrere Handlungsebenen erinnern an die trickreiche Machart von Sherlock. Und auch in Dracula hat die Hauptfigur Züge eines Nerds. Dracula sucht seine Beute mit Bedacht und schon auch mal auf Tinder aus. Anders gesagt: Dracula saugt mit Niveau. Wenn er sich auf Deutsch unterhalten will, trinkt er eben das Blut eines bayerischen Matrosen, und jammerschade ist es für den Grafen, als ihm qua Kopfschuss ein indischer Gelehrter entgeht. Der dänische Schauspieler Claes Bang verkörpert Dracula gewieft und furchterregend zugleich. Auf die Frage "Trinken Sie etwa?" antwortet Dracula lakonisch: "Keinen Wein."

Aber jeder grandiose Protagonist wird das erst mit dem richtigen Antagonisten. In Draculas Fall ist das kein gelehrter Doktor mehr, sondern eine ziemlich unkonventionelle Nonne ("Glaube ist nur ein Schlaftrunk für Kinder und Einfaltspinsel"), die Dracula an Wortgewalt und Scharfsinn in nichts nachsteht. An den Aha-Effekt, den die BBC-Miniserie Sherlock vor zehn Jahren auslöste, können Gatiss und Moffat mit Dracula zwar nicht anknüpfen. Irgendwann sind die Möglichkeiten, Sonnenlicht, mit Erde gefüllte Särge und Holzpflöcke einzusetzen, dann doch ausgeschöpft. Aber man hat sich selten auf so hohem Niveau gegruselt.

Dracula, auf Netflix*

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Quelle:
SZ vom 11.01.2020/cag
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