Süddeutsche Zeitung

Doppelporträt:Deutsches Neuland

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Zwei Journalistinnen müssen ihre Heimatländer verlassen. Die eine findet einen Job in den Medien, die andere nicht. Beide haben viel aufgegeben - aber auch viel gewonnen.

Von Tobias Matern und Frank Nienhuysen

Sie hat eine rote Linie überschritten. Das weiß Meera Jamal. Aber das ist eben ihr Job. Kritisch nachfragen, Missstände offenlegen, an einem Thema dran bleiben, aufschreiben, was nicht jedem gefällt. Jamal, 34, ist eine Journalistin, die ihren Beruf mit großer Leidenschaft betrieben hat. Artikel zu recherchieren und in die Zeitung zu bringen, sagt sie, sei "so eine Art Sucht" gewesen. Doch nachgehen kann sie dem Beruf nicht mehr. Ihre Leidenschaft brachte sie in Lebensgefahr.

Meera Jamal hat in ihrer Heimat Pakistan über Prostituierte, missbrauchte Kinder und Korruption geschrieben. Das ist in dem Land, das viele Probleme hat und kein Interesse an offenen Diskussionen, schon gewagt. Zumal für eine Frau. Das Tabu, das sie gebrochen hat, bezieht sich allerdings auf ein anderes Thema: Jamal besuchte für die renommierte Zeitung Dawn eine Religionsschule (Madrasa). Und kam zu einem vernichtenden Urteil: Die Kinder würden geschlagen, sie würden den ganzen Tag nur den Koran auswendig lernen, sie dürften nicht lachen, nicht spielen. "Kinder werden dort zu Robotern erzogen", sagt Jamal. So ähnlich hat sie das auch aufgeschrieben.

Daraufhin bekam sie Drohungen, in E-Mails, am Telefon, auf offener Straße. So offen pakistanische Medien mit Politikern ins Gericht gehen können, so sehr sie sich auch in Kommentaren mehr und mehr kritisch mit dem übermächtigen Militär beschäftigen, in einem Bereich bleibt in der öffentlichen Debatte des muslimischen Landes eine klar definierte rote Linie: die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam. Meera Jamal hat den Rat ihres Vaters beherzigt und ist vor acht Jahren gegangen - nach Deutschland, wo ihr zügig Asyl gewährt wurde. Seitdem ist aus der Journalistin eine Ex-Journalistin geworden.

Die Zahl der Krisenherde in der Welt hat zugenommen, abgenommen hat der Freiraum der Medien, der Journalisten. Nicht nur in Pakistan. "Zunehmend autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland oder der Türkei tragen zu dem Trend ebenso bei wie die bewaffneten Konflikte etwa in Libyen, Burundi und Jemen", heißt es im kürzlich vorgestellten Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen. Viele Journalisten gehen deshalb fort. Wie Meera Jamal.

Während sie sich an ihr früheres Leben erinnert, sitzt die junge Pakistanerin in einem Eiscafé im Zentrum von Kassel. Hier in Hessen wohnt sie mit ihrem Mann und dem dreijährigen Sohn. Sie schätzt das Gefühl von Freiheit in Deutschland, sie fühlt sich nicht mehr diskriminiert. Aber in diesem neuen Leben fehlt etwas Gravierendes: Stift, Notizblock und eine Tastatur.

Ihre Karriere als Journalistin hat die Pakistanerin aufgegeben. Das Schreiben, sagt sie, "das fehlt mir sehr". Jamal klingt wehmütig, wenn sie von der Zusammenarbeit mit den Kollegen spricht, das Gefühl beschreibt, im Newsroom am Puls der Zeit zu sitzen. Sie sagt: "In Pakistan konnte ich arbeiten und nicht leben, in Deutschland kann ich leben und nicht arbeiten."

Jamal hat bei Burger King gejobbt und als Zimmermädchen, sich allmählich eine neue Existenz aufgebaut. Inzwischen stellt sie Torten her, die wie Fußbälle aussehen, oder sie modelliert Figuren aus dem Film Alice im Wunderland, mit Teig und Zuckerguss. Das macht ihr Spaß, der Phantomschmerz aber bleibt.

Die Sprachbarriere und ihr Rollenverständnis machen es für viele ausländische Journalisten schwer, im erlernten Beruf zu arbeiten

Tatsächlich ist es für Journalisten wie Meera Jamal extrem schwer, im Exil ihrem erlernten Beruf nachzugehen. Das Problem ist vor allem: In vielen Krisengebieten und gerade in repressiven Regimes sind Journalisten häufig auch Aktivisten. So verschwimmt die Grenze von möglichst neutralen Berichterstattern und der Arbeit von Bürgerrechtlern, die durch ihre Artikel Missstände anprangern und unbedingt auch die Systeme ändern wollen. Naturgemäß kommt in Ländern wie Deutschland, in denen Medien selten auf Englisch erscheinen, noch ein gravierendes Problem hinzu, wie Jens-Uwe Thomas von Reporter ohne Grenzen sagt: die Sprachbarriere. Die weltweit arbeitende NGO setzt sich für den Schutz von Journalisten ein, vor allem in Ländern, in denen die Pressefreiheit bedroht ist. In Deutschland betreut allein Reporter ohne Grenzen etwa 70 Journalisten, die aus ihrer Heimat geflohen sind. "Leider gibt es hier nach wie vor zu wenig Medien, die auch eine englischsprachige Sparte anbieten", sagt Thomas.

Der wichtigste Arbeitgeber dieser Art ist die Deutsche Welle, der Auslandssender im beruhigten einstigen Bonner Regierungsviertel, direkt neben dem Gebäude der Vereinten Nationen. Ein unübersichtliches Konglomerat aus Trakten, Stockwerken und langen Gängen, aber so ist das wohl, wenn sich die ganze Welt räumlich verdichtet. Es gibt: eine Afrika-Redaktion, eine Asien-Redaktion, eine Lateinamerika-, eine Nah- und Mittelost-Redaktion, eine Russland/Ukraine/Türkei-Redaktion, und eine Europa-Redaktion gibt es auch. Allein die Russisch-Redaktion hat etwa 30 festangestellte und 40 freie Mitarbeiter, und eine von ihnen ist Zhanna Nemzowa. Sie hat sich gerade in der Maske etwas verwandelt, ihr blau-beige geflecktes Shirt gegen ein knalligpinkfarbenes Kleid getauscht und das leicht zerzauste Haar gegen eine strengere Moderatorinnenfrisur. Nemzowa, 32, zeichnet im Studio die Nachrichtensendung DW Nowosti auf. Sie hat Arbeit gefunden in ihrer neuen Heimat - und in der Redaktion auch eine gewisse Nestwärme. Zhanna Nemzowa ist ehrgeizig, aber sie hat auch eine gelassene Routine. Als eine Einstellung mehrmals wiederholt werden muss, weil die Kamera einen falschen Bildschnitt zeigt, fragt sie in den Regieraum: "Ist der Kollege von der Süddeutschen bei Euch? Sagt ihm: Ich versuche, es gut zu machen." Sie selber vertut sich nur ein einziges Mal, als sie aus der Fußball-EM eine WM macht, aber das ist ihr auch selber gleich aufgefallen.

Nemzowa präsentiert die Nachrichten auf Russisch und ihren wöchentlichen Talk Nemzowa.Interview. Sie stellt Fragen und hofft auf interessante Antworten, wie sie das schon in ihrer Heimat gemacht hat - "nur dass es hier hinterher keine Schwierigkeiten gibt".

Nemzowa hat in Russland als Wirtschaftsjournalistin beim Fernsehsender RBC gearbeitet. Ein paar Maßgaben gab es damals schon, die sie störten. Aber sie akzeptierte sie auch irgendwie. "Man musste so fragen, dass der Interviewpartner zufrieden ist", sagt sie. Dann geschah der Krim-Konflikt, die Annexion. Sie sagt: "Ohne die Krim-Annexion wäre mein Vater nicht umgebracht worden und ich hätte in Russland weitergearbeitet." Aber der Mord an dem Oppositionsführer Boris Nemzow, ihrem Vater, hat für sie alles verändert. Fast anderthalb Jahre liegt er zurück, und abgesehen vom persönlichen Schmerz hat er Zhanna Nemzowa auch beruflich das Leben schwerer gemacht. Sie hat sich öffentlich geäußert, forderte ein, dass das Tschetschenen-Oberhaupt Ramsan Kadyrow angehört würde: "Dies zu fordern, ist ein sehr mutiger Schritt."

In einem BBC-Interview machte Nemzowa auch Präsident Wladimir Putin politisch mitverantwortlich. "Es gab dann einen Anruf vom Kreml", erzählt sie. "Er wollte beim RBC-Management erreichen, dass Druck auf mich ausgeübt oder ich bestraft werde. Der einzige Weg, dies zu tun, war mich zu entlassen." Als sie hörte, dass ein Vertrauter ihres Vaters mit Vergiftungssymptomen in ein Krankenhaus gebracht wurde, ging Nemzowa in den Westen. Und solange Putin an der Macht ist, führt für sie kein Weg zurück. Viel Auswahl hatte Nemzowa in ihrem Beruf nicht: "Mein Englisch ist fließend, aber es reicht nicht für einen Korrespondenten-Job bei einem englischsprachigen Medium." Sie ging zur Deutschen Welle, "eine Win-Win-Situation", sagt Ingo Mannteufel, der Leiter der Russisch-Redaktion. "Zhanna Nemzowa kann als Journalistin weiterarbeiten, und wir haben eine bekannte Moderatorin." Der erste Vertrag ist schon verlängert.

Nemzowa hält sich für eine Journalistin, die sich was traut, aber die Bedingungen des Fernsehjournalismus in Russland galten auch für sie. Das prägt. "Führende Wirtschaftsbosse in die Ecke zu drängen, nimmt man sich nicht raus", sagt sie. "Hier versucht man dagegen, harte, klare Fragen zu stellen." Und anders als im russischen Fernsehen darf das Wort Wirtschaftskrise benutzt werden. Nemzowa erzählt, wie sie einmal, anscheinend harmlos, in einer von der Stadt Moskau geförderten Sendung fragte, wie sich denn die Herabstufung des Kreditratings auf den Investitionsstandort Moskau auswirke. Danach sei sie aus den Vorbesprechungen mit ihrem Komoderator ausgeschlossen worden, einem Vertreter der Stadt.

Die Unsicherheit des Neubeginns hat Zhanna Nemzowa weitgehend abgelegt. Sie hatte ja plötzlich Fragen, die sie nicht gekannt hatte: Wie umgehen mit den Chefs? Wie reden mit dem Intendanten? "Ich werde zunehmend selbstsicherer", sagt sie. "Aber ich bin immer noch in einem Prozess, den Putinismus loszuwerden." Zhanna Nemzowa hat jetzt viele Freiheiten in ihrem Beruf, die für sie aufwiegen, was sie aufgeben musste. Nur an der inneren Freiheit, an der arbeitet sie noch.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2016
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