Dokumentation:"Mit kalter Hand ans Herz"

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Wie lässt sich Einsamkeit abbilden? Szene aus dem Film Ferdinand von Schirach – Die Würde des Menschen. (Foto: Claudio Armbruster/ZDF)

Eine Doku bringt den Schriftsteller Ferdinand von Schirach unter prominente Leute.

Von Benedikt Warmbrunn

Wie lässt sich die Einsamkeit abbilden, die einen Mann umtreibt, die ihn beherrscht, die ihn zu einem präzisen, ein wenig entrückten Beobachter der Menschen macht? Claudio Armbruster liefert zunächst eine Szene, die naheliegt. Der Schriftsteller Ferdinand von Schirach steht in Venedig, am frühen, noch grauen Morgen. Schirach hat seinen Mantelkragen hochgeschlagen. Er raucht. Er schaut auf das Wasser. Ein einsamer, nachdenklicher Mann. Es ist ein berührendes Bild, aber auch ein austauschbares.

Ferdinand von Schirach - Die Würde des Menschen ist dennoch ein eindringlicher Film, und das liegt daran, dass er paradoxerweiser auch ohne Bilder funktionieren könnte. Armbruster kommt der Einsamkeit nahe, indem er Schirach aus dem Alleinsein herausholt und ihn beobachtet, wie er mit seinem stets überdrehten Schriftstellerkollegen Benjamin von Stuckrad-Barre in Venedig im Vaporetto fährt, er begleitet ihn zu einem Mittagessen mit der Influencerin Xenia Adonts und besucht mit ihm den Künstler Anselm Kiefer in Frankreich. Dabei entlockt er Schirach und seinen Gesprächspartnern Kluges, auf das ein einsam am Wasser stehender Raucher allein vielleicht kaum kommen kann.

Ferdinand von Schirach ist derzeit einer der erfolgreichsten deutschen Autoren, seine Bücher wurden in 42 Sprachen übersetzt. In seinen Kurzgeschichten zeichnet er fein und angemessen kühl nach, was für ein ambivalentes Wesen der Mensch ist und warum in jedem ein Mörder steckt, er schreibt, sagt Stuckrad-Barre, "mit einer Klarheit, die mich mit kalter Hand ans Herz greift". Dass er selbst ein ambivalenter Mensch ist, versucht Schirach nicht zu verheimlichen. Er beschreibt sich als Einsamen - und schreibt meist im Trubel eines Cafés. Er will sich an den Rand der Gesellschaft zurückziehen - und hat so viele Fernsehgespräche geführt, dass sich damit Abende füllen lassen. Er liefert seinen Lesern und Zuhörern immer wieder neue Geschichten und Denkanstöße - und kämpft selbst, sagt Stuckrad-Barre über Schirach, "seit seiner Kindheit dagegen an, dass noch was Neues kommt". Eigentlich möchte er, dass in seinem Leben gar nichts passiert.

Schirach spricht mit Stuckrad-Barre über die Wahrhaftigkeit des Schreibens, mit Kiefer darüber, dass Künstler "mit der Welt unsicher" sind - und mit der Influencerin Adonts vergleicht er erst einmal den Fotospeicher auf dem Smartphone. Adonts: 90 000 Bilder. Schirach: null. Soziale Medien lehnt Schirach ab, weil sie "Hass als Erfolgsgrund" hätten. Und oft sagt er in den 52 Minuten Sätze, welche die Menschheit in ihrer ganzen Verletzlichkeit zeigen. Die Würde, sagt er, sei die "entscheidende Erfindung der Menschheit", da sie "unseren Hass und unsere Wut lösen kann, und weil sie menschenfreundlich ist und um unsere Menschlichkeit weiß. Und erst durch sie werden wir in einem wahren und tiefen Sinn zu Menschen". Die Szene, die Schirach am besten beschreibt, ist eine Bootsfahrt mit Stuckrad-Barre am Markusplatz vorbei. Stuckrad-Barre erinnert an einen gemeinsamen Spaziergang, "da ist es schauderhaft". Schirach sagt: "Die Kulisse: perfekt. Und dann: "... diese Leute." Dann schweigen sie.

Ferdinand von Schirach - Die Würde des Menschen , 3 sat, Mittwoch, 23.20 Uhr

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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