Dokumentation:Kühne Brüder

Brüder Kühn - Zwei Musiker spielen sich frei

Zwei Musiker spielen sich frei.

(Foto: ZDF und Reiner H. Nitschke)

Die "Kühn Brothers" gehören zur seltenen Spezies der international bekannten deutschen Jazzmusiker. Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby porträtiert sie.

Von Lothar Müller

Um 1930 tourten "Die kühnen Brüder" um die Welt, ein Akrobatenduo, das den Trick entwickelt hatte, Kopf auf Kopf zu stehen, ohne den Ring, der das gewöhnlich erleichterte. Rolf Kühn, der Klarinettist, und Joachim Kühn, der Pianist, blättern in ihren Fotoalben, an verschiedenen Orten, aber ihre Stimmen gehen ineinander über, wenn sie von Kurt Kühn erzählen, ihrem Vater. Sie sind selber "Kühn Brothers", gehören zur seltenen Spezies der international bekannten deutschen Jazzmusiker.

Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby ist ein erklärter Jazz-Liebhaber, sein Markenzeichen aber ist die Zeitgeschichte, er hat Filme über Helmut Kohl und Henry Kissinger gedreht, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble, zuletzt Der Machtkampf - Wer folgt auf Merkel? (2018). Kaum waren in seinem Doppelporträt Brüder Kühn - Zwei Musiker spielen sich frei Rolf Kühn bei einem Live-Konzert und Joachim Kühn bei einem wilden Altsaxofonsolo im leeren Swimmingpool seines Hauses auf Ibiza zu sehen, schon blendet Lamby in beider Kindheit zurück. Auf die Mutter, der, weil sie Jüdin war, die Verfolgung drohte.

Rolf Kühn ist 1929, Joachim Kühn 1944 geboren, der Ältere schildert die Zerstörung des Zigarrengeschäfts der Mutter, in der Pogromnacht des November 1938, die Geburt des Jüngeren in den Leipziger Bombennächten. Er wird im Film die Stimme der Erinnerung sein, der Bodenhaftung, der Lebensklugheit und des Realismus. Der Film verfolgt seinen Weg vom Rundfunk-Tanzorchester Leipzig unter Kurt Henkels über die Jazzszene Westberlins bis in die USA, in die Welt des "King of Swing", und Rolf wird nicht vergessen zu erwähnen, dass Benny Goodman, der Sohn eingewanderter osteuropäischer Juden, ihn von dem Moment zugewandter begegnete, in dem er seine jüdische Mutter erwähnte.

Joachim ist der Mann des "Never look back", der Individualist des Augenblicks, der "Katzen, Köter, Kinder, Kirche" abwehrt. An die DDR, aus der er 1966 mit Hilfe des Bruders floh, will er nicht mehr erinnert werden, den Free Jazz in Paris um 1968 hat er als Parallelaktion zur Studentenrebellion in Erinnerung, ist aber vollkommen unpolitisch. Während der Dreharbeiten übersteht er erkennbar beunruhigt die Drohung einer Krebserkrankung.

Die Bands treten in den Hintergrund, etwa beim zeitweiligen Ausflug Joachims in die Rockszene von Los Angeles in den Siebzigerjahren. Rolfs Jahre als Filmmusikkomponist huschen vorbei wie seine Ehe mit Judy Winter, die ihm das Interesse der Boulevardpresse einbrachte. Lambys Film ist keine Doppelbiografie. Konsequent fokussiert er O-Töne, Konzertausschnitte und Plattenzitate auf das Verhältnis der ungleichen Brüder, die gemeinsamen Auftritte. Man muss kein Jazzfan sein, um diesem Jazzfilm mit Spannung zu folgen.

Brüder Kühn - Zwei Musiker spielen sich frei, 3sat, Samstag, 20.15 Uhr.

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