Dokumentation:Die große Freiheit

Blinden-Fußballer Serdal Celebi

Serdal Çelebi (r.) hat Gesprächsbedarf mit dem Schiedsrichter.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

"Psychisch ist das Spiel anstrengender als physisch": Ein anrührender NDR-Film über den blinden Fußballer Serdal Celebi.

Von Jörg Marwedel

Die Rolle als Sprecher des Blindenfußballs passt perfekt zu Serdal Çelebi. Der Spieler des FC St. Pauli ist der Erste, der 2018 als Blinder das Tor des Monats bei der ARD geschossen hat. Der Erste in 47 Jahren, so lange gibt es diese Auszeichnung schon. Es war ein Schuss in den Winkel beim mit 1:2 verlorenen Endspiel um die deutsche Meisterschaft gegen den MTV Stuttgart. Seitdem ist er quasi populär und genießt es, eine Art Botschafter zu sein. Er wird immer wieder interviewt, sogar von ausländischen Medien; er war Losfee bei der Auslosung des DFB-Pokals. Und nun wurde er mit seinem Mannschaftskapitän Rasmus Narjes und seinem Trainer Wolf Schmidt sogar zum Filmstar. Denn der Reporter Andreas Kramer hat ihn und seine Mannschaft fast ein Jahr lang für den NDR begleitet und daraus den Film Lass rasseln! angefertigt.

Der Titel hat mit dem Ball zu tun, der scheppert, damit die Spieler ihn hören können. Auch das spanische Wort "voy" spielt eine wichtige Rolle bei der Orientierung. Es bedeutet "ich komme/gehe" und muss reingerufen werden, wenn ein Spieler sich auf den Gegner zubewegt. "Psychisch ist das Spiel anstrengender als physisch", sagt Çelebi. Man lernt aber vor allem viel über die Menschen, die mit ihrer Behinderung Spaß haben. Es gibt berührende Momente in diesem Film und auch lustige. Einmal fragt ein Spieler, wen er da gerade berühre. Antwort: "Einen Kameramann."

Der größte Wert des Fußballs, sagen Çelebi wie Narjes, sei "die große Freiheit", die sie auf dem etwa 20 mal 40 Meter großen Feld spüren. Und: "In einem Team zu spielen." Çelebi, der im Alter von 13 Jahren erblindete, weil sich die Netzhaut löste, ist damals depressiv geworden. Auch der Fußball habe ihn aus diesem Loch geholt. Rasmus Narjes fährt mit seinem Blindenstock als "blinder Passagier", wie er scherzt, von seinem Heimatort Volkwardingen in der Lüneburger Heide zum Training in Hamburg. Jedes Mal zweimal zwei Stunden für die Freiheit. Zuweilen erlebt er Abenteuer - etwa, wenn er in einen falschen Zug steigt.

Serdal Çelebi, der in einer inklusiven Nachwuchstrainingsgruppe des FC St. Pauli Jugendlichen die Faszination des Blindenfußballs nahebringen will, hat als Nummer zehn seines Teams nicht nur die Fähigkeit, den Ball besonders eng am Fuß zu führen. Er kann als Nicht-Sehender seine Begabungen, die sich wegen seiner Blindheit besonders herausgebildet haben, auch als gefragter Physiotherapeut nutzen. "Er hat Zauberhände", sagt eine Klientin. Vor 18 Monaten ist Çelebi Vater geworden. Schon bald werde sein kleiner Sohn ihn führen, sagt er.

Der Fußballverein FC St. Pauli könnte, wie schon im Jahr 2017, bald wieder deutscher Meister sein. Serdal Çelebi hat aber noch einen anderen Wunsch: "So viel Anerkennung zu bekommen wie normale Sportler."

Lass rasseln!, NDR, Sonntag, 23.30 Uhr.

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