Dokumentation:Auf der Jagd

Die nachdenkliche, vorsichtige SWR-Dokumentation "Gefährliche Lust" befragt Täter, Opfer und Verfolger von Kindesmissbrauch, ohne es irgendjemandem leicht zu machen. Dadurch wird der Film interessanter, als der säftelnde Titel erahnen lässt.

Von Ronen Steinke

Weil der Staat ihrer Meinung nach nicht genug tut gegen Kindesmissbrauch, gibt es Bürgerwehren, die eigenständig im Netz auf Täterjagd gehen. Digitale Vigilanten. Dieser SWR-Dokumentarfilm begleitet eine Gruppe in den Niederlanden, ein Team des Kinderhilfswerks Terre des Hommes, das im Internet eine Falle für Kindesmissbrauchs-Täter aufgestellt hat. Die Aktivisten tarnen sich als - Zuhälter? Soll man Leute, die Kinder gegen Geld Voyeuren und Missbrauchern zuführen, so nennen?

Die Aktivisten lassen einen lebensecht animierten Computer-Avatar auftreten, ein philippinisches Mädchen, das sie Sweety nennen. Wenn Pädophile hereinfallen auf Sweetys Angebot, sich im Livestream noch nackter zu zeigen oder Dinge zu tun, versuchen die Aktivisten im Chat, den Verdächtigen Daten zu entlocken, E-Mail-Adressen oder Kontoverbindungen, die sie der Polizei übergeben können. Dafür zeigt sich Sweety erst mal willig. Kurz: Die Aktivisten promoten jenes Vergehen, das sie im nächsten Moment den hereinfallenden Tätern vorwerfen. In Deutschland wären solche Lockvogel-Taktiken verboten.

Der Dokumentarfilm macht es niemandem leicht. Das macht ihn so interessant. Er bejubelt nichts, er lobt niemanden. Es treten deutsche Richter und Staatsanwälte auf, die sich nicht härtere Gesetze wünschen, sondern bessere Therapieangebote für Pädophile. Das sei der beste Opferschutz. Die Kamera begleitet denn auch einen sogenannten Tatgeneigten auf seinem Weg in eine Gesprächstherapie. Man hört die Psychologin, die ihn darin bestärkt, nicht in Schuldgefühlen zu versinken.

Genauso aber kommt ein ehemaliges Opfer von Kindesmissbrauch zu Wort, Thomas Schlingmann vom Selbsthilfeverein Tauwetter. Er spricht von "Persilscheinen", die sich Straftäter bei Therapeuten abholen könnten. Täter gäben Lippenbekenntnisse ab. Juristen gäben sich zufrieden. Der Mann beklagt auch: Noch immer laste ein gesellschaftliches Klima auf den Opfern, das diese schmerzhaft stigmatisiere. Auch das hindere manche daran, sich an die Polizei zu wenden. Wer kriminologische Studien im Hinterkopf hat, sieht Opfer mitunter schief an: als Personen, die dazu verdammt sein könnten, das an ihnen begangene Verbrechen eines Tages selbst an Kindern zu wiederholen.

So nachdenklich und vorsichtig hat Filmautor Wolfgang Luck das alles recherchiert und gestaltet, dass umso unverständlicher bleibt, wie die Redaktion des SWR den säftelnden Titel Gefährliche Lust draufpappen konnte.

Gefährliche Lust, Das Erste, 23.25 Uhr.

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