Süddeutsche Zeitung

Überfall Deutschlands auf Polen:Aus den Tagebüchern deutscher Soldaten

Eine Dokumentation zeigt den Auftakt zum deutschen Vernichtungskrieg in Osteuropa - aus der sehr persönlichen Sicht der Täter.

Von Thomas Urban

Es waren ganz normale Männer, Familienväter, Studenten, Lehrlinge, die am frühen Morgen des 1. September 1939 in den Reihen der Wehrmacht in Polen einmarschierten. Die Führung in Warschau war zwar über die deutschen Kriegsvorbereitungen gut unterrichtet und hatte die allgemeine Mobilmachung angeordnet; von einem "Überfall" zu reden, wie es sich hierzulande eingebürgert hat, gibt den Verlauf der Ereignisse vor 80 Jahren also nicht zutreffend wieder. Doch hatte man an der Weichsel die Kampfkraft der eigenen Armee völlig überschätzt: Man glaubte, die Kavallerie, die ihr Rückgrat bildete, sei in dem waldreichen Land den deutschen Panzerverbänden überlegen. Noch weniger hatten die Polen damit gerechnet, dass die "ganz normalen Männer" von Anfang an die Regeln des Kriegsvölkerrechts missachten und schwerste Verbrechen an der Zivilbevölkerung verüben würden.

Die im Auftrag des ZDF entstandene Dokumentation, die zum 80. Jahrestag auf Arte ausgestrahlt wird, zeigt diesen Auftakt zum deutschen Vernichtungskrieg in Osteuropa, der nicht nur die jüdische Bevölkerung betraf, sondern auch Tausende von Vertretern der katholischen Elite Polens, aus der sehr persönlichen Sicht der Täter. Ihr liegen die Tagebücher von drei Soldaten zugrunde: Zwei sind blutjung, einer ist einfacher Wehrpflichtiger, der andere fanatischer Unterführer in der Waffen-SS; der dritte ist ein Dorfschullehrer, der als Reserveoffizier eingezogen wurde. Die beiden jungen Männer sind begeistert vom Nationalsozialismus, in ihren Aufzeichnungen wiederholen sie bedenkenlos die Propagandaparolen von den "slawischen Untermenschen" und den "jüdischen Schädlingen".

Der eine Generation ältere Lehrer hingegen ist pazifistisch eingestellt, doch hält er zunächst den Krieg gegen Polen ebenfalls für gerechtfertigt. Doch schnell merkt er, dass es ein ungerechter Krieg ist, er schämt sich für seine Kameraden, die sich nicht nur hochmütig, sondern auch grausam gegenüber der polnischen Bevölkerung verhalten, die morden, brandschatzen und plündern. Sein Name ist Wilm Hosenfeld, sein weiterer Lebensweg wurde durch den Spielfilm "Der Pianist" von Roman Polanski in aller Welt bekannt: Als Sportoffizier der Wehrmachtsverwaltung versteckte er mehrere Juden in den Katakomben des Warschauer Fußballstadion, auch verpflegte er den von ihm zufällig in einer Ruine entdeckten Pianisten Wladyslaw Szpilman; dessen Memoiren lieferten die Vorlage für Polanskis Film.

Doch Hosenfeld musste heimlich handeln, ein Großteil der Wehrmachtssoldaten und SS-Männer führten sich wie die Herren über Leben und Tod im besetzten Polen auf. Offiziere verschlossen die Augen vor Verbrechen ihrer Untergebenen oder beteiligten sich sogar daran. Belegt sind zahllose Erschießungen von Zivilisten, ganze Dörfer wurden abgefackelt, weil sie angeblich Partisanen Schutz geboten hatten, ganze Straßenzüge Warschaus wurden in Schutt und Asche gebombt. Hier wurde das erste Kapitel des Bombenkriegs geschrieben, der später auf die Deutschen zurückfiel.

Die Autoren der Dokumentation haben Szenen, die in den Tagebüchern beschrieben sind, nicht durch Schauspieler nachstellen, sondern durch Cartoons illustrieren lassen. Dieses Stilmittel entfaltet besonders seine Wirkung, wenn die Zeichnungen in aktuelle Bilder der Schauplätze übergehen. Als Randfigur taucht wiederholt Leni Riefenstahl auf. Sie hatte den Auftrag, ein Heldenepos im Stil ihrer Propagandafilme über den "Polenfeldzug" zu drehen. Nachdem sie Augenzeuge geworden war, wie in einer polnischen Kleinstadt mehrere deutsche Soldaten Zivilisten erschossen, zog sie sich von dem Projekt zurück. Bei der Siegesparade in Warschau, die Hitler persönlich abnahm, war sie wieder dabei.

Polen 39. Wie deutsche Soldaten zu Mördern wurden. Dokumentarfilm von Alexander Hogh und Jean-Christoph Caron, Arte: 1. September, 20.15 Uhr und hier online zu sehen

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