Süddeutsche Zeitung

Dokumentation:Allmächtiger

Der Netflix-Film "Bikram: Yogi, Guru, Raubtier" der preisgekrönten Regisseurin Eva Orner zeigt den umstrittenen Yogameister Bikram Choudhury als großen Manipulator und als lächerlichen Aufschneider.

Von Johanna Bruckner

Als Jakob Schanzer seine Ausbildung zum Yogalehrer beginnt, sticht er mit seinen 140 Kilo heraus aus den Reihen schlanker Körper. "Zieh deinen verdammten Fettbauch ein, ich will nicht sehen, wie es schwabbelt", herrscht ihn Bikram Choudhury an, bekannt als Begründer des Hot Yoga. Für den Geschmähten ein Erweckungserlebnis. "Ich musste beschimpft und angeschrien werden", sagt Schanzer, der heute mit definierter Brustmuskulatur im eng anliegenden Pullover vor der Kamera sitzt. "Das hat mich in Form gebracht."

In der Netflix-Dokumentation Bikram: Yogi, Guru, Raubtier geht es nicht nur um einen Mann, der seine Stellung ausgenutzt hat, um sich Frauen sexuell aufzudrängen. Es geht um einen Manipulator mit Allmachtsanspruch, der seinen Körper als Waffe einsetzt, aber auch mit Worten verletzt. Und der stellenweise so lächerlich wirkt, dass man geneigt ist, ihn nicht ernst zu nehmen. Im Film der oscarprämierten Dokumentarfilmerin Eva Orner amüsieren sich Kritikerinnen Choudhurys über dessen Outfit: eine knappe schwarze Badehose und eine goldene Rolex.

"Ich bin ein amerikanischer Yogi", erklärt der gebürtige Inder einer Reporterin, als die ihn fragt, wie eine Villa in Beverly Hills und Luxusautos mit der Yogalehre zusammenpassen. Immer wieder prahlt der 75-Jährige: Er sei der spirituellste, smarteste Mann der Welt. In solchen Momenten erinnert der Guru in seiner Egomanie an Donald Trump. "Ich habe mit nichts angefangen, null. Ich habe euch alles gegeben. Und das ist der Dank? Ich bin ein Vergewaltiger?", empört er sich in einer gerichtlichen Befragung. Seit Anfang der 2010er-Jahre wurden immer wieder Vorwürfe gegen ihn laut. Bisher haben ihn sechs Frauen vor US-Gerichten wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung verklagt. Zum Prozess kam es in keinem der Fälle, mit zwei Frauen gab es außergerichtliche Einigungen.

Die Doku endet mit Szenen aus einem Yogalehrer-Training in diesem Frühjahr im spanischen Murcia. Kosten laut Huffington Post: bis zu 16 600 Dollar pro Person. Obwohl im neunzigminütigen Film immer wieder Ausschnitte aus diesen körperlich brutalen Bikram-Lehrgängen gezeigt werden, wird eines nicht nachvollziehbar - und das ist die Schwäche des Films: warum so viele Menschen einem Mann blinde Gefolgschaft leisten, der im schlimmsten Fall der titelgebende sexuelle Räuber ist. Auf jeden Fall aber mehr Tyrann als Guru. Stark ist die Doku als Charakterstudie eines Landes, das so anfällig ist für Blender. Denn, das wird gegen Ende in einer Art Fact-Checking-Sequenz deutlich: Bikram Choudhury ist ein Lügner. Die 26 Positionen und zwei Atemtechniken, die seine Methode begründen? Abgekupfert. Seine Meisterschaftserfolge in Indien? Zweifelhaft.

"Vertraut ihr mir?", ruft der Guru einmal in Richtung seiner Jünger. "Habt ihr eine Wahl? Nein!"

Bikram: Yogi, Guru, Raubtier, auf Netflix.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2019
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