Film über Aids:Ende der Party

THE NORMAL HEART, 2014

Anstrengender Aktivist: Der Schriftsteller Ned Weeks (Mark Ruffalo) sträubt sich gegen die Indifferenz gegenüber der neuen Bedrohung.

(Foto: Jojo Whilden/HBO)

Phantastisch besetzt, leidenschaftlich gemacht: Zum Welt-Aids-Tag erinnert der Film "The Normal Heart" an den Ground Zero der Schwulenszene.

Von Bernd Graff

Dies ist eine sehr ambitionierte, leidenschaftlich gemachte, leidenschaftlich argumentierende und phantastisch besetzte HBO-Fernsehproduktion. Obwohl sie über zwei Stunden dauert, hält sie den Zuschauer in ihrem Bann. Das kann man nicht von allzu vielen Fernsehsendungen behaupten.

The Normal Heart, so der Titel, basiert auf einem gleichnamigen, stark autobiografischen Theaterstück von Larry Kramer, welches, das muss man wissen, bereits im April 1985 als Off-Broadway-Produktion am Public Theater in New York Premiere hatte. Kramer hatte sich in der Zeit von 1981 bis 1984 als radikaler Schwulenaktivist hervorgetan. Denn in diesen drei dramatischen Jahren starben unzählige homosexuelle Männer in New York City an der zunächst nicht identifizierten, bis dahin unbekannten Seuche Aids.

Man wusste zuerst gar nichts darüber: Weder, wie sie übertragen wird, noch, warum zuerst nur Männer davon befallen waren, nicht, wie man sich davor schützen kann, auch nicht, wie man Erkrankten helfen konnte. Sie starben einfach die elendesten Tode. Politik wie Gesellschaft kümmerten sich weitgehend nicht darum, mieden die Erkrankten wie Aussätzige aus Furcht vor Ansteckung, ja weigerten sich mitunter, ihre Leichen zu bestatten.

Göttliche Strafe

Oder man sah in der Krankheit gleich die (göttliche) Strafe für abweichendes, ja krankes Verhalten. Kramer hatte mit seinem Stück die Angst, die Verwirrung, die Hilflosigkeit, die Trauer und die Wut darüber auf die Bühne gebracht, indem er weitgehend seine eigene Geschichte und die der von ihm mitgegründeten Organisation Gay Men's Health Crisis (GMHC) in diesen aufgewühlten Jahren erzählte.

Im Anschluss an jede Vorstellung verteilte er einen Flyer, in dem er die Zuschauer schon mit dem ersten Satz daran erinnerte: "Bedenken Sie bitte: Alles in The Normal Heart ist wirklich so geschehen. Dies waren und sind reale Menschen, die lebten und sprachen und starben." Und dann zählt er auf, wer von dem Personal in der Zeit zwischen der Abfassung des Stücks und der Aufführung außerdem noch gestorben ist. Inzwischen, so schließt er dieses auch wütende Pamphlet, sind mindestens 75 Millionen Menschen weltweit mit Aids infiziert, 35 Millionen sind schon gestorben.

Zu dem Zeitpunkt im Sommer 1981, in dem das Stück einsetzt, waren es erst 41, die, wie die New York Times damals in einem allerersten Artikel zu dem Thema schrieb, wohl alle an einem selten auftretenden Hautkrebs verstorben seien. Später wird man von "Gay-Related Immune Deficiency" (GRID) sprechen.

Bedenken Sie bitte: Alles ist wahr!

Der nun am Welt-Aids-Tag am 1. Dezember ausgestrahlte HBO-Film setzt mit ausgelassenem, schwulen Party-Hedonismus ein, der jedoch von ersten Schwächeanfällen eines Beteiligten gestört wird. Außerdem alarmiert dieser erste New York Times-Artikel. Der Schriftsteller Ned Weeks (Mark Ruffalo), offen schwul und das Alter Ego von Larry Kramer, sucht daraufhin die im Rollstuhl sitzende Ärztin Emma Brookner, gespielt von der großartig stoischen Julia Roberts, auf und erfährt erstmals von einer neu (und gleich erstaunlich häufig) aufgetretenen Immunschwäche bei schwulen Männern.

Man wird unser Leben zum Seuchengebiet erklären

Sie erklärt dann in einer Versammlung Betroffener, dass vermutlich Sex die Krankheit überträgt und dass man vorsorglich erst einmal abstinent leben solle. In das ungläubige Kopfschütteln hinein sagt einer der Anwesenden: "Das ist keine gute Idee. Es geht ja nicht nur um unseren Sex. Denn wenn unsere Leute Angst vor ihrem Sex entwickeln, werden sie ihr Selbstvertrauen und den Respekt vor sich verlieren, für den wir so lange so hart gekämpft haben. Wir werden schlimmer dastehen als jemals zuvor, weil man unsere Lebensweise ab da für verseucht und uns für die Verursacher von Seuchen halten wird."

Doch genau so kommt es. "Ich bin so wütend", sagt einer bei den immer zahlreicher werdenden Beerdigungen, "Man lässt uns einfach sterben. Sie helfen uns nicht. Hier ist die simple Wahrheit: Sie mögen uns einfach nicht. Wir sind ihnen egal." Präsident Ronald Reagan vermied es etwa jahrelang, das Wort "Aids" auch nur auszusprechen. Dabei hatte ihm seine eigene Gesundheitsbehörde schon 1984 von über 4100 Fällen und mehr als 1800 Aids-Toten berichtet.

Der wilde Mann

Als Reagan 1986 endlich öffentlich davon sprach, gab es fast 25 000 gemeldete Todesfälle. Diese Indifferenz lässt Weeks immer aggressiver werden, er wehrt sich, tritt unabgestimmt vor die TV-Kameras, spricht und attackiert dabei die örtliche und nationale Politik im Namen seiner Organisation.

Kramer wie der Film haben überhaupt keine Schwierigkeiten damit, Ned Weeks auch als das Arschloch darzustellen, das er unter anderem wohl damals war. Wegen seiner Eigenmächtigkeiten wird er schließlich von seinen Freunden aus der Organisation geschmissen. Im Jahr 1987 gründet Larry Kramer die "Aids Coalition to Unleash Power" (ACT UP), eine zunehmend einflussreicher werdende Protestbewegung, die sich der "Direct Action" verschrieben hat, um auf die nicht nur nationale, sondern weltweite Aids-Krise aufmerksam zu machen.

Kramer hat nun das Drehbuch zu dem Film geschrieben, Ryan Murphy hat Regie geführt. Er hat ihm nicht nur die Designs der 80er-Jahre gegeben, sondern auch die Anmutung von Filmmaterial aus diesen Jahren: Farbtöne und Körnigkeit des Films lassen ihn wie einen Dokumentarfilm aus der Zeit wirken. Diese imposante Arbeit wurde auch deshalb für insgesamt 16 Emmys nominiert, unter anderem für die Darsteller Ruffalo und Roberts. Den Emmy für den besten Fernsehfilm 2014 hat The Normal Heart gewonnen.

The Normal Heart (Originalton und synchronisierte Fassung), Sky Atlantic HD, 21 Uhr.

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